Die Mode der Gegenwart ist besessen vom Zitat und kombiniert, wie sie will: Die Ära der Appropriation will einfach nicht enden. Sie begann vor 25 Jahren mit einer Kollektion von Miuccia Prada
Es war Herbst 1995, als Miuccia Prada eine Damenkollektion für den nächsten Sommer vorstellte, die als "Ugly Chic" Geschichte machte. Sie kombinierte Muster mit Mustern, karierte Wachstuchdrucke aus den 50er-Jahren mit Fake-Tweed-Schraffuren und Blümchenkleidern. Dazu kamen dramatisch neue Kontraste in Hellbraun, Pan-Am-Blau, Giftgrün und Violett, lauter Farben, die für Prada-Fans einem modischen Offenbarungseid gleichkamen.
Damit kehrte Miuccia Prada der coolen, schwarzen Eleganz ihres italienischen Minimalismus den Rücken, der in der Kunst- und Modewelt zur Standardausrüstung geworden war. Als Fetischobjekt dieser Avantgarde hatte Pradas Nylon-Rucksack aus Fallschirmseide gedient, einem kriegserprobten Hightech-Stoff, mit dem die Funktionalität in die Mode einzog. Die Kunstseide und ihre ganz unfeminine Verarbeitung erinnerten an den Futurismus und seinen Anführer Marinetti, der die Geschwindigkeit verherrlichte, die Angriffslust fetischisierte, begeistert in den Ersten Weltkrieg zog und im "Futuristischen Manifest" die "vollständige Erneuerung der menschlichen Sensibilität" durch Erfindungen wie das Flugzeug prognostizierte.
Prada ließ sich durchaus von solchen militanten Reminiszenzen inspirieren. Als Studentin der Politikwissenschaften war sie in den 70er-Jahren in die Kommunistische Partei eingetreten und hatte in Courrèges-Kostümen aus dem Kleiderschrank ihrer Mutter Flugblätter verteilt. So war die Gratwanderung zwischen Mode und Uniform, die ihre jugendlichen Entwürfe darstellten, auch eine
Form der biografischen Selbstvergewisserung. Die festen Stoffe, schneidigen Schnitte, Schulterklappen, steifen Krägen und metallischen Gürtelschnallen ihrer Kollektionen Anfang der 90er-Jahre hätten bestens in Greta Garbos Garderobe für "Ninotschka" gepasst, jenen Lubitsch-Film, in dem sie eine Sowjetkommissarin auf Abwegen in Paris spielt. Zur Unterstützung ihrer Ästhetik schaltete Prada in den frühen 90ern asketische Schwarz-Weiß-Kampagnen, in denen es viel leeren Raum, dokumentarisch kleine Bilder und ein prominentes Prada-Logo gab, das verwirrende Ähnlichkeit mit dem Titel-Druck der dem Kommunismus nahestehenden Moskauer Tageszeitung "Prawda" aufwies.
Intellektualität wurde zu Pradas Erkennungszeichen
Es lohnt sich, einen Moment bei diesem Prada-Logo zu verweilen. Das Geheimnisvolle des großbuchstabigen Firmennamens entsteht durch die stark nach links drängenden rechten Beine der As, denen ihre filigrane linke Strebung kaum noch Widerstand zu leisten vermag. Der so erzeugte Druck lastet auch auf dem R, das in die Defensive zu geraten und beinahe kehrtzumachen scheint, eine Wendung, die es in den kyrillischen Buchstaben Я verwandeln würde. Das nicht durchgezeichnete rechte Bein des Rs – man möchte physiognomisch fast von einem Prada-Schuh sprechen, scheint zum spielerischen Schwenk um die eigene Achse anzusetzen. Mit dieser latenten Umkehrbewegung wird nicht nur die für den Modekonsum unverzichtbare Selbstbespiegelung assoziiert, sondern auch die Reflektiertheit der Prada-Mode überhaupt, die das Herz der westlichen Intelligenzija erobert hatte.
Intellektualität wurde zu Pradas Erkennungszeichen. Ihr Ugly Chic ergab erst vor dem Horizont der nicht mehr schönen Künste Sinn, die seit Hegels Abgesang auf das Kunstschöne auf das Interessante, Fragmentarische und Hässliche setzten. Jean Paul Gaultier und Englands Punks hatten es vorgemacht, doch während Gaultier das Burleske kultivierte und die Punks das Aggressive, bewegte sich Prada im Zwischenbereich von hässlich und schön, von Tabu und Norm. Sie provozierte die Sehgewohnheiten, ohne sie zu brüskieren. Ihr Feld war das Interessante. Man erkannte die versierte Modehand, die dem Kenner Rätsel aufgab.
Der Bruch des Ugly Chic mit der Vergangenheit war nicht so groß, wie es auf den ersten Blick aussehen mochte. Die SS-96-Kollektion enthielt weiterhin viele Stretchmaterialien, vor allem den bei Prada beliebten Uniformstoff Gabardine, den sie mit hauchfeinem Strick aus Kaschmir und Seide kombinierte. Die Küchenkaros wirkten wie gemalt, als zitierten sie Paul Klees Viadukte. Darunter kam ein blütenübersätes Kleid zum Vorschein, das an industrielle Sommerware erinnerte und doch nach Couture- und Trachtenart von Hand bestickt war.
