Auf dem Asphalt der Berliner Auguststraße ist der Umriss einer Drohne aufgemalt. Das unbemannte Flugobjekt hält offenbar Kurs auf das KW Institute for Contempary Art, wo seit dem Wochenende eine große Ausstellung zum Thema Gewalt mit dem Titel "Fire and Forget" läuft. Was im Militärjargon die Eigenschaft von Lenkwaffen bezeichnet, sich ihr Ziel selbst zu suchen. Abfeuern und nicht mehr drüber nachdenken heißt auch, den Schützen vom zerstörerischen Teil seiner Handlung zu entkoppeln.
Den Eingang zur Ausstellung markieren vier eiserne Drehkreuze von Daniil Galkin (wenngleich harmlos in beide Richtungen zu bedienen). Die Kuratoren Ellen Blumenstein, künstlerische Leiterin der KW, und Daniel Tyradellis gruppieren die Werke um vier Begriffe, von der abstrakten Drohne des Künstlers James Bridle im Außenraum bis zur Anleitung zum Selbstmord von Damien Hirst im letzten Geschoss verläuft die Dramaturgie gewissermaßen von Abstand zu Nähe.
Zum Thema "Grenze" gleich als Auftakt eine eher untypische Fotografie von Julian Röder zu zeigen, ist merkwürdig: Der Fotograf hat 2001 den G8-Gipfel in Genua mit einfühlsamen Aufnahmen der teilweise gewaltbereiten Protestierenden dokumentiert. Hier steht ein Vermummter vor einem Haufen Steine und schaut in einen Stadtplan, als wisse er nicht, wohin er werfen soll. Das aus der Serie isolierte Bild wirkt hier wie ein ironischer Blick auf die politisch motivierte, "gerechte", aber planlose Gewalt. Unernst ist auch der Film von Javier Téllez über den Flug der menschlichen Kanonenkugel David Smith über die Grenze von Mexico in die USA im Rahmen eines Volksfestes.
Die große Halle ist dagegen konzentriert kuratiert. Ein Panzer in Originalgröße, allerdings aus Leder und in der Manier Claes Oldenburgs schlaff in sich zusammengesunken, bestimmt den Raum. Es geht um Waffen, auch um solche, die funktionslose Skulptur sind, etwa von Tal R oder ein Samurai-Schwert von Timur Si Quin oder ein Datenträger-Faustkeil von Katja Novitskova. Museumsarbeiten wie Pipilotti Rists "Ever is over all" von 1997, in dem eine junge Frau Autofenster mit einer Blume einschlägt, oder das Ohrfeigen-Match von Marina Abramovic und Ulay "Light/Dark" aus dem Jahr 1978 laufen als Videoinstallation und entfalten ihre Wirkung auch unabhängig vom Ausstellungskontext.
Gewalt steht hier unter dem Thema "Affekt" als Familienangelegenheit gleichberechtigt neben Gewalt als Staatsräson, wenn ein Maschendrahtkäfig "Guantanamo" betitelt ist, oder auch als Sport: Der Zusammenschnitt privater nordamerikanischer Jagdvideos der Gruppe Neozoon aus Berlin fasziniert: "Buck Fever", Jagdfieber, kompiliert zunächst das heisere Flüstern der Schützen und ihrer Helfer angesichts des zu erlegenden Rehs, Elches oder Büffels. Dann kumulieren in einer unangenehmen Klimax Entladungen und tödlicher Treffer, die aber viel weniger irritierend sind als das anschließende verzückte Hecheln, Seufzen, Aufschreien und fassungslose Gestammel der Jägerinnen und Jäger angesichts der toten Körper. Man fühlt sich, als hätte man unfreiwillig einen Gewaltporno geguckt.
Es geht den Kuratoren nicht darum, das Thema analytisch durchzudeklinieren. Immer schwingt auch die Frage mit, welche Verantwortung die Darstellung von Gewalt auf sich lädt, welchen Beitrag Bildnisse und Kunstwerke zwischen Verurteilung und Faszination leisten, und wo sie an ihre Grenzen stoßen. Eine Faustregel aus dem Kino gilt auch hier: Je indirekter der tatsächliche Akt des Verletzens oder Tötens gezeigt wird, desto größer die Wirkung. Das trifft zum Beispiel auf die großformatigen Fotografien von Hrair Sarkissian aus Damaskus zu, der in seinem Herkunftsland in den menschenleeren Morgenstunden urbane Plätze in drei syrischen Städten fotografiert hat. Erst der Titel "Execution Squares" gibt der Serie ihre aktuelle Dringlichkeit.
Wie Fußnoten laufen durch die gesamte Ausstellung die kleinen, anonym und privat aufgenommenen Schwarzweißfotografien aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg in jedem Bereich mit – die Sammlung des Künstlers Martin Dammann zeigt Frauen im Bikini auf einem Panzer, nachgespielte Exekutionen als Travestie, falsche Uniformen, echte Leichen, Alltag, Irrsinn, sehr lange her.
Die so aufgebaute Distanz durchbricht vor allem Julius von Bismarck mit seiner Arbeit "Polizei" aus diesem Jahr ziemlich gekonnt: Im letzten Geschoss der Ausstellung gerät das Betreten des Raums zur Konfrontation mit einer kleinen Einheit von Polizisten im Schutzanzug. Sie haben unkenntliche Gesichter, heruntergelassene Visiere. Vor allem das zunächst unmerkliche, abwartende Schaukeln der lebensgroßen Figuren ist beeindruckend angsteinflößend. Hier kommt die Ausstellung, die ganz weit draußen im Luftraum begann, sehr effektvoll im Inneren, bei der persönlichen Bedrohung an.