Kein Tag ohne Kontroversen und Skandale. In der Woche, in der Neïl Beloufas Ausstellung "L'Ennemi de mon ennemi" im Pariser Palais de Tokyo eröffnete, meldete Monopol online drei Starts von Künstler-Petitionen, zwei Fälle von abgehängter Kunst und zwei Plagiatsvorwürfe. Von der #MeToo-Kampagne bis zur Debatte um Gedenkkultur: Der politische Kampf um kulturelle Symbolik ist tief in die Kunstwelt eingedrungen. Da Affekte im Netz mit Aufmerksamkeit belohnt werden, rasen die Säue immer schneller durchs globale Dorf.
Beloufas Ausstellung kann man als parodistische Verräumlichung nervös tickender Newsportale und sozialer Medien verstehen, mit der er die Legitimierung von Autorität durch Kunst, PR und Propaganda skizziert. Nach einem Prolog in den ersten zwei Räumen, in denen der 1985 geborene Pariser neben eigenen Werken Gustave Courbet als Prototyp eines Künstlers zwischen Individualismus und Abhängigkeit vorstellt, zeigt er historische und aktuelle Beispiele bildhafter Repräsentation von Macht: Reproduktionen der Obama-Porträts, Picassos Stalin-Zeichnung für eine Zeitung, Werbeclips zur Rekrutierung von Soldaten, reale und nachgebaute Exponate aus Kriegsmuseen, Fotos der Aktion des Künstlerkollektivs Zentrum für Politische Schönheit vor dem Haus des AfD-Politikers Björn Höcke und vieles, sehr vieles mehr.
Ergänzt werden solche dokumentarischen Ausstellungsstücke durch tatsächliche Kunstwerke, unter anderem von Katja Novitskova, Thomas Hirschhorn, Hito Steyerl.
Doch damit der Überforderung nicht genug: Die meisten Displays werden von kistenförmigen Robotern herumgefahren und so immer wieder neu in Beziehung miteinander und mit auf dem Boden stehenden Schlagworten wie "Empathie", "Fetischisierung" oder "Abstraktion" gesetzt. Ein Parcours als unhierarchischer Newsfeed, der ständig neue Zusammenhänge und ein summendes Gefühl von Erregung schafft.
Die eigentliche Provokation ist die Gleichgültigkeit, mit der hier – ähnlich wie in vermeintlich urheberrechtsfreien sozialen Netzwerken – Originale wie Repliken behandelt werden. Es sei keine Kunstausstellung, hatte der französisch-algerische Künstler vorab im Monopol-Interview gesagt, sondern "ein Experiment, um den Widersprüchen zu entkommen". Die Idee dazu sei entstanden, als er zu einem Wettbewerb für ein Monument für die Opfer der Auslandseinsätze des französischen Militärs eingeladen wurde.
Herausgekommen ist ein visueller Essay, der von den Zweifeln eines bereits etablierten Künstlers an seiner eigenen Rolle zeugt. Solche Offenheit ist selten und wertvoll und überdeckt alle Einsprüche formaler Art. Man mag die Ausstellung überladen finden, fragmentarisch, anmaßend, schlampig sogar, aber sie hat in ihrer Rohheit und Ehrlichkeit eine ungeheure Kraft. Den Selbstwidersprüche entkommt Neïl Beloufa nicht, sie sind hier auch nicht wegkuratiert, sondern eigentliches Thema der Ausstellung. Ein großer Wurf!