Vor Kurzem noch lud die Fondation Beyeler mit ihrer Matisse-Retrospektive zu einer Reise in die wohlig warmen mediterranen Gefilde Südfrankreichs und Nordafrikas. In diesem Winter nun entführt das Museum in Riehen bei Basel seine Besucherinnen und Besucher mit der Schau "Nordlichter" in die deutlich unbekannteren, und somit vielleicht auch geheimnisvolleren Wälder der nordischen Malerei
Die Werke entstanden zwischen 1880 und 1930 parallel in Skandinavien, Kanada und Russland in der sogenannten Borealen Zone, dem "größten Urwald der Welt", wie Kurator Ulf Küster beim Rundgang mit leuchtenden Augen schwärmt - seine Ausstellung ist nach einer Schau im Jahr 1913 in Buffalo, Kanada, und einer zweiten vor 40 Jahren in Toronto eine Europa-Premiere der nordischen Malerei. Diese hält etliche Überraschungen bereit und trifft gleichzeitig auf ein Umfeld höchst aktueller klima- und geopolitischer Debatten.
Als Nord- oder Polarlichter werden jene Sonnenwinde bezeichnet, die in Skandinavien, Grönland und Kanada während der dunklen Wintermonate als faszinierende Spektakel am Himmel wahrgenommen werden können und die sich in diesen Polarregionen bei der Begegnung von Stickstoff- und Sauerstoffatomen der Hochatmosphäre mit der Erdatmosphäre ereignen. Ein Phänomen, das aufgrund des Klimawandels übrigens in immer südlicheren Breitengraden zu beobachten ist. Mit ihren irisierenden Farbspielen zwischen Blau, Grün und Violett wirken sie nun in Basel (in Öl auf Leinwand gebannt) der Düsternis der Jahreszeit entgegen.
Überfrorene Waldseen und Spuren im Schnee
Das erste Bild der Ausstellung dient der Kalibrierung unserer Wahrnehmung: Iwan Ischkins "Windbruch" von 1888 ist eine monochrome Kohlearbeit, die wie ein überdimensionierter Kupferstich daherkommt und uns in das undurchdringbar erscheinende Dickicht der russischen Taiga blicken lässt. In den folgenden Räumen werden wir immer tiefer in diese Vegetation eindringen: an monumentalen Seenlandschaften wie denen der finnischen Künstlerin Helmi Biese verweilen, vor dem Mäntykoski-Wasserfall von Akseli Gallen-Kallela unter dem Einfluss von der hier eingespielten Fichten-Serenade von Jean Sibelius staunen und an einem überfrorenen Waldsee von Gustaf Fjaestad den suizidal anmutenden Spuren im Schnee auf die Eisfläche folgen, unter der sie verschwinden. Sie bilden gleichzeitig den ersten Verweis auf die Anwesenheit von Menschen in dieser nordischen Winterwelt.
Allein Edvard Munch kommt ohne die Anwesenheit von Homo sapiens nicht aus, und so empfängt der ihm gewidmete Raum mit einem verzehrenden Doppelporträt von Frau und Mann im Fichten-Unterholz. "Vampir im Wald" nannte Munch das 1924 entstandene Werk. Adam und Eva nach dem Sündenfall? Ohne die Theorie des Anthropozäns aufzudrängen, wird in diesem Raum erstmals auch der Einfluss der sogenannten Zivilisation auf die bis dahin scheinbar unberührte Natur sichtbar.
Munchs "Gelber Baumstamm" von 1912 ist, anders als Iwan Ischkins vom Wind gebrochenes Gehölz, von Menschenhand gefällt worden; und auch der ihm gegenüber gehängte "Zugrauch" von 1900 ist als Verweis auf die beginnende Industrialisierung und den damit verbundenen Klimawandel zu lesen.
Ein aufregendes Gefühl von Ehrfurcht
Der letzte Raum der Ausstellung schließlich ist mit seinen schmalen geweißelten Holz-Stehlen selbst als minimalistischer Wald inszeniert: Eingelassen in jene besonderen Displays sind kleinformatige Arbeiten, die allesamt plein air entstanden. So etwa die magischen, in Öl auf Holz gebannten "Nordlichter" (1916) des Kanadiers Tom Thomson. Er gilt als Vorläufer der kanadischen "Group of Seven", deren Mitglieder James Macdonald und Lawren Harris ebenfalls gezeigt werden.
Die Schau versetzt ihre Besucherinnen und Besucher in jenes ebenso unbehagliche wie aufregende Gefühl von Ehrfurcht, das Edvard Munch mit seinen 1901 gemalten "Kindern im Wald" zum Ausdruck brachte. Es zeigt eine mit kleinen Mützchen und Hütchen ausgestattete fünfköpfige Gruppe, die sich im Angesicht der vor ihnen liegenden dunklen Landschaft an den Händen hält; und staunend dem Tanz aus dunklem Blau und zarten Rosatönen zusieht, der sich über den Baumwipfeln abspielt - auch dies mit Sicherheit eines der titelgebenden Nordlichter.
![Edvard Munch "Kinder im Wald", 1901, Installationsansicht "Nordlichter", Fondation Beyeler, Riehen, 2025](https://assets.monopol-magazin.de/styles/max1560x1150/public/2025-01/Munch.jpg?itok=2m4aXzKV)
Edvard Munch "Kinder im Wald", 1901, Installationsansicht "Nordlichter", Fondation Beyeler, Riehen, 2025
Licht, Wald und Wasser sind die drei bestimmenden Sujets der 13 ausgestellten Künstlerinnen und Künstler dieser konzentrierten Schau - und mit ihnen verbunden ein Himmelszelt, das als ganz schmales Band am oberen Bildrand erscheinen kann wie auf Helmi Bieses "Blick vom Pyynikki-Grat" (1900), den Großteil der Leinwandfläche einnimmt wie auf Anna Bobergs Nordlichter-Malereien oder aber nur als Spiegelung wahrnehmbar ist wie in Gustaf Fjaestads "Winterabend am Fluss" (1907).
Das Gefühl des von allen Menschen geteilten Himmels tritt auf der Reise durch die nordische Malerei in der Fondation Beyeler besonders hervor - vielleicht auch, weil es auf eine Gegenwart trifft, in der Kanada, Grönland und Sibirien in den Fokus geopolitischer Begehrlichkeiten gerückt sind.