Kunst kann nichts zur Lösung drängender gesellschaftlicher Probleme beitragen, befand die deutsche Bildhauerin Charlotte Posenenske im Revoltejahr 1968, eine Erkenntnis, die für sie nur eine Konsequenz zuließ: Sie stellte die Produktion komplett ein. Wie selten gelingt es doch Künstlern, soziale und ökologische Missstände auch nur im Kunstbetrieb zu kontrollieren, geschweige denn außerhalb ihres Wirkungskreises Zeichen zu setzen.
2011 ist das Revoltejahr für den Maghreb und Nahen Osten, und vielleicht trägt der demokratische Aufbruch vor Ort auch dazu bei, bei einigen Prestigeprojekten reicher Golfstaaten genauer hinzuschauen. Der Zusammenhang drängt sich auf, wenn man nun von einer Petition hört, die mehr als 130 internationale Künstler und Kuratoren unterschrieben haben: Sie fordern bessere Bedingungen für die Gastarbeiter auf der Baustelle der neuen Guggenheim-Filiale in Abu Dhabi, der Hauptstadt der Vereinigten Arabischen Emirate. Zu den Unterzeichnern gehören Shirin Neshat, Martha Rosler, Barbara Kruger, Rirkrit Tiravanija, Ute Meta Bauer und auch deutsche und in Deutschland lebende Künstler wie Mona Hatoum, Monica Bonvicini, Christine Hill, Hans Haake, Katharina Sieverding, Harun Farocki und Marcel Odenbach.
Die neue Guggenheim-Filiale, deren Bau 800 Million Dollar kosten wird und die 2015 eröffnen soll, wurde von Frank Gehry entworfen und ist Teil des riesigen Saadiyat-Island-Komplexes, für den auch eine Dependance des Pariser Louvres (entworfen von Jean Nouvel) und weitere Museen, Hotels, Wohnblöcke und Golfclubs geplant sind. Künstler schreiben in einem offenen Brief an Richard Armstrong, dem Direktor der Solomon R. Guggenheim Foundation: „Die Menschenrechtsverletzungen, die dem Ansehen von Guggenheim schaden, sind eine ernste moralische Herausforderung für all diejenigen, die von dem Museum für eine Zusammenarbeit angefragt sind.”
Grundlage für den Brief sind zwei ausführliche Berichte der nichtstaatlichen Organisation Human Rights Watch, die gravierende Verletzungen der Rechte der auf der Insel beschäftigten Arbeitsmigranten feststellten: Die Arbeiter werden schlecht bezahlt, sie werden durch die vom Arbeitgeber einbehaltene Anwerbegebühren in Abhängigkeit gehalten, es werde ihnen eine Verteidigung ihrer Arbeitsrechte und sogar die Kündigung verweigert.
Die Unterzeichner des Briefes fordern die Guggenheim-Stiftung auf, die Missstände abzustellen, internationale Standards und Rechte für die Arbeiter zu garantieren und eine Kontrolle einzusetzen, die die Einhaltung überwacht. Die Künstler und Kuratoren drohten damit, ihre Zusammenarbeit mit dem Museum in Abu Dhabi und mit Guggenheim-Zweigstellen in der ganzen Welt einzustellen.
Der im Libanon geborene Walid Raad, gemeinsam mit Emily Jacir Organisator des Boykotts, schreibt in einem Statement: „Denjenigen, die mit Steinen und Mörtel arbeiten, sollte der gleiche Respekt zustehen, wie denjenigen, die Kameras und Pinsel benutzen.“
Richard Armstrong, der sich in dieser Woche auf der Kunstmesse Art Dubai aufhielt, nahm gegenüber der „New York Times“ Stellung: „Ich habe das Arbeiterdorf besucht, und die Unterkünfte suchen ihresgleichen.“ Er bezieht sich damit auf das Containerdorf, in dem die beinah 16.000 Arbeiter untergebracht sind. Armstrong fügte hinzu, dass die für den Bau der Insel zuständige staatliche Tourism Development and Investment Company erst kürzlich bekanntgegeben habe, eine Aufsicht zu schaffen, die die Einhaltung von Arbeitsrechten auf den Baustellen kontrolliert.