Sie haben Regie geführt bei einem Western, spielen Sie auch selbst noch in Ihren Filmen mit?
Nein, manchmal übernehme ich noch eine Nebenrolle, wenn jemand ausfällt oder ich denke, dass noch eine Figur fehlt. Aber im Grunde spiele ich nicht mehr selbst. Die Nervosität ist gewachsen in den letzten Jahren. Außerdem denke ich, die Wesenspräsenz meiner Person wurde allmählich zugeschwemmt durch die Dauerpräsenz meines Gesichts. Andere Personen heranzuziehen, ist für die Leute neu, frischer und auch überraschender. Ich nenne sie mein Quasi-Ich.
In Ihrem Western spielen Bibiana Beglau, Lars Eidinger, Laurenz Leky, Frank Seppeler mit. Ist Eidinger Ihr Quasi-Ich?
Ja, und er kann es auch viel besser, muss ich sagen! Der Film heißt "Hells Bells", wir haben ihn in einem Westerndorf in Templin gedreht, er ist 90 Minuten lang und sehr dunkel. Die Musik, die Bilder, er spielt auch in der Nacht.
Es gibt auch die Figur eines gehörlosen Kindes, mit dem die Hauptfigur unterwegs ist.
Das Kind ist das Ur-Böse, wie ein spielender Mephisto. Man denkt das zuerst nicht, aber dieses Mädchen lenkt alles. Sie lenkt sogar Django. Mein Django ist weiblich und wird von Bibiana Beglau gespielt. Dadurch versuche ich, das upside down zu kehren. Aber sogar sie hat Angst vor dem Kind, das wird auch später deutlich. Am Ende gibt es einen Showdown, und dann stirbt der Bösewicht, der von Lars Eidinger gespielt wird.
Das Sujet "Western" ist doch heute eigentlich nur noch als Zitat denkbar, oder?
Wieso? Gut und Böse gibt es doch bis heute, in Actionfilmen zum Beispiel. Ich bin stark inspiriert von Italo-Western, also beispielsweise tatsächlich "Django", oder Filme mit Terence Hill und Bud Spencer. In den Spaghettiwestern, wie bei Sergio Leone, ist der Gute auch immer zugleich böse. Zuvor gab es das nicht. Clint Eastwood war zum ersten Mal böse, auch fies.
Ist die Handlung auch von den klassischen Western-Konflikten geprägt – Ohnmacht, Rache und Schuld?
Ja. Es gibt Missverständnisse, der eine überreagiert und will den anderen erschießen. So läuft das beim Western. In meinem Western ist die Frau die gefährliche starke Person. Bibiana Beglau ist da die Richtige, sie kann der Rolle auch sprachlich sehr viel geben. Sie hat so ganz eigene Dinge entwickelt, zum Beispiel, wenn das Gegenüber etwas sagt, und sie eigentlich etwas erwidern müsste. Und dann wartet sie zwei Sekunden. Das ist so eine Unendlichkeit in der Sekunde. Für den Film merkt man: Wow, da fließt jetzt die Unendlichkeit. Denn normalerweise muss man antworten. Und dann kommt sie erst.
Wodurch zeichnete sich die Zusammenarbeit mit Lars Eidinger aus? Beide Schauspieler hatten auch auf Ihrer Eröffnung in der Berlinischen Galerie performt.
Lars ist so ein Typ, der liebt Material, und arbeitet damit. Wenn man ihm was gibt, dann arbeitet der gleich damit. Der braucht aber was. Bei der Eröffnung waren das große lebende Afrikanische Schnecken, und so ein Geburtshelfer. Den benutzt man, um Kälber aus Kühen rauszuziehen.
Die unmittelbare Arbeit mit dem Material ist ja auch für Sie als bildender Künstler wichtig.
Mir kommt es auf die Kunstwohlfahrt an. Meine Kunst geht stark auf den Rezipienten zu. Die Kunst ist bei mir nicht so sehr das Objekt, das man sieht, sondern das, was zwischen Darsteller und Rezipient passiert – mithilfe des Objektes. Das Objekt ist wie ein Instrument. Deswegen leiste ich mir auch, schludrig damit umzugehen, es zu zerkneten. Spuren zu hinterlassen. Meine Oberflächen sind angekratzt, schmutzig, damit man Angst abbaut. Man hat ja eigentlich Angst vor Jeff Koons. Man findet es schön, eine Distanz aufzubauen, aber man hat auch Angst.
Wenn die Angst oder Ehrfurcht vor dem Objekt weg ist, was tritt dann an die Stelle?
Vielleicht sagt man sich: Davor habe ich jetzt keine Angst, jetzt höre ich mir mal an, was er zu sagen hat. Ich lenke die Energie um, ich nenne das Elastizität zwischen Rezipient und Werk. Das Ziel ist die Kunstwohlfahrt. Es geht darum, eine Geschichte mitzugeben oder auch eine Haltung, zur Gesellschaft oder zu sich selbst oder zu seinen Partnern.
Der Verzicht auf feste perfekte Formen stellt also Nähe her. Aber wenn sie oder Ihre Performer loslegen, kann das auch wieder einschüchtern – nicht nur wegen der Flüssigkeiten, mit denen Sie arbeiten.
Ja, das ist so ein Ups-Schutzding – "Der legt ja richtig los, das ist ja ein Berserker". Aber auf der anderen Seite ist es auch gut, wenn die Leute sehen: Der reißt sich den Arsch auf. Er gibt alles in dieser Aktion. Das beruhigt Menschen. Einen Banker hat man ja eher unter Verdacht, weil man ihn nicht agieren sieht. Du siehst ihn tippen und so, aber man weiß nicht, was das für ein Mensch ist. Wenn einer, wie ein Maurer, aktiv ist, kann man ihn über den Anblick kennenlernen. Das ist ein Urinstinkt des Arbeitens. Ich nenne das immer "Stehen in der Ackerfurche". Und dann gibt es eben auch: "Hoch hinauf in die Wesenspräsenz". Deswegen mache ich manchmal gerne etwas in einer erhöhten Position, weil der Mensch zugleich auch der Erde entfliehen möchte. Die Ballerina ist das beste Beispiel. Die hat noch Kontakt, aber ihre Qualität besteht eigentlich darin, dass sie schwebt. Das Stehen in der Luft.
Ist für Sie die Kunst die Wesenspräsenz oder die Ackerfurche? Verhalten sich die beiden überhaupt wie Gegenspieler?
Beides ist gültig. Da ist der Traum des Menschen, der Erdanziehungskraft zu entweichen, und auf der anderen Seite ist Ackerboden. Der ist auch klassisch deutsch. Kiefer, Baselitz, Gerhard Richter ... die wollen eine Präsenz haben: Ich stehe da. Aber ich suche eher die Wesenspräsenz. Das ist das Heilige, das ich anstrebe. Und einfach Flügel aufsetze oder einen Luftballon in die Hand nehme und am liebsten hochschweben würde wie in einem japanischen Cartoon.