Pradas Materialien waren luxuriös, selbst die intensiv recherchierten Hightech-Stoffe, die ganz im Gegensatz zur Billigsynthetik Standfestigkeit und Formstärke besaßen. Der Uniformschnitt selbst kehrte in schmalen Space-Age-Hosenanzügen auf Pradas Laufsteg zurück. Am Ende war ihr Ugly Chic ein Amalgam aus den Zukunftsträumen der 60er, Oberklasseneleganz, kunstaffinem Snobismus und den modisch bis dahin kaum angezapften Quellen weiblicher Popkultur. Es war schlechter und guter Geschmack zugleich, high und low, Ugly Chic eben.
Auseinandersetzung mit der weiblichen Popkultur
Was Miuccia Prada so radikal machte, war ihre Auseinandersetzung mit der weiblichen Popkultur. Auch wenn Jean Paul Gaultiers Mode schon mit Tampons, konischen Korsetts und Scheuerschwämmen schockiert hatte, so war sie doch bei einer grotesken Übertreibung der Frauenwelt stehen geblieben. Prada nahm sie ernst und machte sie zu einem Gegenstand avantgardistischer Interventionen. Die amerikanische Pop-Art hatte sich noch durch vorwiegend männliche Phantasmen wie Junggesellen-Dosenware, Pin-ups und Autos profiliert. Erst durch Prada wurden die naiven Faszinationen des weiblichen kollektiven Unbewussten kunstfähig. Gleich im Winter 1996/97 legte sie mit konstruktivistischen Alloverprints nach, die eine verschüttete Tradition weiblicher industrieller Textilkunst aktivierten. Waren es doch Künstlerinnen wie Warwara Fjodorowna Stepanowa und Ljubow Sergejewna Popowa gewesen, die in den ersten Jahren des Sowjetregimes in die Fabriken gingen und mit diesen technoiden Drucken den Alltag revolutionierten.
Das subversive Interesse am Textildruck förderte seine Popularität in westlichen Modekontexten kaum. Als Produkt der Industrialisierung und mechanischen Reproduktion bewirkten Drucke auf billige Weise Effekte, die einst mühsamer Handarbeit vorbehalten gewesen waren. Westliche Mode tolerierte bedruckte Stoffe im Sommer, doch im Luxusbereich waren sie schon ihrer repetitiven Monotonie wegen verpönt. An den Nähten stießen die Motive unelegant zusammen und offenbarten sich als Massenware. Zudem waren sie unruhig, pflasterten die Trägerin wie eine Litfaßsäule, wetteiferten mit ihrem Gesichtsausdruck und gefährdeten ihre Würde. Traditionalisten missachteten Drucke als seelenlose Erzeugnisse des Maschinenzeitalters. Doch Modernisten hatten ihre eigenen Gründe, auf sie herabzusehen. Statt sich über Drucke zu echauffieren, bekämpfte man das Ornament. Adolf Loos verglich es mit den Tätowierungen der Papua. "Evolution der Kultur", dekretierte er, "ist gleichbedeutend mit dem Entfernen des Ornamentes aus dem Gebrauchsgegenstande." Und: "Der moderne Mensch, der sich tätowiert, ist ein Verbrecher."
Modernität war für Avantgardisten aller Couleur mit Schmuckelementen unvereinbar. Die Bauhaus-Bewegung reklamierte für die sogenannte "gute Form" in ihrer seriell-funktionalen Schlichtheit gar moralische Superiorität. Walter Benjamin identifizierte nutzlosen Schmuck mit dem Wilhelminismus: "Betritt einer das bürgerliche Zimmer der 80er-Jahre", schrieb er 1933, "so ist bei aller 'Gemütlichkeit', die es vielleicht ausstrahlt, der Eindruck 'hier hast du nichts zu suchen' der stärkste. Hier hast du nichts zu suchen – denn hier ist kein Fleck, auf dem nicht der Bewohner seine Spur schon hinterlassen hätte: auf den Gesimsen durch Nippessachen, auf dem Polstersessel durch Deckchen, auf den Fenstern durch Transparente, vor dem Kamin durch den Ofenschirm."
Muss eigens hervorgehoben werden, dass sich im Schmuck-Mobbing auch eine Aversion gegen das weibliche Geschlecht verbirgt? Denn während die künstlerische Avantgarde des 20. Jahrhunderts sich als maskulin-kämpferische Herausforderung des Establishments imaginierte, fällt alles, was Walter Benjamin an bürgerlichen Horrorgegenständen aufzählt, ins traditionell pflegende und bewahrende Ressort der Frau.
Prada machte sich daran, dieses verdrängte weibliche Unbewusste der Moderne ins Visier zu nehmen: "Ich zitiere oft klassische Schnitte: das Jackett der 40er, den Mantel der 50er, den Minirock der 60er – aber ich verändere nie ihre Formen", erklärte sie in einem Interview. "Man könnte das Appropriation nennen, aber für mich symbolisieren diese Entwürfe bestimmte Momente in der Geschichte, bestimmte Arten, weiblich zu sein, auf die ich mich beziehen möchte. Ich bin nicht daran interessiert, den Ursprung eines Schnittes zu verändern."
