Herr Keller, Herr Kosmas, welchen Einfluss hat das Web 2.0 auf Ihre Arbeit?
DANIEL KELLER: Wir benutzen es nicht direkt, aber wir posten in sozialen Netzwerken Ideen, Artikel und Bilder, die unsere Arbeiten vielleicht in neue Zusammenhänge stellen.
NIK KOSMAS: Früher hatten wir einen Platz für gefundenes Material auf unserer Website, heute stellen wir es direkt vom iPhone auf Facebook. So entsteht eine Art stream of content. Unsere Präsenz online …
DK: … beeinflusst dabei gar nicht so stark einzelne Werke.
Aber die ständige Auseinandersetzung mit dem Publikum bestimmt doch zwangsläufig das Arbeiten!
DK: Okay, wir mögen die „Gefällt mir“-Funktion bei Facebook.
NK: Wir wollen die jetzt auch bei jedem unserer Kunstwerke installieren, damit der Betrachter direkt Feedback abgeben kann. Facebook kann doch ein Rechercheinstrument für Künstler sein, um herauszufinden, was gut funktioniert.
Untergräbt das nicht die künstlerische Freiheit?
NK: Damit können wir umgehen. Wir sind ohnehin keine Künstler auf einsamer Mission, die sich nicht darum kümmern, was Leute denken. Wir wollen kommunizieren! Und die Richtung, in die wir gehen wollen, kennen wir sowieso.
DK: Natürlich birgt es auch ein Risiko. Aber wir haben es bei Facebook auch mit einem vorsortierten Publikum zu tun, das ein Verständnis für unsere Ideen aufbringt.
Was halten Sie vom Internet als Ausstellungsort?
DK: Wir sind vor allem Ausstellungsdesigner, wir denken in Ausstellungen und an Inhalt, der Räume füllt. Im Internet kann man nur Dokumentationen und den Kontext von Ausstellungen zeigen.
Fürchten Sie nicht, dass das Überangebot an kreativem Output, der durch Web 2.0 möglich wird, Ihre Kunst abwertet?
DK: Wir versuchen nicht in Opposition zu dieser Schwemme zu gehen, sondern darin unsere eigene Position zu finden. Klar, man muss aufpassen, dass man kein Trendforscher wird. Früher gab es Kunstbewegungen, heute eher Mikrotrends. Früher sind Leute zusammengekommen, weil sie gemeinsam an eine Sache glaubten. Heute kommen sie im Internet zusammen, weil es zweckmäßig erscheint.
Das Internet ist auch ein Materiallager für viele Künstler geworden.
DK: Vergangenes Jahr haben wir eine Performance aufgeführt, in der eine Art Wahrsagerin von einer Twitter-Suchseite diejenigen Tweets abliest, die die Wortsequenz „es wird sein“ enthalten. Wir benutzen also existierende Werkzeuge. Mit Programmiersprache haben wir allerdings noch nicht gearbeitet, wir können auch nicht programmieren.
NK: Das Web 2.0 existiert, und wir schauen, was wir benutzen können. Das hat nichts mehr mit dem Hacking der Netkünstler zu tun, die mit dem Web 1.0 gearbeitet haben. Wir sind keine Künstler, die ständig neue Territorien besetzen wollen …
DK: … wir nehmen das Web eher als einen Rahmen, um Realität anzuschauen. Das Web ist ein Tor für Information, die ein- und ausgeht.
So wird in Ihrer Arbeit nicht mehr das Medium zur Botschaft, wie das noch Marshall McLuhan formulierte?
DK: Das Medium ist das Medium und auch die Botschaft. Bei uns ist nicht das Internet Thema, sondern eher Technologie und ihre Beziehung zur Geschichte. Im Moment sind wir fasziniert von der Idee der digital physics, ob nicht alles Seiende aus Information besteht, „It from Bit“, wie es der Physiker John Wheeler nannte.
NK: Alles programmiert sich selbst, der Inhalt vom Tisch wäre „Tisch“.
DK In der Gegenwartskunst geht es häufig um das Materielle und das Immaterielle, und vielleicht sollten wir diese Terminologie loswerden, weil sie eine veraltete Sicht auf die Dinge offenbart. Es ist doch so: Wenn man etwas gut genug modellieren kann, dann ist es als Fakt vorhanden und performt als Ding in der Materie.
NK: Die Technik schreitet schneller voran, als die meisten Menschen denken können. Irgendwann sitzen wir da, bestellen Hosen im Internet, drucken sie sofort aus und wundern uns, wie es dazu kommen konnte. Es wird leichter werden, zwischen Materie und ihrer mathematischen Repräsentation zu switchen, hin und her.
DK: Erst in den letzten Jahren wird auch in der Kunstwelt darüber diskutiert …
NK: … weil es nun sichtbarer wird.
Technik hinkt der Theorie hinterher.
DK: Und Kunst der Technik.
Auch in Ihrem Werk?
DK: Jedes Kunstwerk passt in diese Theorie von Wheeler. Eine Teetasse ist genauso Information wie ein Netzkunstwerk.
NK: Aber es gibt da diese Arbeit von uns, die ein wenig diese Theorie erklärt …
DK: Genau, diese Kitschskulptur von einem Außerirdischen, der einen USB-Stick in der Hand hält, auf dem der Code für seine Reproduktion, seine DNA, gespeichert ist. Oder es gibt diese Serie von Arbeiten aus Solarmodulen …
NK: … die als Kunst einen höheren Energiewert haben als eigentliche Solarmodule, weil Sammler mehr Geld für diese Kunst bezahlen als die Herstellung kostet und Betrachter über die Arbeiten reden.
Klingt schon nach einer handfesten Utopie! Ein Thema bei Ihnen?
NK: Wie sind uns schon bewusst, dass Leute auch heute noch Utopien entwerfen. Aber ich sehe eigentlich nicht so viele utopische Möglichkeiten. Leute entwickeln sich weiter und das Leben ändert sich.
DK: Dennoch diskutieren wir mit dieser Arbeit auch utopische Entwürfe, aber wir tun es mit reichlich Skepsis.
NK: Wir sind nicht nur Cheerleader, wir sind nicht nur Skeptiker, sondern wir setzen uns verschiedene Hüte zu verschiedenen Zeiten des Tages auf, fertig.
Netzkunst 2.0 - Die Interviewserie online:
Cory Arcangel
Oliver Laric
Franco Mattes von 0100101110101101.ORG