So schwer wie der Brutalismus haben es nur wenige Baustile. Fachleute sind sich nicht einmal einig, ob man überhaupt von einem brutalistischen Stil sprechen kann. Als Oberbegriff für Bauten aus Sichtbeton legt er dank Social Media eine zweite, steile Karriere hin. Hipster lieben und fotografieren ihn, aber hier leben, nein danke. Die Bewohner hassen ihn, aber dort leben, das müssen sie. Wegen ihrer Rigorosität und Rohheit wurden viele Bauten abgerissen oder sind aktuell bedroht. Eine umfangreiche Publikation hat jetzt eine "Rote Liste" erstellt.
Das Buch geht auf eine Initiative zurück, die dazu aufrief, brutalistische Bauten zu dokumentieren. Bis September 2017 kamen über das Hashtag #SOSBrutalism 1100 brutalistische Bauten zusammen. "SOS Brutalismus" ist eine internationale Bestandsaufnahme, die mit äußerster Sorgfalt dokumentiert und sich zum Ziel gesetzt hat, die Grenze zwischen Fachwelt und Öffentlichkeit zu überwinden. Dabei sollte die Kampagne in den sozialen Medien helfen, die die Aufmerksamkeit auf die Zerstörung gelegt hat.
Die 716 Seiten des Buches bieten nun einen tieferen Einstieg in die Debatte, sie zeigen, was Brutalismus ist und wie er sich jeweils regional entwickelt hat, etwa in Japan, Marokko und New Haven. Essays und Fallstudien zeichnen die ganz eigene Dynamik des Brutalismus nach. Und die emphatischen Autoren schaffen es wirklich, dass man die einstigen Betonmonster nach der Lektüre unter Artenschutz
stellen möchte.