London war in den letzten paar Tagen eine Stadt mit Schnappatmung. Zuerst die Rücktritte der Brexit-Hardliner David Davis und Boris Johnson, dann der sportliche Brexit der Engländer aus der Weltmeisterschaft (theatralisch trauernd oder volltrunken auf dem kochenden Asphalt liegende Briten inklusive) und dann der Staatsbesuch von Donald Trump, der sich mit seinen Protokollbrüchen bei der Queen die medienwirksamste Majestätsbeleidigung seit Morrissey und den Sex Pistols geleistet hat.
Dass Republikaner der neue Punk sind, behauptet die Rechte in den USA ja schon seit Längerem. Doch die britische Anhängerschaft Trumps scheint sich zumindest in der Hauptstadt in Grenzen zu halten. Am Wochenende fluteten Zehntausende Anti-Trump-Demonstranten die City und die Kunstwelt beschwerte sich über den Empfang des US-Präsidenten im altehrwürdigen Belheim Palace, der sich auch mit Ausstellungen von eher Trump-fernen Künstlern wie Ai Weiwei und Jenny Holzer brüstet. Dass Widersprüche den 45. Präsidenten nicht besonders interessieren, dürfte sich inzwischen herumgesprochen haben, und auch die Organisatoren des Banketts ließen zumindest nach außen hin mögliche Bedenken britisch diskret versickern.
Wenn wir schon bei der Kunst sind muss man dann doch noch einige Worte über die wohl meistfotografierte und -geteilte Skulptur der jüngeren Geschichte verlieren. Das quietschorange aufblasbare Trumpbaby des Künstlers und Aktivisten Leo Murray schwebte mit Windel und Smartphone im Patschehändchen für zwei Stunden vor den Houses of Parliaments, bevor eine kleinere Version den Protestzug durch Westminster begleitete. Die optische Mischung aus Hulk und Tweety-Küken offenbarte wieder einmal – genau wie eine Anti-Trump-Pop-up-Ausstellung in Shoreditch – die Schwachstelle der Aktivisten-Kunst. Oft ist sie genauso plump wie der Populismus, den sie kritisieren will. Und letztendlich stärkt der meme-freundliche Ballon die Marke Trump, indem er einen Politiker gleichzeitig dämonisiert und verniedlicht.
Eine Luftnummer, ist man versucht zu sagen, doch die Proteste in der streng bewachten City hatten trotzdem etwas Befreiendes. Die Straßen der astronomisch teuren City gehörten am Freitag einer bunten, friedlichen Menge, die auf ihren Plakaten durchaus feinsinnige Britishness bewies: "Trump is not my cup of tea", "Dear Queen, please don't offer him the good biscuits" oder ganz im Sinne des Lieblingsbriten John Lennon: "Imagine There's no Donald."
Ähnlich klaustrophobisch wie auf einer Demonstration kann man sich danach auf der überfüllten Piccadilly-Meile auf dem Weg zum Hyde Park fühlen. In der Mitte des hitzeverdorrten Parks ruht Christos bunte Pyramiden-Installation "The Mastaba" aus 7500 Ölfässern auf dem Serpentine Lake, umkreist von Möwen und umrudert von verliebten Touristenpärchen in Leihbooten. In der dazugehörigen Ausstellung in der Serpentine Gallery lässt sich erahnen, dass sich der Künstler und seine verstorbene Frau Jeanne Claude mal etwas bei ihren Mastaba-Entwürfen gedacht haben. Auf Zeichnungen versperren Wände aus Fässern den Suez-Kanal oder fügen sich in die Architektur von Städten ein. In London schaukelt die Pyramide nun recht unmotiviert auf dem Wasser herum und wirkt wie ein Showroom für die noch gigantischere Mastaba, die Christo in der Wüste Abu Dhabis bauen will. Selbst die vorbeiflanierenden Parkbesucher scheinen seltsam unbeeindruckt von dem Werk, das als Attraktion des Sommers angepriesen wurde. Vielleicht sind die Londoner inzwischen zu sehr an exzentrische Architekturprojekte gewöhnt.
Wie das gierige Bankenviertel auch trotz Brexit-Bedenken immer weiter wächst, lässt sich in der Square Mile rund um die Liverpool Street besichtigen. Auf jedem freien Quadratmeter schießen neue Wolkenkratzer in den Himmel, sodass Norman Fosters Prestigebau, die phallisch bläuliche Gewürzgurke "The Gherkin", in der Skyline inzwischen keine Rolle mehr spielt. Hier soll sich irgendwo hochkarätige Kunst verstecken, das Gratis-Outdoor-Projekt "Sculpture in The City", um genau zu sein. Als man endlich die furchtbar unpräzise App-Karte durchschaut hat, lassen sich schließlich Werke von Sarah Lucas, Tracey Emin oder Marina Abramovic entdecken, die jedoch in der sterilen Glasfassadenwelt im Herzen Londons keine Wirkung entfalten.
In den anachronistischen, niedlich-rustikalen Hallen des Leadenhall Market hat Shaun C. Badham den trotzigen Neonschriftzug "I'm Staying" aufgehängt. Ein letztes Aufbäumen in einer Gegend, aus der alles Leben gewichen scheint, selbst die wuchtige Tiertornado-Skulptur von Nancy Rubins wird von den glänzenden Hochhausfassaden neutralisiert. Die Kunst in der Square Mile, verkommen zum Finanzaccessoire, macht irgendwie traurig, und im Kopf bleiben die Interviews von Sarah Lucas, die vor ein paar Jahren aufs Land gezogen ist, weil das geldvergiftete London jeden Reiz verloren hat.
Auf dem Weg zur U-Bahn sieht es dann noch kurz so aus, als hätte man zumindest in einer Kaufhauslobby ein Videokunstwerk entdeckt. War dann aber doch nur die Wimbledon-Übertragung, die die Briten mindestens genauso in Atem hält wie die Fußball-Weltmeisterschaft, der Brexit und Trump zusammen. Auf dem champagner- und erdbeerreichen Gelände des All England Lawn Tennisclub kann man sich vorstellen, wie sich nostalgische Engländer ihr Post-Brexit-Land vorstellen. Alle sind reich, alle sind gut angezogen und tragen Sommerhüte, man nippt 9 Pfund teuren Pimm's, und um sowas wie Ausländer muss man sich keine Gedanken machen.
Überraschenderweise halten die Spiele auf dem Center Court jedoch die beste Performance-Kunst des Wochenendes bereit: die hypersynchrone Choreografie der Ballmädchen und -jungen, das Raunen des Publikums, die Endlos-Matches mit rhythmischem Gestöhne und den Körpern an Schmerzgrenzen. Performance-Pionierin Joan Jonas, der die Tate Modern gerade eine sehenswerte Retrospektive widmet, hätte das Ganze auch nicht wirkungsvoller inszenieren können.