Knarzend und krachend schiebt sich die Straßenbahn an dem kleinen Eckhaus gegenüber des Straßenbahnhofs Angerbrücke vorbei und verschwindet in das lange als verrucht verschriene Leipziger Viertel Lindenau. Das unscheinbare dreistöckige Gebäude, das sich auf den ersten Blick weder in seiner Einfachheit noch von seiner Brüchigkeit von den übrigen Häusern dieser Gegend unterscheidet, beherbergt einen der wohl am spannendsten Kunsträume Leipzigs, vielleicht sogar ganz Ostdeutschlands – das Ortloff.
Die Institution feiert in diesem Jahr ihr 15-jähriges Bestehen und steht nicht nur exemplarisch für die Entwicklung der Kulturmetropole nach der Wende, sondern auch für eine neue Generation Leipziger Malerei. Nichts verdeutlich dies besser als die noch bis Ende August laufende Gruppenschau, in der 100 Künstlerinnen und Künstler ihre Werke zeigen.
Im Winter 2007 eröffnete das Ortloff mit einer Ausstellung unter dem Titel "Leerlauf". Der Begriff kann stellvertretend für die Kunstlandschaft der Postwendezeit des Ostens stehen. Damals war die Wiedervereinigung 16 Jahre her und Leipzig noch stark geprägt von der vergangenen DDR. Trotz vieler Renovierungen, besonders in der Innenstadt, war das Stadtbild der äußeren Stadtteile von kaputten Straßen, verfallenden Häusern und Leerstand dominiert.
Keine Heizung, dafür gute Parties
Für Künstlerinnen und Künstler erwies sich das als Paradies. Die leerstehenden Gebäude boten nicht nur günstigen Wohnraum, sondern auch Platz für weitläufige Ateliers und jede Form von kreativer Entfaltung. In den heruntergekommenen und gemiedenen Stadtteilen öffnete ein Kunstraum nach dem anderen und hauchten diesen Gegenden damit neues Leben ein. Studierende zogen zu, Cafés machten auf, und nachts häuften sich die illegalen Parties. Über die Landesgrenzen bekanntes Symbol dieser Entwicklung war die Instandsetzung der heute für zeitgenössische Kunst berühmten Baumwollspinnerei.
Teil dieser Welle war auch die Gründung des Kunstraums Ortloff. Ins Leben gerufen von den vier Studenten Hannes Drechsler, Tilman Grundig, Julius Vogelsberg und Georg Weißbach (mit dem Autor verwandt), erfüllte er alle möglichen Funktionen: Neben einem Atelierbetrieb gründeten die Betreiber ein eigenes Plattenlabel, organisierten bald stadtbekannte Feiern und boten in den oberen Etagen sowohl Wohn- als auch Arbeitsraum für junge Künstlerinnen und Künstler.
Dass damals weder Heizung noch Dusche vorhanden waren und das gesamte Haus nur einfache Verglasung besaß, war Ausdruck einer Art von gelebter Künstlerromantik. Schnell entwickelte sich das Ortloff zu einem Anlaufpunkt für Studierende der Kunsthochschule für Grafik und Buchkunst: Heute gestandene Künstler wie Jennifer König, Benedikt Leonhardt, Malte Masemann, Martin Groß, Sebastian Nebe, Heide Nord, Titus Schade, Katharina Schilling, Maria Schumacher, Claus Georg Stabe und Hannah Stiegeler machten hier ihre ersten Begegnungen mit einem breiteren Publikum. Damals noch unbekannt, bot ihnen das Ortloff eine künstlerische Spielfläche, um sich auszuprobieren und zu entwickeln.
Ritterschlag und Jubiläumsschau
Mit der Stadt veränderte sich auch das Ortloff und das Umfeld: Nach und nach wurde das Gebäude restauriert, und im Monatsrhythmus wurden Ausstellungen präsentiert. Die Partys wurden weniger, dafür aber die Namen der Ausstellenden immer bekannter. Einen Höhepunkt feierte der Kunstraum zehn Jahre nach seiner Gründung: In der Ausstellung "Our Teenage Dreams so Hard to Beat" präsentierten mit Famed, Astrid Klein, Neo Rauch, Christoph Ruckhäberle, David Schnell, Clemens von Wedemeyer und Matthias Weischer nicht nur weltberühmte Künstlerinnen und Künstler, sondern vor allem auch die Lehrenden dieser Wendegeneration ihre Arbeiten - und verschafften damit dem Ortloff förmlich einen Ritterschlag. Spätestens ab diesem Zeitpunkt war er der wohl bedeutendste Kunstraum in Leipzig.
Versucht man heute, im Leipziger Westen eine Wohnung zu finden, ist das ungefähr so schwer wie in Berlin oder München. Zu schön haben sich inzwischen die einst verkommenen Viertel herausgeputzt und zu groß ist entsprechend der Andrang. Restaurant reiht sich an Restaurant, und das Straßenbild ist geprägt von jungen Familien. Auch die Weggefährten des Ortloffs haben sich gemacht. 15 Jahre nach der Eröffnung sind die einstigen Studierenden zu gestandenen, deutschlandweit bekannten Künstlerinnen und Künstlern geworden.
Dementsprechend ambitioniert ist auch die Ausstellung, die in diesem Monat im Zuge des Jubiläums präsentiert wird. 118 ausgewählte Positionen, die alle in der Vergangenheit eine Ausstellung im Ortloff hatten, wurden für eine Gruppenschau rekrutiert. In bester Petersburger Hängung reiht sich hier ein Bild an das andere. Ob neorealistisch akkurat, poppig verspielt oder ironisch humorvoll: Mit hauptsächlich Malereien, aber auch Fotografien und installativen Arbeiten, bietet die Ausstellung den Besuchern einen in dieser Form einmaligen Überblick über eine neue, dritte Generation der Leipziger Schule und deren vielfältige künstlerische Ausdrucksweise. Diese wesentlich von den Erfahrungen der Wende- und Nachwendejahre geprägte Künstlergeneration und ihre Werke sind Zeugnis einer selbstbewussten ostdeutschen Kunst. Und das Ortloff liegt mitten im Herzen dieser Bewegung.