Kalte Sterne: Blixa Bargeld stellt in Berlin verfremdete Abbildungen von Fassaden-Einschüssen aus. Mit Monopol sprach der Sänger der Einstürzenden Neubauten über Kunstwille und Zufall, über die 80er-Jahre und den Wandel Berlins
Blixa Bargeld, Sie zeigen in Berlin fotografische Arbeiten von Hausfassaden mit Einschuss-Spuren aus dem Zweiten Weltkrieg. Wir sitzen hier in Berlin-Mitte, ein fast fertig sanierter Stadtteil. Empfinden Sie das allmähliche Verschwinden dieser Spuren als Verlust?
Das Verschwinden sichtbarer Geschichte ist natürlich immer ein Verlust. Bei meinem Arbeiten geht es aber nicht darum. Mir war gleichgültig, ob das Einschüsse sind oder nicht. Ich wollte jeden dokumentarischen Charakter aus den Bildern tilgen. Da sind keinerlei Graustufen drin, sie sehen auf den ersten Blick wie Malerei aus. Mir ging es um die zufälligen Anordnungen von Dingen. Wenn ich spazieren gehe, sehe ich Muster. Dass hier Fassaden aus dem fertig gentrifizierten Bezirk Mitte abgebildet sind, ist nur ein kleiner Schlag an der Seite. Ich wollte keine moralische Aussage damit verbinden. Meine 86-jährige Mutter aber sagte nach der Ausstellungseröffnung, ich hätte doch lieber die verschwundenen Handwerksläden in Berlin fotografieren sollen, und wenn da noch ein Bombentrichter drauf ist, ist auch nicht so schlimm.
Dass es um Berlin und vielleicht auch um Stadtpolitik geht, implizieren die Adressangaben im Titel der Werke.
Nur ein Kratzfuss vor der abstrakten Malerei, die ja auch Titel benutzt wie „46 / 3“.
Eine Parodie?
Es entbehrt nicht eines gewissen Humors, aber ich wollte nichts parodieren. Ich finde meine Bilder ästhetisch ansprechend. Dass es sich um Einschüsse handelt, ist ein Nebeneffekt.
Es geht Ihnen um Zufälligkeiten?
Um die zufällige Verteilung von Pattern, so wie sie in der bildenden Kunst schon lange bekannt ist, spätestens seit Hans Arp. Diese Muster kann sich der Künstler nicht selbst ausdenken, weil er sofort mit den eigenen ästhetischen Vorstellungen konfrontiert wird. Man muss so etwas auch aushalten können. Auch die Hängung der Ausstellung ist per Zufallsgenerator entstanden.
Verfolgten Sie mir Ihrer Band, den Einstürzenden Neubauten, ein ähnliches Prinzip?
Wir haben ein ganzes Album gemacht, das nur aus Interpretation zufällig gezogener Spielkarten bestand. Sehr viel Musik, in der es wie bei John Cage um das Aushalten von Zufälligkeiten geht, gab es nie bei den Neubauten.
Vielleicht meinte ich eher: Notwendigkeiten. Sie hatten nur begrenzte Mittel zur Verfügung.
Reduzieren ist immer gut, wenn Entscheidungen getroffen werden müssen. Je weniger Auswahlmöglichkeiten, desto besser.
Bei den neuen Bildern haben Sie zwar Entscheidungen getroffen, realisiert wurden sie aber von einem anderen Künstler.
Da ich des Fotografischen zwar nicht unkundig bin, aber doch die Feinheiten und die Ausrüstung nicht besitze, habe ich einen Fotografen engagiert. Mit dem bin ich um die Häuser gezogen und habe die Einschüsse fotografieren lassen, alle Graustufen aus den Fotografien beseitigen und in Originalgröße abziehen lassen. Die Vorgaben, das Konzept kamen von mir.
Sie haben selten etwas produziert, das man an die Wand hängen kann.
Doch. Es gibt die Fotos von Badezimmer in Serie. Die sind auch einfach nach immer dem gleichen seriellen Muster fotografiert. Von diesen Bildern gibt es 1200 Stück. Und dann noch eine ganze Kiste voll mit unentwickelten Filmen. Auch hier geht es um Repräsentation von Welt als Pattern, ohne künstlerisch darauf Einfluss zu nehmen, wie die Dinge liegen oder aussehen. Es gibt davon auch eine Reihe von fast schwarzen Fotos, weil der Blitz nicht ging. Man sieht alles darauf nur schemenhaft.
Ihr Antrieb ist also die Faszination an formalistischen Fragen?
