Es ist einer der produktivsten Widersprüche der jüngsten Kunst, dass Digitalisierung eine neue Faszination an Stofflichkeit und Oberflächen schafft. 3-D-Druck, synthetische Materialien und das Internet der Dinge machen aus Zahlenreihen greifbare Gegenstände und Situationen. "Oberfläche ist eine Illusion, Tiefe auch", wusste schon Sprücheklopfer David Hockney – und zeichnet heute mit dem iPad.
Auch Ellen Blumenstein ist am Ende ihrer dreijährigen Amtszeit als Chefkuratorin des Berliner Ausstellungshauses Kunst-Werke, in der sie den "affektiven Gehalt von Bildern und Objekten" beleuchten wollte (und sich dabei leider immer wieder verzettelte), nun bei der Oberfläche angekommen. In ihrer letzten Ausstellung – konzipiert mit der Tate-Modern-Kuratorin Catherine Wood – lenken 30 Künstler die Aufmerksamkeit auf Touchscreens, Bildschirme und Häute.
Selbst der gestirnte Himmel, eigentlich doch die Tiefe schlechthin, wird in "Secret Surface – Wo Sinn entsteht" zur Oberfläche: Andy Holden setzt die Undurchdringlichkeit des endlosen Alls in Szene mit einer Weltraumfototapete, auf die läppische Wackelaugen geklebt sind, die den Blick des Betrachters höhnisch zurückwerfen. Katharina Sieverdings monumentale Projektion "SDO/NASA" zeigt die Sonne als nervös sprühendes Monster, dessen Membranen man besser nicht durchsticht.
In vielen wunderbaren Einzelwerken verdichtet sich in dieser Schau eine unausgesprochene These: Die Natur, das Individuum, die Medienbilder, Politik, Warenwelt und Kunst produzieren fortlaufend Screens, die zu einem einzigen Mega-Screen verschmelzen, der von keiner Instanz mehr durchdrungen werden kann. Die Künstler scheinen andauernd um eine Leerstelle herumzuschleichen: um Gott. Dessen Abwesenheit ist aber kein Grund zum Trauern: Sie bringt vergnügliche, schillernde und tatsächlich erhabene Oberflächen hervor. Die Pop-Ikone Madonna zum Beispiel, vor der sich Trisha Baga in einem grandiosen Video verneigt.
Mit der Ausstellung eines leeren Hauses hat Ellen Blumenstein 2013 ihre Zeit an den Kunst-Werken gestartet, um die Institution selbst zum Thema zu machen. Jetzt ist das Haus voll, aber die Fülle bebildert nur wieder eine Leere. Die allerdings ist sehr schön.