Österreichisches Design in Wien

Die Formen einer Nation

Man kann darüber streiten, ob man Design noch nach nationalen Kategorien einteilen sollte. Eine Ausstellung im Wiener MAK zeigt jetzt jedoch 100 österreichische Stücke, die Grundsätzliches über Gestaltung erzählen

Identität ist ein Endgegner. Diesen Eindruck konnte man wieder einmal bei einem Besuch im Wiener Museum für Angewandte Kunst (MAK) bekommen. Auf einem Panel in der Säulenhalle des Hauses saß kürzlich die Museums-Direktorin Lilli Hollein unter anderem mit dem Leiter der Vienna Design Week Gabriel Roland zusammen und diskutierte über österreichisches Design.

Man war sich auf dem Podium und vor allem nach Wortmeldungen aus dem Publikum nicht ganz einig: Gibt es das? Was ist es? Und sollte es das in Zeiten von Social Design und politischem Design denn überhaupt noch geben, so einen nationalen Blickwinkel?

Dabei zeigt sich in einer aktuellen Ausstellung des MAK ganz wunderbar, wie wenig es im Design eigentlich um Identität gehen muss. "Aut Now" heißt die Schau, die bis in den Mai 2025 zu sehen ist. Unterzeile "100 x Österreichisches Design für das 21. Jahrhundert". Doch wer jetzt anhand des Titels annimmt, es ginge um die Top 100 der heimischen Gestalter, der irrt. Es ist nämlich viel einfacher und viel besser.

Von alpin bis zirkulär

Das Kuratorenteam – bestehend aus Lilli Hollein, Sebastian Hackenschmidt, Marlies Wirth aus dem MAK und Vandasye, also den Designern Georg Schnitzer und Peter Umgeher – hat tatsächlich 100 Objekte aus 25 Jahren österreichischer Gestaltung seit 2000 ausgesucht. Aber sie stehen nicht für ein Ranking, sondern – und das macht die Ausstellung auch international so interessant – für wichtige Aspekte in der Designgeschichte.

Denn das Team hat jeweils vier Objekte einer Kategorie untergeordnet. Da gibt es Schlagworte wie "Alpin", unter dem eine Alu-Lawinenschaufel zu sehen ist, ein Ortungsgerät, ein Stuhl von Robert Rüf, der im Restaurant in der Berg- und Talstation Patscherkofelbahn steht. Aber auch eine Bong des Traditionsunternehmens Gmundner Keramik. Also regional angedockte Produkte.

Aber die Kategorien reichen bis zu Z wie "Zirkulär". Hier sind vier Entwürfe ausgestellt, die sich mit Energieeffizienz oder Ressourcenschonung auseinandersetzen. Zum Beispiel das Klo des Gmundner Badmöbel-Herstellers Laufen, gestaltet vom Wiener Büro Eoos, das Spülwasser und Urin trennt. Letzterer kann dann für biologischen Dünger aufbereitet werden.

Man kann das Rad neu erfinden

Und es gibt weitere Kategorien wie "Tuning", "Re-Typisierung" oder "Material als Möglichkeit", die Grundsätzliches über Design erzählen. Unter "Tuning" erkundet das Team die Möglichkeiten des Umnutzens. Eine Handramme, die umgedreht zur Vase wird. Ein Sonnenschutzvisier am Kinder-Fahrradhelm des österreichischen Erfolgsunternehmens Woom, der durch Material und Anbringung zum Aufprallschutz wird.

Unter der Überschrift "Re-Typisierung" wird die alte Frage gestellt, ob man das Rad noch neu erfinden kann. Und sie wird auch beantwortet: Kann man. Das sieht man beispielsweise an der Leiter von Clemens Auer, der die Sprossen links/rechts versetzt anordnet. Oder – wir brauchten das wirklich! – am Kleiderbügel von Louisa Köber und Marie Mattner, bei dem Teile des Drahts durch Seil ersetzt wurden, was ein viel flexibleres Aufhängen ermöglicht.

"Material als Möglichkeit" erklärt sich von selbst, soll hier aber nochmal aufgenommen werden, weil darunter die tollen Hundenäpfe von Juliane Fink gezeigt werden. Die sind nämlich aus Schweineblasen, einem Abfallprodukt der Fleischproduktion und verrotten, wenn sie nicht gleich mitgegessen werden. Weitere wichtige Aspekte des Designs, wie die Möglichkeit von platzsparenden Lagerungen oder Transporten werden unter "Kompakt" gezeigt, etwa ein zerlegbares Babybett aus Pappe.

Spaghetti-Gabel als Konsumkritik

Unter "Halbfabrikat" werden Designs ausgestellt, die mit bereits produzierten Teilen wie Gewinden oder Schwerlastregal-Elementen erdacht wurden. Und im Ausstellungsteil zur Kategorie "Reduktion" steht ein stapelbarer Hocker von Thomas Feichtner, der auch im MAK zum Einsatz kommt. Aber auch ein Messer von Porsche Design. Im Katalog heißt es zur Reduktion, ihr Mehrwert sei die klare Formensprache, aber auch Nachhaltigkeit. "Damit dieses Prinzip nicht nur oberflächlich eingelöst – oder im Gegenteil: zum Selbstzweck wird –, braucht es ein grundsätzliches Verständnis der Problemstellung und bisweilen auch ganz neue Herangehensweisen." Und dann hat man wieder etwas über Design gelernt.

Spaß macht die Ausstellung unter der Überschrift "Konzept", wo die Spaghetti-Gabel von Andreas Feldinger gezeigt wird, für die er den Zinken einer Ikea-Gabel um 180 Grad nach hinten bog und sie so zum Al-dente-Testgerät machte, das aber grundsätzlich viel sinnvoller als Konsum-Kritik eingesetzt ist.

Und Hoffnung macht "Aut Now" (eigentlich muss der Titel gar nicht so laut schreien) zum Beispiel beim Objekt von Joey Fulterer, der ein Messbecher-Set gestaltet hat, dessen Füllmaß sich durch die Form vermittelt und so nicht nur Backen und Kochen für alle einfacher macht, sondern auch für Menschen mit Sehbeeinträchtigung ermöglicht. Könnte unter der Kategorie "Partizipation" ausgestellt sein, ist aber unter "Lo-Tek" eingeteilt worden.

Zum Schluss dann doch noch mal zur Identität: Bei der Kategorie "Wiener Postproduktion" finden sich die Produkte, die auf die große österreichische Design-Tradition verweisen und von einer aktuellen vitalen Szene zeugen. Zum Beispiel der Quallenhocker Q8 von Martin Feiersinger, der sich auf einen Entwurf des Architekten Adolf Loos bezieht. Es scheint also so etwas wie österreichisches Design zu geben. Dafür kann man sich auch beim MAK und der Vienna Design Week bedanken.