Vor ein paar Wochen habe ich ein Interview mit Amalia Ulman für das Monopol Magazin (3/2018) geführt. Nachdem es kurz in der Leitung klickte und wir uns noch kürzer begrüßten, sagte sie: "Hat Dir meine Galeristin gesagt, dass ich keine Fragen zu 'Excellences & Perfections' beantworte?" Nein, hatte sie nicht. Macht nichts, dachte ich. Wie sich schnell herausstellte, lag ich damit falsch. Ich versuchte mich also an meiner ersten Frage, die sehr beiläufig – vielleicht auch nicht ganz so beiläufig – mit dem Erfolg ihrer Instagram-Performance "Excellences & Perfections" zu tun hatte. Amalia Ulman legte auf. Allerdings nicht bevor sie mich wissen ließ, dass ich mich gleich wieder melden könne, wenn ich mir neue Fragen überlegt hätte.
Ein paar Minuten ließ ich verstreichen. Sie nahm wieder ab, freute sich wieder, bis ich meine neue erste Frage stellte. Ihr war wohl bewusst, dass ich sie auf andere Gedanken bringen wollte. Aber immerhin, sie antwortete mir auf meine, zugegeben, nicht sehr deepe neue erste Frage. Ihre Stimme wurde sanfter, während sie mir erzählte, wie sie zur Kunst gekommen ist. Ich sank vor Erleichterung ein wenig zusammen und überlegte leicht nervös, welche Fragen ich ihr stellen könnte, die ihr es nebenbei erlaubten, auch über "Excellences & Perfections" zu sprechen. Denn das sei okay, sagte sie, über "Excellences" spreche sie im Kontext ihres Gesamtwerkes. Wie ein Musiker, der keine Lust hat, auf seinen Hit reduziert zu werden. Der Fall Amalia Ulman ist komplizierter.
Amalia Ulman ist das erste, vielleicht sogar bisher das einzige Instagram-Meisterwerk gelungen. Influencer und Self-Branding sind heute in aller Munde. Teenager unterscheiden längst zwischen Instagram und Finstagram. Vor Gleichaltrigen, für alle Augen sichtbar, möchten sie sich in das beste Licht rücken, sie sehen sich selbst als Marke, die es gilt aufzubauen und zu promoten. Vielleicht, um selbst Influencer zu werden.
Kim Kardashian, die berühmt dafür ist berühmt zu sein, macht vor, wie man Geld offenbar sehr einfach mit Selfies verdienen kann. "Finstagram" steht für "Fake Instagram", also für das Profil, auf dem sich Teenager vermeintlich authentisch präsentieren. Einen zweiten Account führen sie für enge Freunde, dort zeigen sie ihren Alltag ungeschönt. Das kuratierte Ich, es ist ein Allgemeinplatz, auf Instagram werden die Schokoladenseiten des eigenen Lebens geteilt. Das sind Smoothies und Avocado-Toast, die Stunden im Fitnessstudio oder in einem funkelnd blauen Pool, Quality-Time mit Freunden, mit denen wir gesehen werden wollen, das strahlende, frische und wie durch ein Wunder perfekt geschminkte Gesicht morgens im Bett und die gute Figur vor dem Spiegel.
Als Amalia Ulman genau diese Stereotype im Rahmen ihrer fünfmonatigen Instagram-Performance im Jahr 2014 nachstellte und als authentisch präsentierte, war Instagram nicht mehr ganz neu. Aber eben noch nicht so weit, dass zahlreiche junge Frauen zum Teil mit Millionen von Followern Produkte von Unternehmen bewerben und wie Caro Daur um die Welt geflogen werden. Online sind wir alle Lügner, wir performen Perfektion und Erfolg. Und Amalia Ulman, die Künstlerin performte mit, und zwar genau das, was sie zuvor in den sozialen Medien als weibliche Stereotype ausgemacht hatte: das Tumblr Girl, das sich bei Urban Outfitters einkleidet und ein bisschen langweilig ist. Das Hot Babe mit Sugar Daddy. Das Mädchen von Instagram, das auf Superfood und Yoga steht. Ulman konnte alle drei dieser Stereotypen nachleben, weil sie sich ein Narrativ für ihre Persona überlegt hatte mit Träumen und Wünschen, Erfolgen und Abstürzen und einem Happy End.
Als sie dann am Ende auflöste, dass es sich um eine Performance handelte, fühlten sich einige Follower an der Nase herumgeführt. International berichteten die Medien, über die vielen Follower (100.000 Follower wurden ihr im Rahmen einer Intervention vom Künstler Constant Dullaart "geschenkt", was selten Erwähnung findet), über ihren gewieften Streich und über ihren großen Erfolg. Die Arbeit wurde international in Museen gezeigt, beispielsweise in der Londoner Tate, der Londoner Whitechapel Gallery, im ICA Boston. Auf der Website des New Museum ist die Performance online frei zugänglich. Und gerade ist also ihr Buch "If You Don't Pay My Bills" (Prestel) erschienen, das auch "Excellences & Perfections" heißen könnte.
