Der virtuelle Fahrstuhl nach oben geht schon gleich gut in den Magen. Durch einen Schlitz in der Tür ist eine Metropole mit Skyline zu sehen, der Lift beschleunigt, die Tür öffnet sich, und vor den Füßen ragt nur noch ein Brett ins Nichts.
Selten hat es so wenig Spaß gemacht, mit Brille in ein virtuelles Szenario versetzt zu werden. Keine Surfwellen, keine Achterbahnfahrt, wie sie auf den Aktionsflächen der Shoppingmalls angeboten werden. Hier herrscht nur nackte Höhenangst. Die Erfahrung ist hochgradig irrational und in ihrer Heftigkeit erstaunlich. Denn wir befinden uns im ersten Stock des Frankfurter Kunstvereins, sind auf ein wenige Zentimeter dickes, am Boden liegendes Holzbrett getreten (das mit dem aus der Brillenperspektive kongruent ist) und haben unbegreifliche Panik vor einer nicht mal besonders kunstvollen Hochhausschlucht.
"Perception is Reality" geht von der These aus, dass sich alles, was wir wahrnehmen, zu unserer Auffassung von Wirklichkeit zusammensetzt. Die Ausstellung zeigt digitale Kunstwerke – einige mittels VR-Brille, andere über Beamer erlebbar – und wenige analoge Beiträge wie von Thomas Demand oder Alicja Kwade, ohne beide Welten gegeneinander auszuspielen. Hans Op de Beecks "Garden Room" ist eine steingraue, in die Unendlichkeit verspiegelte Lounge, die sich an jedem Ort der Welt, auch unter der Erde oder im All, befinden könnte. Die exklusive comfort zone als lieblich-toter Unort bereitet ein herrlich taubes Unbehagen entlang aller Geschmacksgrenzen.
David O'Reilly war Animation Director in Spike Jonzes Film "Her", hier stellt er eine Reise durch Wahrnehmungsraster aus, vom Einzeller über die Tierperspektive bis zum großen Ganzen. Per Joystick schlüpft man von einer wundersamen Aussicht in die nächste. "Everything" zeigt jenseits linearer Ereignisse, wie auch abstrakte Strukturen in immersiven Welten erlebbar werden.
Ein echter Coup der Kuratorin Franziska Nori ist die Zusammenarbeit mit dem LKA Bayern, das weltweit führend ist im Nachbilden von digitalen 3-D-Tatorten. In Expertenkonferenzen können so Ermittlungen über alle Grenzen hinweg stattfinden – an nachgebildeten Schauplätzen, die oft gruselig spießig eingerichtet sind, wie vier Beispiele zeigen.
Noch mal zurück auf das Brett, zur "Plank Experience" der Gruppe Toast, das zu verlassen 200 virtuelle Meter freien Fall bedeutet. Es kostet überhaupt nichts, einen Schritt nach vorne zu machen, sagt der Verstand. Es kostet das Leben, sagen die Gefühle, und gewinnen. "Plank Experience" zeigt, wie stark unsere Instinkte gegen jede Abstraktionsleistung ankämpfen, und dass unsere eigene Software mitunter die Hardware lahmlegt. Der Sturz fühlt sich dann genauso an wie im Traum, genauso schrecklich, genauso toll.