Die Kunstsammlung von Arthur Stoll wäre hinsichtlich ihrer Bestände an Raubkunst unbedingt zu überprüfen. Als repräsentativ für das Schweizer Kunstsammlertum hatte ihr die Zeitschrift "Du" 1957 ein ganzes Heft gewidmet. 1972, nach dem Tod Stolls, listete der Auktionskatalog "Kunstwerke aus der Sammlung Arthur Stoll" der Galerie und Kunsthandlung Kornfeld in Bern 32 Werke von Ferdinand Hodler auf. Wie Stoll zu seinen Hodlers kam, erfährt man bei Norman Ohler. Nicht unbedingt naheliegend in seiner aktuellen Neuerscheinung "Der stärkste Stoff. Psychedelische Drogen: Waffe, Rauschmittel, Medikament".
In dieser brillant recherchierten, ebenso unterhaltsam wie sachlich geschriebenen Studie zitiert der Autor aus einem Brief Stolls, damals Chef des Schweizer Chemieunternehmens Sandoz mit Sitz in Basel, an seinen Mentor, den Chemie-Nobelpreisträger Richard Willstätter. "Lieber Freund Willstätter", schrieb Stoll am 20. August 1935 an den Mann, den er – weil Jude – 1933 als Aufsichtsrat der deutschen Sandoz-Niederlassung kaltgestellt hatte, "Sie sprachen kürzlich davon, dass Bilder von Ferdinand Hodler in Deutschland im Preise zurückgingen. Sie wissen, dass ich Hodler-Bilder sehr liebe, und ich möchte Ihnen nur für alle Fälle mitteilen, dass ich bei günstiger Gelegenheit nicht abgeneigt wäre, einzelne gute Bilder von Ferdinand Hodler zu erwerben, wenn Sie aus Ihrem Bekanntenkreis über solche Fälle hören".
Arthur Stoll war ein wohlhabender Mann, der die Farbenfabrik Sandoz durch seine Forschungen über das Mutterkorn und die daraus entwickelten erfolgreichen Medikamente in ein hochprofitables Pharmaunternehmen verwandelt hatte. Er hätte Willstätters jüdischen Bekannten mit fairen, also angemessenen Preisen für ihre Kunstwerke helfen können, stattdessen nutzte er ihre Notlage zynisch aus. Durchaus repräsentativ für das Schweizer Kunstsammlertum.
Weltklasse-Krimi
Norman Ohler ist für sein 2015 erschienenes Sachbuch "Der totale Rausch – Drogen im Dritten Reich" bekannt, das ein international hochgelobter Bestseller wurde. Mit "Der stärkste Stoff" setzt er nun seine Recherchen zum Gebrauch psychoaktiver Drogen fort, wobei er sich auf die Entdeckung psychedelischer Substanzen, insbesondere LSD und deren Einsatz in der Zeit des Kalten Krieges konzentriert. Was in dieser Geschichte aber zunächst auffällt, ist die horrende Zahl von moralisch völlig verkommenen Männern, Spitzenforscher wie der insgeheim mit Stoll kooperierende Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für medizinische Forschung in Heidelberg, Richard Kuhn, der 1937 den Nobelpreis ablehnte, weil "des Führers Wille unser Glaube ist" und Hitler nun mal die Annahme untersagt hatte. Hielte die Geschichte nicht immer wieder neue, erhellende Erkenntnisse bereit, könnte einem ihre Allgegenwart glatt die Lektüre verleiden.
Eine dieser Erkenntnisse ist die bestürzende Tatsache, dass die Möglichkeiten, wie und wo LSD als Medikament therapeutisch eingesetzt werden könnte, bis vor kurzem nie auch nur ansatzweise erforscht wurden. Wenn sich "Der stärkste Stoff" wie ein Krimi von Weltklasseformat liest, dann weil Norman Ohler hier Witterung aufgenommen hat. Den Autor treibt ein persönliches Anliegen, wie er im letzten Kapitel bekennt. Konfrontiert mit der fortschreitenden Demenz seiner Mutter, meint er – nicht zuletzt dank ihrer Selbstversuche – in LSD oder Psilocybin pharmakologische Mittel zu erkennen, die eine Alzheimer-Erkrankung wie die ihre aufhalten könnten.
Als Albert Hofmann 1935 aus dem Migränemittel Ergotamin, einem Hauptalkaloid des parasitären Mutterkornpilzes Lysergsäurediethylamid synthetisierte, war zunächst unklar, was LSD außer den von ihm beschriebenen "fantastischen Bildern von außerordentlicher Plastizität mit intensivem, kaleidoskopartigem Farbenspiel" noch zu bieten hatte. Die depressive Stimmung der vom Krieg zermürbten Bevölkerung in den Nachbarländern der Schweiz brachte Arthur Stoll zehn Jahre später auf die Idee, mit LSD als möglichem Stimmungsaufheller zu experimentieren. Sein Sohn Werner, Arzt an der kantonalen Heilanstalt Burghölzli, verabreichte sechs psychisch kranken Patienten – natürlich ohne deren Wissen und Einverständnis – LSD in unterschiedlichen Dosierungen.
LSD als pharmakologische Waffe
Die Ergebnisse waren ermutigend. Das weckte in Medizinerkreisen große Erwartungen, denn noch nie, so der Psychotherapeut Stanislav Grof, "war eine einzelne Substanz so vielsprechend für so viele Disziplinen". LSD gab dann auch Anstoß zur Suche nach körpereigenen Substanzen, die eine Funktion für das psychische Wohlbefinden haben, was zur Entdeckung der Neurotransmitter führte. Das Gehirn, so Ohler, war nun eine chemische Angelegenheit, die es zu stimulieren galt, und nicht mehr eine elektrische, die mit Stromstößen traktiert wurde.
