Während die westliche Welt elektrifiziert und verdrahtet wurde, feierten Illusionisten größte Erfolge, es war die Zeit von Harry Houdini, Alexander Heimbürger und anderer großer Bühnenmagier. Christopher Priest beschreibt in seinen Roman "Prestige", wie neue technische Entwicklungen im 19. Jahrhundert die Zauberkunst beflügelte: Der Ich-Erzähler pilgert sogar zum revolutionären Ingenieur Nikola Tesla, um sich dort Ideen für einen ultimativen Trick zu besorgen. Aber letztlich waren all die Anstrengungen nur ein Aufbäumen, bevor der Zauber der Illusionisten vom noch größeren Zauber des Kinos abgelöst wurde.
Dieser ganze historische Subtext schwingt mit in der Stettiner Ausstellung des Künstlers Tobias Dostal, der auch als Zauberkünstler arbeitet. Der Ort für seine erste größere Schau könnte also mit dem ehemaligen Umspannwerk und heutigen privaten Ausstellungshaus Trafó Stettin kaum besser gewählt sein.
Und der 34-Jährige weiß den Raum zu nutzen. In der großen Halle beschwören drei Projektoren mit ihrem Rattern sofort die Ära der kulturindustriellen Revolution herauf. Dostal hat sie um Holzkonstruktionen erweitert, über welche die 16mm-Filmstreifen in weiten Schlaufen laufen, so dass man die Materialität des Zelluloids, die Mechanik und Optik dieser Illusionsmaschinen ganz begreifen kann.
Und die gesamte Ausstellung feiert unschuldig die Möglichkeiten von Film. Damit erinnert der Christoph-Schlingensief-Schüler Dostal auch an seinen verstorbenen Lehrer, der mit seinem Animatografen eine ähnliche Faszination mit Filmmaschinen an den Tag legte. Gedreht wurden alle Filme und Videos der Stettiner Ausstellung übrigens in dem von Schlingensief gegründeten Operndorf Afrika in Burkina Faso, in dem Dostal im vergangenen Jahr als Stipendiat arbeitete.
Die drei mit der Bolex-Kamera aufgenommenen Schwarz-Weiß-Filme in der großen Halle zerstören dabei erst einmal das Klischeebild von Afrika als Farblandschaft: Keine rote Erde, keine bunten Kleider, keine blauen Himmel – bei dieser programmatisch "S/W" genannten Ausstellung geht es um Formen und Figuren, von denen Farben nur ablenken würden. Ein Film zeigt eine Savanne, über deren Himmel Sonnen und feenartige Geschöpfe fliegen, die der Künstler direkt auf die Filmstreifen gemalt hat. In einem zweiten Werk sieht man einen afrikanischen Jungen – gefilmt im Operndorf –, auf dessen Handfläche Figuren tanzen, wiederum direkt auf dem Zelluloid gemalt. Es wirkt ein wenig wie ein stiller Aufstand gegen digitale Technik, sich dieser irrsinnig aufwendigen Arbeit auszusetzen, Filmstreifen Bild um Bild zu bemalen und so Animationen herzustellen.
Für den dritten Film hat Tobias Dostal mit Wasser auf Steine gemalt und das langsame Verschwinden der Formen im Stop-Motion-Zeitraffer festgehalten. So huschen Figuren über die Felsbrocken; das Schattenkabinett eines langen Nachmittags. Film, das ist Licht und Dunkelheit und Täuschung.
In drei Nebenräumen der Haupthalle zerlegt und zerbröselt Dostal weiter Filmtechnik, um an Ende dann doch ein Bewegtbild zu haben: Er lässt mit einfachen Mechaniken Zeichnungen vor dem Auge des Betrachters rotieren, lässt Miniprojektoren Einzelbilder an einen Punkt an die Wand werfen – im trägen Gehirn des Betrachters werden die Bilder zu einem Trickfilm zusammengesetzt.
In unserer postfaktischen Ära könnte man Heimweh bekommen nach einer Zeit, in der Illusionen genossen wurde und durchschaut werden wollten, in der Gewissheit, dass es sich um Illusionen handelt, um falsifizierbare Wahrheiten. Dostal legt alle Vorrichtungen und Tricks offen; sie zu verstehen, ist die größte Freude.
Als Zugabe laufen auf der Galerie der großen Halle mehrere (jetzt wieder sehr farbenfrohe) Videos, mit denen Dostal den Zusammenhang von Täuschung und Zauber weiter zusammenführt, diesmal in Zusammenarbeit mit Schülern der Operndorf-Schule. Auch wenn diese Arbeiten (sind sie überhaupt als eigenständige Arbeiten gedacht?) den formalen Rahmen der Ausstellung verrücken: Es ist eine Freude, den Kids dabei zuzuschauen, wie sie selbst mit Hilfe einer Kamera zu Magiern werden.