Der Schauspieler Lars Eidinger – Metallgebiss, Make-up, mehrere Schwänze – kauert auf einer umgestürzten Skulptur und fragt beunruhigend leise: "Ist hier alles frohen Mutes in the House of Boogie Love?" Später wird er an den glitzernden Weichteilen einer Riesenschnecke lecken, während seine Kollegin Bibiana Beglau in einem Geo-Dome aus ausgestopften Herrensocken generalstabsmäßig die Nerven verliert. Zur Eröffnung von John Bocks erster großer Ausstellung in einer Berliner Institution vibriert die Luft, und bunte Lichter quirlen die Wahrnehmung. Auf Jahrmarkt-Spiralscheiben kreiselt ein Schlagzeuger, hinter den freundlichen Barkeepern im Foodtruck verbreitet im Verborgenen eine haarige Triebkreatur tiefes Unbehagen. Der Künstler John Bock sitzt am Boden und knetet konzentriert kleine Skulpturen, die er verschenkt.
John Bock, der auf dem Land in Norddeutschland aufgewachsen ist und erst BWL, dann Kunst studierte, zelebriert schon immer das Überbordende, Chaos, Splatter, Anarchie. Dabei könnte man leicht übersehen, wie genau er sein Anliegen verfolgt. Knietief im Modder, mit Kunstblut, alter Pizza oder marodierendem Rasierschaum baut er Distanzen zwischen Rezipient und Kunst ab. Als Performer setzt er dabei auf totale Verausgabung, auf Körpereinsatz, Allesgeben mit dem Material, das da ist. Mit cremigem Liquid und Schrebergartenschrott gegen die Oberflächenperfektion, für die dahinschmelzende Schwellenangst beim Rezipienten. Keine Material-Ehrfurcht, dafür "Aura-Aroma": Die charakteristischen Wortschöpfungen von John Bock sind ihrerseits schillernde kleine Skulpturen, wenn man sie nur mal ein bisschen stehen lässt.
"Mir geht es um die Kunstwohlfahrt", sagt der Künstler, der viel weniger matschender Berserker als feinsinniger Menschenfreund ist. In den 90er-Jahren hielt er in seinen Installationen Vorträge, die Sprache und Methode aus der Welt der Wirtschaft entliehen: BWL-Formeln zur Errechnung des Kaufverhaltens, übertragen zum Beispiel auf die Frage: Henry Moore oder Donald Judd, und wie liegen die Interdependenzen mit Joseph Beuys? Wer diese poetisch ziellosen Beweisführungen, schäumende Bilanzen ohne eine einzige Zahl mal gehört hatte, konnte danach die Nullerjahre leichter überstehen – jenes Jahrzehnt, in dem die Welt mit PowerPoint-Präsentationen zugrunde gerichtet wurde.
In der Berlinischen Galerie zeigt John Bock jetzt in elf Etappen Videos, Installationen und Skulpturen. Manche leise wie das Klappern eines kleinen alten Brillenbügels. Manchmal laut wie die existenziellen Ausraster der Schauspieler in seinen Videos, die angelehnt ans Genrekino (Western, Actionfilm, Thriller) bei aller tumulthafter Absurdität immer präzise zutreffend sind. "Leider", sagt er, "ist in unserer Gesellschaft die Intuitionswelt ganz klar eine Unsinnswelt."