Frau Jongerius, Farbe regelt unser Leben und beeinflusst, ob wir etwas mögen oder nicht. Trotzdem wissen wir nicht viel darüber. Warum?
Die Philosophen der griechischen Antike betrachteten Farbe noch als physische Eigenschaft eines Objekts, nicht als optisches Phänomen. Heute scheint es unmöglich, so über Farbe zu denken: Wir verstehen sie nur als Beschichtung, als Oberfläche, die jederzeit geändert werden kann. Die Farbindustrie ist Teil der chemischen Industrie. Bei Industriefarben kommt es darauf an, dass sie in allen Lichtverhältnissen stabil bleiben. Außerdem ist die Farbpalette aus ökonomischen Gründen limitiert, durch diese Uniformität geht aber die Vielfalt verloren. Da möchte ich ansetzen und Instabilität in der Farbe ins Spiel bringen: Farbe, die mit hochwertigen Pigmenten hergestellt wird, die mit dem Licht atmen und Schattierungen annehmen. Meine Ausstellung "Breathing Colour" ist ein Manifest, mit dem ich gegen die Beschränkungen der Farbindustrie rebelliere.
Welche Farben fehlen Ihnen in der Palette?
Ich vermisse einen Hauch Rot in den meisten industriellen Rezepten für Grün, das der Farbe seine Intensität gibt. Ich vermisse Plastikgranulat, das wahrhaftig schwarz ist. Ich vermisse lebendige Farben, die uns dazu veranlassen, sie immer wieder neu zu lesen, so wie wir es mit Kunstwerken tun. Mit der Ausstellung hoffe ich, ein Archiv und eine Methode zu bieten, mit der wir Farbe wieder neu interpretieren lernen.
Als etwas, das zur Beschaffenheit eines Objekts gehört und nicht einfach nur darauf aufgetragen wird?
Ich bin sicher, dass Physiker mir widersprechen werden, aber für mich haben Farbe und Material dieselbe Qualität. Es gibt raue und stumpfe Farbe, sanft polierte Farbe und alles dazwischen. Denken Sie an Glasfarbe, Wasserfarbe, LCD-Farbe oder Textilfarbe – da sind Material und Farbe nicht voneinander zu trennen.
Was haben Sie von den alten Meistern gelernt, die Sie in Ihre Ausstellung integrieren?
Die frühen Renaissancemaler – Raffael, Michelangelo oder der Niederländer Jan van Eyck – hatten limitierte Paletten. Mit nur sieben oder neun Pigmentsorten mischten sie eine immense Bandbreite. Meisterwerke von Vermeer oder Rembrandt faszinieren mich ebenfalls, weil sie die Farben aus kostbaren Zutaten von weither herstellten. Die Magie dieser Gemälde kommt von der Reichhaltigkeit und Komplexität ihrer Materialien.
Sie beschwören die "Macht der Farbe", die ja als Marketingidee zur Überzeugung von Konsumenten längst genutzt wird. Können Sie uns eine schönere, wildere und freiere Version dieser Macht geben?
Farbe ist Teil von etwas Größerem, sie bezieht sich auf Form, Material, Beschaffenheit, Raum, Licht, sogar auf Sprache. Ich möchte durch Farbe mit dem Betrachter in Verbindung treten. Mit der Subjektivität des Erlebens von Farbe fängt für mich alles an. Und ich gebe keine Schulung in Farbharmonielehre!