Monopols Aprilscherz, dass Chris Dercon die kommende Documenta leitet, klang für viele Leser plausibel: Unsere Falschmeldung hatte eine bislang übersehene Verbindung hergestellt, denn zwischen dem Fall des Volksbühnen-Intendanten und dem des Documenta-Leiters Adam Szymczyk gibt es überraschende Parallelen. Beide Kuratoren waren angetreten mit großen Visionen, gestützt von der Politik. Beide Kuratoren wurden fallengelassen – nicht zuletzt auch von der Politik.
Dercon kam aus der Londoner Tate Modern nach Berlin, um das traditionsreiche Ensembletheater einzugliedern unter einer Dachmarke mit dem Titel "Neue Volksbühnen", zu der auch eine Spielstätte am ehemaligen Flughafen Tempelhof gehören sollte. Er verhandelte damals nach jüngsten Recherchen offenbar auch mit dem Kunstmuseum Basel, wo er sicher einen gemütlichen und finanziell abgesicherten Job antreten hätte können. Doch Dercon reizte der Berliner Entwurf: "Ich fand den Mikrokosmos, die Vision der Neuen Volksbühne mit Pollesch auf der einer Seite und der ganz großen Hangar-Bühne mit dem riesigen Foyer von Tempelhof auf der anderen Seite sehr spannend: Kunst als soziale Arbeit und City-Making."
Szymczyks Tempelhof war Athen, wo die Documenta 2017 nach Vorschlag des polnischen Kurators gleichberechtig neben Kassel stattfand. Eine mutige Entscheidung, die der weiteren Karlsauenland-Verspießerung der Weltkunstausstellung entgegenwirkte. Doch Dercon wie Szymczyk wurden für die Erweiterung der jeweiligen Kernmarke massiv angegriffen, beide kämpften mit Kritik, die immer wieder auch persönlich und latent oder offen fremdenfeindlich war. Wiederholt geriet dabei der ganze Berufsstand des Kurators ins Visier.
Auch in Folge dieser Zermürbung kamen weniger Besucher als erwartet und – im Fall der Volksbühne – blieben Sponsoren fern. Jetzt droht dem Theater eine finanzielle Schieflage, die Documenta endete mit einem Millionendefizit.
"Unser Problem war, dass wir die Miete in Tempelhof nicht bezahlen konnten", sagte Chris Dercon. Das Documenta-Defizit entstand laut einem externen Bericht am Standort Athen. Obwohl in Berlin und Kassel das Kostenrisiko von Anfang an klar war und von der Politik mitgetragen wurde, wurden beide Kuratoren fallengelassen, als ihre finanziellen Schwierigkeiten offenbar wurden. Der Belgier habe in keiner Weise gegengesteuert, befindet jetzt Berlins Kultursenator Klaus Lederer: "Es gab keinerlei Ansatz, keinerlei Idee, wo es hingehen sollte." In Kassel lancierte der mit Politikern besetzte Aufsichtsrat kurz vor Beendigung der Ausstellung, auf dem Höhepunkt des Bundestagswahlkampfs, das Defizit gleich selbst – um auf Distanz zu den Machern zu gehen und sich als Stimme der Vernunft darzustellen.
In beiden Fällen waren inzwischen verantwortliche Politiker aus dem Amt geschieden – in Kassel SPD-Oberbürgermeister Bertram Hilgen, in Berlin SPD-Staatssekretär Tim Renner –, ihre Nachfolger mussten und müssen keine Loyalität aufbringen. Die ganze Last kann so allein auf die Kuratoren geschoben werden, und das drohende Defizit der Volksbühne wird nun genauso skandalisiert wie vor einigen Monaten das Defizit der Documenta – und als quantifizierbarer Beleg für vermeintliche inhaltliche Mängel herangezogen.
Am Ende dieser Abwärtsspirale sind sowohl die Documenta und Volksbühne beschädigt als auch die Namen der Kuratoren.
Von der Kunst erwarten wir Freiheit und Überraschung, die Politik hofft auch auf Stadtmarketing-Effekte. Doch wenn Kuratoren tatsächlich wagen, die Struktur einer Institution anzufassen, werden sie persönlich attackiert. Je komplexer es wird, desto mehr wird eine konkrete Person zur Zielscheibe. Als ginge es um ein Kräftemessen zwischen Individuum und Instanz: Du willst meine geliebte Institution zerstören, dann zerstöre ich dich!
Dieser Fokus auf die Person kommt wieder der Politik zugute, die nun Umstrukterierungen in ihrem Sinne vorantreiben kann. Museumsdirektoren und Künstler befürchten schon die "reine Kommerzialisierung und Vermarktung der Marke Documenta". Es wäre tatsächlich fatal, wenn nach den Erfahrungen aus Kassel und der Volksbühnen-Farce eine neue Kleingeistigkeit einzieht. Die öffentliche Hand muss Raum für Experimente lassen, das Publikum die Möglichkeit des Scheiterns umarmen, statt mit Verachtung die Rolle des Kurators zu schwächen. In Berlin und Kassel haben jetzt Interims-Geschäftsführer übernommen. Wollen wir, dass sie unsere Kunsterfahrung dauerhaft prägen?