Als die Serpentine Gallery und der Sponsor Dornbracht am Donnerstag zum Talk mit Anne Imhof luden, zeigte sich im Publikum, wie breit das Interesse für die 1978 geborene deutsche Künstlerin auch international inzwischen ist. So waren die junge Turner-Preisträgerin Helen Marten anwesend, der Architekt Francis Keré, der den nächsten temporären Serpentine Pavillon errichten wird, sowie der ehemalige Direktor der Royal Academy, Norman Rosenthal.
Auch Franziska Aigner saß im Publikum, eine der Performerinnen aus Imhofs Stück "Faust", für das die Kuratorin des Deutschen Pavillions Susanne Pfeffer und die Künstlerin gerade den Goldenen Löwen für den besten Länderbeitrag der 57. Kunstbiennale in Venedig erhalten hatten.
Die erste Frage des Interviewers Hans-Ulrich Obrist gilt stets dem ersten Werk einer Künstlerin oder eines Künstlers, das ja biografisch jenen Moment markiert, in dem sich jemand selbst als Künstler versteht. Bei Anne Imhof war das eine Veranstaltung in einer Table-Dance-Bar im Frankfurter Rotlichtviertel. Zwei Boxer und eine Band waren Teil davon, und die Boxer durften so lange nicht aufhören zu kämpfen wie die Band spielt, während die Band so lange spielen musste, wie die Boxer kämpften. Es gab blutige Nasen und keinen Ausweg.
Während das Stück "Faust" von Anne Imhof stumm und eindringlich ist, zeigte sie selbst sich als offen und mitteilsam. Über die Beziehung zu ihren Performern, mit denen sie eng zusammenarbeitet und befreundet ist, über den Zugang zur Welt des Tanzes, den ihr Teammitglied Billy Bultheel verschaffte, und über die Eigenschaften, die sie an den einzelnen Persönlichkeiten ihres Teams schätzt. Nicht nur in ihrer Dankesrede zur Verleihung des Löwen betonte sie deren Leistung und individuelle Qualitäten. "Jeder handelt in Faust als er selbst", antwortete sie auf die Frage danach, wie die Personen gecastet seien. "Sie führen keine Rolle aus. Die Besetzung fand nicht aufgrund dessen statt, dass jemand besonders gut aussieht. Darum ist es so stark."
Warum Anne Imhof?
Von Obrist gefragt, wie die Wahl auf Anne Imhof fiel, sagte Susanne Pfeffer, dass es sehr schnell sehr klar für sie gewesen sei, auch wenn sie zwei Monate lang recherchiert habe, um das gesamte Panorama der gegenwärtigen Kunst Im Blick zu haben. "Es war für mich die einzige Wahl." Anne Imhof reflektiere die Veränderungen, die mit unseren Körpern passieren, in politischer und technologischer Hinsicht und vertrete einen starken Realismus in einer Zeit großer Transformationen.
Für jene Zuschauer, die in eines von Anne Imhofs Stücken bereits gesehen hatten, war es spannend, zu erfahren, wie die Fernsteuerung der Performer durch die Künstlerin per Mobiltelefon-Nachrichten tatsächlich funktioniert. Sie schreibe manchmal auch Nachrichten, die nicht gelesen würden, erzählt Anne Imhof. "Der Gone-Factor ist sehr groß."
Eine weitere publikumsrelevante Frage war die nach den weiteren Aufführungen. Während der Laufzeit von sieben Monaten werde eine "tägliche Routine" gezeigt, in der weniger Performer auftreten, das ganze Stück gebe es während der Laufzeit noch viel Mal zu sehen. "Ein solches Stück kann man nicht jeden Tag zeigen. Wie? Und warum auch?", sagte Imhof. Schon die Intensität eines Schreis sei am zweiten Tag eine andere.
"Sehen Sie sich als faustische Figur?"
Als sich Norman Rosenthal aus dem Publikum zu Wort meldete, hatte es den Anschein, er wolle die Künstlerin einschüchtern mit seiner Frage, ob sie sich der großen Bilder bewusst sei, die Künstler wie Polke, Baselitz und Beuys im deutschen Pavillon erzeugt hätten. Die Zeichnungen, die die Performer in die Wände des Pavillons ritzen, stehen in Beziehung zu Polke, der damals direkt auf die Wand gemalt habe, erwiderte Imhof. Rosenthal hatte den deutschen Pavillon noch nicht gesehen, fragte aber unverdrossen weiter, welchen Klang "Faust" für sie habe? "Es ist mir bewusst, dass 'Faust' in Deutschland etwas ist, dem mit Respekt begegnet wird", antwortete die Künstlerin. "Wenn aus einer Million Menschen bei 'Faust' einer an diesen Pavillon denkt, bin ich dankbar."
Rosenthal ließ nicht locker: "Beuys war eine faustische Figur! Sehen Sie sich als faustische Figur?" Oh nein, sagte Anne Imhof liebenswürdig, aber sie habe diesen Namen gewählt.