Generationen von Couturiers hatten sich daran aufgerieben, originell zu sein. Miuccia Prada wischte diesen Ehrgeiz mit einem Hinweis auf Appropriation-Art vom Tisch. Sie profilierte sich als mit Konzepten operierende Intellektuelle und verschob die Aufmerksamkeit vom Geniedesigner auf die Psyche der Konsumentin: "Oft benutze ich diese Schnitte, um eine Idee oder ein Konzept zu untersuchen, das mit den Obsessionen von Frauen zu tun hat."
Prada setzte ihre Entwürfe in Anführungszeichen
Prada setzte ihre Entwürfe in Anführungszeichen, als handele es sich dabei nicht um kreative Geschmacksentscheidungen, sondern um Riffs auf Themen, die ihr von der Kulturgeschichte der Frauen zugespielt wurden. Statt, wie Jil Sander, die Dekorsucht der Damenmode weiträumig zu umfahren, spitzte Miuccia Prada sie zu, übertrieb mit Prints, Spitze und Applikationen, mit Süßlichkeit und Niedlichkeit und schaffte es doch, all das durch klassische Schnittanleihen avantgardistisch wirken zu lassen. Das Obsessive weiblicher Narzissmen übersetzt sie in eine Ironie, die sich das von der Modepolizei als hässlich Deklarierte souverän leistet. Es hat in diesem Zusammenhang seine Logik, dass Miuccia Prada sich selbstbewusst gegen den Funktionalismus ausspricht: "Wen interessiert es, ob etwas bequem ist? Das ist langweilig und uninspirierend. Es ist weder aufregend noch herausfordernd. Ich empfinde steife und schwere Stoffe als majestätisch. Sie geben Frauen Würde und das Gefühl von Wichtigkeit. Sie machen stark."
Man möchte eine Verbindungslinie zum Katholizismus, der Matriarchats-Religion Italiens, und seinem Leidenskult ziehen – kennt das Christentum doch etwas Höheres als weltliche Schönheit: Es strebt die Überwindung irdischer Genüsse an. Für Christen ist Hässlichkeit erhaben, die profane Erscheinungsform der Erlösung.
Metaposition des Kleidens
Miuccia Prada hat gezeigt, dass es Diskurse in Kleidern geben kann. Wo eine Frau zuvor nur zwischen den Rollenspielen eines schwachen Geschlechts und den autoritären Statements androgynen Powerdressings wählen konnte, da gab Prada ihr einen Navigierraum, in dem sie Individualität zum Ausdruck bringen konnte, ohne lächerlich zu wirken. Mit modernisierten Varianten des schwarzen Dior-Kostüms hatte Prada sich zu Beginn ihrer Karriere beweisen wollen, dass es eine Coutureform des Protests gab. Im nächsten Schritt führte sie vor, dass Protest nicht uniform zu sein hatte. Vor allem sollte er nicht verlogen sein, und unter Verlogenheit verstand Prada die Unterdrückung der eigenen Herkunft. Deshalb webte sie die Schwächen, die Liebesbedürftigkeit und Eitelkeit der Frau in ihren Ugly Chic ein. Systematisch nahm sie sich die Tabus vor, mit denen Frauen einmal gepunktet hatten und die doch würdelos geworden waren: teure Guipure-Spitze, lustige touristische Prints, Brokat, Transparenz, Tellerröcke, funkelnde Steine und unpraktische Handtaschen.
Prada machte diese Metaposition des Kleidens zu ihrer persönlichen Mission: "Jetzt bin ich selbstbewusster", ließ sie wissen. "Ich bin viel eher bereit, mich frei und offen auszudrücken. Deshalb arbeite ich nun viel häufiger mit bedruckten Stoffen. Früher fand ich Prints schwierig, weil sie so expressiv sind. Man kann sich nicht hinter ihnen verstecken. Jetzt nutze ich sie, um meine Gedanken zu vermitteln, um meine Ideen und Konzepte zu kommunizieren. Ich bin bereit, mehr Risiken einzugehen, mich zu offenbaren."
Ironischerweise schien Pradas subversive Mode lange nur eine Art Couture-Phänomen. Die Normcore- Generation geht lieber auf Nummer sicher und zieht sich unauffällig an. Selten war die als weiblich verdächtigte Schmuckliebe so verpönt. Man vermeidet das Naive und jede Zurschaustellung, in der unreflektierte Lebenslust zum Ausdruck kommen könnte.
Doch wir scheinen an einem Wendepunkt zu stehen. In Trendhochburgen ist zurzeit Alessandro Micheles Gucci-Mode der Liebling der weiblichen Jugend: Muster-Mismatch, schrille Farb-Kaskaden und der hemmungslose Rückgriff auf historische Stile. Andere Modehäuser eifern Michele nach und greifen tief in die Print-Kiste. Die Verve, mit der sie der Mode das Understatement austreiben, sieht fast nach einem weiblichen Backlash aus.