Gallery Weekend Berlin

Verdrehte Stadt

Zwei Kirchen und einige blutige Ladys: Beim 11. Berliner Gallery Weekend laden 47 Galerien zum gemeinsamen Eröffnungswochenende

Irgendwo klemmt und hakt es ja meistens im Berliner Kulturbetrieb, das wissen auch die Akteure des Gallery Weekends, die mit gebündelten Kräften seit elf Jahren das Beste aus der aktuellen Gegenwartskunst zeigen. Die Souveränität des jährlichen Auftritts Anfang Mai hat zum einen mit der extrem qualitätsbewussten Auswahl der Galerien und ihrer Künstler zu tun, zum anderen mit einer relativen Unabhängigkeit von den kulturpolitischen Wasserstandsmeldungen: Die Galerien, 47 sind es dieses Mal, setzen schlicht auf die eigene Anziehungskraft.

Und wenn in Berlin mal wieder wenig möglich zu sein scheint, kann man sich auch einfach ein Beispiel an Renata Lucas nehmen. Sie weiß, wie man Gebäude versetzt, den Asphalt verschiebt, wie man das Gegebene, Feststehende einfach mal nicht akzeptiert. Die Brasilianerin, 1971 geboren, war 2010 bereits in Berlin zu sehen. Damals hatte sie eine kreisförmige Stelle vor dem KW Institute for Contemporary Art im Straßenbelag ausgestanzt und um ein paar Grad verdreht, einschließlich der Laterne und des Bordsteins.

Auf der Documenta 13 war Lucas ebenfalls vertreten. Jetzt wurde sie offiziell von Neugerriemschneider ins Künstlerprogramm aufgenommen. Bei der Recherche zu ihrer ersten Präsentation in der Galerie sind ihr die vielen historischen Brunnen im Berliner Stadtraum aufgefallen. Im Hof von Neugerriemschneider zeigt sie nun eine Skulptur aus sich ergänzenden und überlagernden Brunnenfragmenten aus verschiedenen Teilen der Stadt.

Formal ganz anders, aber im Geiste verwandt sind Katharina Grosses malerische Interventionen, die der Realität eine zweite Schicht verpassen, einen widerständigen Möglichkeitsraum. Mit ihr eröffnet Johann König seine neuen Räume in der ehemaligen St.-Agnes-Kirche in Kreuzberg, die nach aufwendigem Umbau nun fertig ist. „The Smoking Kid?“ heißen Grosses Arbeiten auf Leinwand, die Eröffnungsparty wird garantiert einer der Höhepunkte des Wochenendes.

Die Stadt ist immer Mitspieler beim Gallery Weekend, viele der teilnehmenden Künstler haben hier nicht nur ihre Galerie, sondern auch ihr Leben. Gregor Hildebrandt, der im Winter das Bass Museum in Miami bespielte, wird bei Jan Wentrup die Galeriewände komplett mit schwarzen VHS-Bändern verkleiden. Bei Martin Eder in der Galerie Eigen + Art wird es blutig, mit „Those Bloody Colours“ setzt er sich mit Darstellungen von Frauen in Kriegen auseinander. Klara Lidén zeigt Arbeiten am 2014 eröffneten neuen Standort der Galerie Neu in der Linienstraße. Und Daniel Keller, Mitbegründer von Aids-3D, der nun höchst erfolgreich als Solokünstler weitermacht, stellt neue Skulpturen vor – aus dem 3-D-Drucker. Seine Galerie Kraupa-Tuskany Zeidler ist ohnehin eine der besten Adressen für Sammler, die auf internationalem Niveau nach neuer Kunst suchen – und die bereit sind, sich auch intensiv damit zu beschäftigen, und nicht nur heißen Namen hinterherlaufen.

Nimmt man die aktuelle Triennale des New Museum als Kompass für das, was in der Gegenwartskunst gerade die wichtigen Fragen sind, sollte man auch die Gruppenausstellung bei Tanya Leighton besuchen, die mehrere Künstler der New Yorker Generationsschau vertritt. Eine der visuell aufregendsten Arbeiten in New York stammte von Daniel Steegmann Mangrané, den Esther Schipper in ihrer Galerie präsentieren wird.

Timur Si-Qin, den die Galerie Societé zeigt, ist ein weiterer Kandidat dieser neuen Künstlergeneration, man hat ihn vielleicht noch als den Mann mit den Samuraischwertern und Axe-Duschgels in der epochemachenden Schau im Fridericianum, „Speculations on Anonymous Materials“, in Erinnerung. Ein anderer hoch gehandelter Name ist Mark Flood, der vergangenes Jahr in New York eine eigene Kunstmesse abhielt: die „Insider Art Fair“, ausschließlich für seine eigenen Werke, die sich gleichzeitig mit den Umständen des Kunsthandels befassen und Teil davon sind. Flood beschäftigt sich seit den 80ern mit Celebritykultur. Gerade steht er auf der von seriösen Galeristen gehassten Plattform ArtRank in der Spalte „Liquidate“, das heißt: Werke sofort abstoßen! Peres Projects zeigt seine Solopräsentation mit dem Titel „Astroturf Yelp Review Says Yes“ erst recht.

Es gibt gute Gründe, sich vom hektischen Hype-Geschäft abzuwenden und sich auf geprüfte Qualität zu konzentrieren. Sie entsteht meist nur in einer engen Verbindung von Künstler und Galerist. So sind Thomas Bayrle und seine Galeristin Barbara Weiss seit Langem ein eingespieltes Team. Isa Genzken, gerade ohnehin in aller Munde, zeigt in ihrer Galerie Buchholz eine ganz neue Arbeit sowie ältere Fotografien und Skulpturen, die auf Flugzeug- und Yacht-Ästhetiken Bezug nehmen. Und die Schau des Slowaken Roman Ondák bei seiner langjährigen Galerie Johnen beschäftigt sich mit Reisen, dem Zusammenbruch des Kommunismus und den Methoden der Aufzeichnung von Geschichte.

Ob Magdalena Abakanowicz, eine polnische Künstlerin des Jahrgangs 1930, nun in Berlin die große Wiederentdeckung wird, die ihre Galerie Żak/Branicka anstrebt, wird sich zeigen, aber sicher ist, dass der Präsentationsort ihrer Skulpturengruppe „Bambini“, die schon im Metropolitan Museum in New York aufgebaut war, spektakulär ist: die alte St.-Elisabeth-Kirche in der Invalidenstraße, 1835 von Karl Friedrich Schinkel errichtet.

Wie sehr die Berliner Kunstszene auf das Gallery Weekend setzt, lässt sich im Übrigen auch an den vielen Nebenevents erkennen, die Künstler und private Institutionen zu diesem Anlass auf die Beine stellen. Eine Wiederentdeckung verspricht der Schinkel Pavillon: Neben einer Arbeit von NeÏl Beloufa ist dort eine große Installation mit Fernsehmonitoren der vergessenen Künstlerin Gretchen Bender (1951–2004) zu sehen, Weggefährtin von Cindy Sherman und Robert Longo. Und eine Künstlergruppe um Christian Achenbach, Jonas Burgert und Andreas Golder vom Ateliergelände in Berlin-Weißensee lädt zu einer selbst organisierten Schau mit nicht weniger als 100 Künstlern (www.artistweekend.com). Es geht um die kreative Kraft von Netzwerken.

Erwartet wird: ganz Berlin.