Die Neigung, Serien zu machen. Man fängt an mit einem Bild und macht dann noch eines und noch eines. Wir stellen keine Regeln auf, sondern entdecken die Spielregeln nach und nach. Aufgehört habe ich übrigens mit den Badezimmerfotos, als ich im höchsten Hotel der Welt war. Das war einen guter Aufhänger, um damit Schluss zu machen. Denn Hanne-Daboven-Strafarbeit will ich mir nicht auferlegen. Es ist immer auch ein Augenzwinkern dabei.
Die Neubauten sind mit einem Avantgardebewusstsein angetreten: Wir machen etwas Neues …
Aber das war keine künstlerische Entscheidung. Es ergab sich aus den ökonomischen und sozialen Verhältnissen. Wir arbeiteten mit den Dingen, die für uns zugänglich waren. Ich bin genialer Dilettant und hätte mir nicht aussuchen können, etwas anderes zu machen. Dass wir das Ergebnis dann auch rechtfertigen mussten, ist eine andere Sache. Und dass das als „Avantgarde“ bezeichnet werden kann, noch einen andere.
Ist es heute schwieriger geworden, etwas wirklich Neues zu machen, etwas, das einen Unterschied macht?
Heute ist das sicher nicht anders als 1980. Aber da bin ich nicht informiert. Wolfgang Müller von Die Tödliche Doris hat es übrigens so formuliert: „Wozu noch etwas Neues machen, es gibt doch schon viel zu viel Musik."
Und wie hießen Ihre künstlerischen Referenzen Anfang der 80er-Jahre? Das „Bargeld“ aus Ihrem Künstlernamen haben Sie ja von einem Dada-Künstler …
Johannes T. Baargeld. Das war auch schon ein Künstlername. Der hat diesen Namen gewählt, um seinen Vater zu ärgern, der als Bankier arbeitete. Was kann ein Bankier schon hervorbringen außer Bargeld?
Die Neubauten klopften bei ihren Konzerten mit dem Hammer auf Stahl oder zündeten gleich die Bühne an. Gab es Einflüsse aus der Performancekunst der 70er-Jahre?
Es ist ein bisschen wie bei einer Theatergruppe: Man beschäftigt sich mit Material. Die ganze Grundlage bei den Einstürzenden Neubauten waren Materialien: Dinge, die wir gefunden oder konstruiert haben. Daraus entsteht so etwas wie ein Stück. Nur einer Theatertruppe nimmt es das Publikum nicht übel, wenn sie in der nächsten Saison ein anderes Stück spielt. In der Popmusik ist das nicht der Fall. Wir wären bestimmt erfolgreicher, hätten wir ein für allemal ein Konzept wiederholt.
Haben Sie damals unterschieden zwischen darstellender, bildender Kunst und Musik?
1978, 1979, 1980 vermischten sich in West-Berlin mehrere dieser Szenen. Ich wurde etwa mitgenommen zu Ausstellungseröffnungen in der Galerie am Moritzplatz, der Maler Salome hat Musik gemacht, jeder hat mehrere Disziplinen bedient. Das war eine kurze Zeit, in der das möglich war. Danach hat sich alles wieder vereinzelt. Damals habe ich New York als Endstation einer Berliner U-Bahnlinie betrachtet. New York war genauso kaputt, die Musik- und die Filmszene – das passte. Aber dieses New York ist auch verschwunden …
… womit wir wieder bei den Einschusslöchern wären. Die sind heute auch Teil einer Erlebniswelt für Touristen: Gut für einen kurzen Grusel.
Ich habe die Bilder vorher in Tokio gezeigt und da kam tatsächlich ein österreichischer Militarist und schwärmte von irgendwelchen Salven und dass er die Uniform seines Vaters noch zu Hause hat. Schnell weg!
Kaufen Sie selbst Kunst?
Ich bekomme welche geschenkt, von Daniel Richter etwa und Carsten Nicolai. Bei Hunchentoot habe ich einen riesigen Linolschnitt gekauft. Ich habe das Bild gesehen im "Haper's Magazine": eine Studiosituation mit Bergen von Kabeln, ein riesiges Gewirr. Ein Großteil meiner Lebenssituation. Meine Frau hat das unabhängig von mir auch entdeckt, den Künstler gegoogelt und festgestellt dass der am selben Abend in unserer Straße eine Ausstellung eröffnet. Wir sind dahin gegangen, haben uns das Bild angeschaut und es gekauft. Meine dreijährige Tochter zeigt manchmal darauf und sagt: „An diesem Ort singt mein Papa!“