Ließ sich die Wirkung des elektrischen Stroms nicht mit der Chemie des LSD potenzieren, etwa bei der Vernehmung des Gegners? Solchen Experimenten konnte die medizinische Forschung nur in die Quere kommen, befürchteten die Karrieristen in den militärischen und geheimdienstlichen Institutionen, die auf ein Verbot von LSD drängten. An die Idee von NS-Chemikern wie Richard Kuhn, der maßgeblich an der Entwicklung biochemischer Waffen wie dem Nervengas Soman beteiligt war, einer "Wahrheitsdroge", die Gefangene, die selbst unter Folter nicht aussagten, außer Gefecht setzen sollte, knüpfte dann der Psychiater und Chemiker Sidney Gottlieb, Leiter eines geheimen Drogenprogramms der neu gegründeten CIA zur Bewusstseinskontrolle, mit seinen LSD-Experimenten und entsprechenden Menschenversuchen an.
Unter Gottlieb wurde LSD zur pharmakologischen Waffe im Kalten Krieg, der dann auch die Rekrutierung nationalsozialistischer Tötungsexperten alias Spitzenforscher rechtfertigte. Richard Kuhn, der ab 1948 als wissenschaftlicher Berater nicht nur bei Sandoz, sondern praktischerweise auch bei der US-Armee unter Vertrag stand, konnte es als deren Agent Arthur Stoll klar machen, dass es für Sandoz vorteilhaft sei, sich aus der LSD-Arzneimittelforschung zurückzuziehen.
"War on Drugs" und die Diffamierung der Rauschmittel
Gottlieb selbst startete derweil umfangreiche Versuchsreihen mit LSD in Kliniken, bei der Armee und den eigenen Mitarbeitern, Selbstversuche eingeschlossen. Damit war er einer der wenigen, der wusste, wie ihm nach dem Konsum eines Glases gewöhnlichen Bourbons geschah. Dass der eine oder andere CIA-Agent darüber wahnsinnig wurde und jemand sich aus dem zehnten Stock eines New Yorker Hotels durch ein geschlossenes Fenster in den Tod stürzte, galt als Kollateralschaden. Zu den Versuchspersonen, die informiert und mit 75 Dollar für die Einnahme entlohnt wurden, gehörte Ken Kesey, dessen LSD-Erfahrung 1962 in den Weltbestseller "Einer flog übers Kuckucksnest" einfloss und der zwei Jahre später mit seiner Truppe der Merry Pranksters im psychedelisch ornamentierten "Magic Bus" eine Promotion-Tour durch die USA zur Popularisierung von LSD und anderen bewusstseinserweiternden Drogen startete.
Ohler erzählt die Geschichte von LSD als Rauschmittel vor allem als eine ironische. "Wir sollten uns übrigens immer daran erinnern, der CIA und der Armee für das LSD zu danken", zitiert er John Lennon. "Sie verteilten das LSD, um die Menschen zu kontrollieren, tatsächlich brachten sie uns Freiheit", was den Leuten bei der CIA, im Pentagon und im Weißen Haus in Zeiten des von der Bevölkerung zunehmend abgelehnten Vietnamkrieges natürlich gar nicht gefiel. 1966 wurde LSD in den USA zur illegalen Droge erklärt, in die am strengsten regulierte Kategorie Eins wie Heroin, eingestuft und damit auch die Forschung verboten. Als Richard Nixon 1968 Präsident wurde, schürte er die Hysterie weiter und rief 1971 den berüchtigten "War on Drugs" aus.
John Ehrlichman, innenpolitischer Berater Nixons, gab später zu, dass sie zwei Feinde hatten: "Die Antikriegsbewegung und die Schwarzen. Wir wussten, wir konnten es weder verbieten, gegen den Krieg, noch schwarz zu sein, aber indem wir die Öffentlichkeit dazu brachten, Hippies mit Marihuana und Schwarze mit Heroin zu assoziieren und dann beides mit aller Macht strafrechtlich zu verfolgen, konnten wir diese Gruppen zerstören. Wir konnten ihre Anführer einsperren, ihre Häuser durchsuchen, ihre Treffen unterbinden und sie jeden Abend in den Medien diffamieren. Wussten wir, dass wir über die Drogen Lügen verbreiteten? Natürlich."
Unter den Lügen über die Drogen leidet die Welt noch heute
Unter den Lügen über die Drogen leidet die Welt noch heute. Weil da zu viele Leute, Organisationen und Apparate sind, die dem Status quo zu viel Macht und zu viel Geld verdanken, um ihn kampflos aufzugeben. Immerhin, seit ein paar Jahren verabschiedet sich Europa langsam von der US-amerikanischen Linie der Drogenpolitik, wobei die Schweiz durchaus eine Vorreiterrolle spielt. Der Ruf von Albert Hofmann ist mit der Zeit gewachsen, während der von Sandoz und Arthur Stoll, der Hofmann immer kleingehalten hatte, restlos verblasst ist.
Zum 100. Geburtstag von Albert Hofmann fand 2006 ein Symposium statt, an dem 1500 Bewusstseinsforscher aus aller Welt teilnahmen. Ein Jahr später begann der Schweizer Psychotherapeut Peter Gasser ausgewählten Patienten LSD- und Psilocybin-Sitzungen anzubieten. Erstmals wurden wieder klinische Studien durchgeführt, um mögliche Anwendungen bei Depression, PTBS, Sucht oder Angstzuständen zu testen. Im selben Jahr, jurz vor seinem Tod im Alter von 102 Jahren, kürte die britische Tageszeitung "The Guardian" Albert Hofmann zum bedeutendsten lebenden Genie.