Was sich wie der Traum eines jeden jungen Künstlers liest, ist es für Amalia Ulman auch – den Erfolg möchte sie nicht missen. Die dunklen Momente dieses Traums schon. Und sie unternimmt jetzt, was möglich ist, um diesen Traum nicht zu einem Albtraum werden zu lassen. Während sie am Telefon mit mir spricht, verstehe ich, warum sie aufgelegt hat.
Nach fast fünf Jahren möchte sie nicht mehr über "Excellences & Perfections" sprechen, weil sie nicht auf ihre bekannteste Arbeit reduziert werden möchte. Man denke nur an den kürzlich verstorbenen Robert Indiana, der wie zuletzt in der "Süddeutschen Zeitung" nachzulesen war, mit den vier übereinandergestellten Buchstaben L O V und E das vielleicht meistreproduzierte Kunstwerk der Welt geschaffen hat und vom Kunstbetrieb als ein besserer Gebrauchsgrafiker geächtet wurde. Er selbst nannte es einen "schrecklichen Fehler". So weit ist Ulman noch nicht, sie sagt, der Erfolg habe ihr geholfen, zur Performance habe von Anfang an gehört, dass sie in den Mainstream-Medien präsent ist. Ihre Arbeit ist die meistbesprochene und -gezeigte, wenn es um Instagram und Kunst geht.
Oft bekommt sie zu hören, was (junge) Frauen immer zu hören bekommen, wenn sie selbst in ihren Arbeiten zu sehen sind: Das ist keine Kunst. Sie sehen einfach nur gut aus. Das ist Narzissmus. Obwohl sie diesen Rückschlag vorhergesehen hatte und versuchte abzufedern, indem sie vor Beginn der Performance ein Schreiben an Kuratoren und Institutionen schickte, damit hinterher niemand denken würde: "Oh, eine junge Frau macht etwas Verrücktes auf Instagram und nennt es dann auch noch Kunst! Himmel!" Natürlich denken das jetzt trotzdem viele Leute, erzählt sie mir. Und man muss nur einmal mitverfolgen, was in den Medien geschrieben wird, wenn es um junge Frauen und Selfies geht. Die Narzissmus-Keule schlägt alles kurz und klein. Alicia Eler hat in ihrem Buch "The Selfie Generation. How Our Self Images are Changing Our Notion of Privacy, Sex, Consent, and Culture" reihenweise Beispiele dafür gesammelt.
Der bekannteste Fall ist wohl das Foto von der damaligen Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton, der hunderte junge Frauen den Rücken zukehren, um ein Selfie mit ihr zu machen. Das Foto diente in den Medien als Beweis für die Selbstverliebtheit und Selfie-Obsession junger Frauen. Unterschlagen wurde gern, dass Hillary Clinton sie dazu aufforderte, sich umzudrehen: "Okay everybody, turn around and we’ll do a group selfie", sagte sie. Man kann sich also vorstellen, wie es einer Künstlerin ergeht, die in einer Arbeit auf Selfies und soziale Medien setzt.
Deshalb das Buch. Ulman stellt den Kontext, in dem sie ihre Performance gesehen haben möchte, selbst her. Dafür hat sie sich namhafte Unterstützung geholt. Die Künstlerin Hito Steyerl beispielsweise hat einen Essay beigesteuert. Und der Selfie-Experte Rob Horning legt einen Essay vor, der auf einem schriftlichen Austausch mit Amalia Ulman über Themen basiert, die auf dem Panel "Instagram as An Artistic Medium" mit Hans Ulrich Obrist, Klaus Biesenbach, Kevin Systrom und ihr diskutiert wurden. Das Panel fand im Dezember 2014 auf der Art Basel / Miami Beach statt.
Horning schreibt: "Performing the self on social media sometimes seems like an endless interview with no interviewers and competing interviewees projecting the questions they want to answer onto an audience that may be entirely preoccupied with questions they were wished to be asked."
Zu viele Sender, zu wenige Empfänger. Wer gehört und gesehen werden will, muss im Strom mitschwimmen, wie es Ulman in ihrer Performance gemacht hat. Weil sie sich ihrer Umgebung wie ein Chamäleon anpasste, weil sie nur eine von vielen war, die eben auch schön, perfekt und – mit Höhen und Tiefen – erfolgreich ist, haben ihre Follower ihr geglaubt. Ihre Performance konserviert das kuratierte Ich im 21. Jahrhundert, das Buch archiviert ihre Performance. Und das besser, als es Instagram oder eine Website könnten, auch wenn die Performance natürlich gemacht wurde, um auf Instagram angesehen zu werden. Nur wer weiß, wie lange es die Plattform noch geben wird?
Amalia Ulman derweil weiß sehr genau, dass ihre zweite Instagram-Performance "Privilege" ihre letzte ist.