Herr Brosda, der German Creative Economy Summit in Hamburg ist der größte Branchentreff der Kreativwirtschaft in Deutschland. Andere Länder, allen voran Großbritannien, haben bereits in den 1990er-Jahren vorgemacht, wie die Creative Industries zu einem einflussreichen ökonomischen Faktor werden können. Deutschland scheint sich aber immer noch schwer damit zu tun und diskutiert lieber über die Autoindustrie. Wie wichtig sind die Creative Industries heute in Deutschland, und ist sich die politische Klasse der Bedeutung dieser Branche angemessen bewusst?
Die Creative Industries sind längst ein zentraler wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Faktor – nicht nur in Hamburg, sondern bundesweit. Sie schaffen Innovationen, Arbeitsplätze und tragen erheblich zur Wertschöpfung bei. Andere Länder wie Großbritannien haben früh erkannt, dass Kultur und Kreativität nicht nur 'nice to have' sind, sondern wirtschaftlich mindestens so wichtig sind wie traditionelle Industrien. Deutschland tut sich da manchmal schwer und redet lieber über Automobilindustrie oder den Hafen. Aber es gibt ein wachsendes Bewusstsein, dass der Kreativwirtschaft eine Schlüsselrolle in der Transformation und Zukunftsfähigkeit unserer Wirtschaft zukommt. Das zeigt sich auch in Programmen wie der "Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft der Bundesregierung" oder den spezifischen Förderungen für Games, Film und Musik. Nicht zuletzt um dieses Bewusstsein zu schärfen, veranstalten wir in Hamburg den bundesweiten German Creative Economy Summit, um einerseits die gemeinsame Wahrnehmung der Branche nach innen wie auch das Bewusstsein nach außen zu schärfen und die genannten Potentiale sichtbarer zu machen. Aber ja, wir könnten und sollten gerade in dieser Hinsicht gesamtpolitisch noch viel mutiger werden.
Die Creative Industries sind ein sehr heterogenes Feld. Der Begriff umfasst sowohl kommerziell geprägte Branchen wie Games, Mode oder Werbung als auch die staatlich subventionierte Hochkultur, die sich selbst oft gar nicht als "Industrie" begreift. Ist es überhaupt sinnvoll, all diese Bereiche zusammenzudenken?
Ja und nein. Die Gemeinsamkeit der Creative Industries liegt darin, dass sie aus kreativer Arbeit Wertschöpfung generieren – unabhängig davon, ob das in einem Konzertsaal oder in einem Game-Studio passiert. Gleichzeitig gibt es natürlich große Unterschiede in Marktlogiken, Finanzierungsmodellen und Strukturen. Die Hochkultur hat eine andere Fördertradition als die Games-Industrie oder die Designbranche. Trotzdem ist es wichtig, die kreativen Sektoren als ein Ökosystem zu denken. Das gilt sowohl ökonomisch wie gesellschaftlich. Denn Kreative sind nicht nur Produzenten ökonomisch verwertbarer Inhalte, sondern auch wesentliche Akteure im gesellschaftlichen Diskurs. Kultur ist eben nicht nur Ware oder Freizeitangebot – wie es manche zunehmend gerne betrachten – sondern öffnet zugleich auch Räume der Reflexion und Transformation, produziert Sinnangebote und schafft produktive Irritation.
Die verschiedenen Bereiche der Kreativbranche stehen vor sehr unterschiedlichen Herausforderungen. Wo kann die Politik überhaupt eingreifen, wo muss sie eingreifen, und was ist ihre Rolle?
Politik sollte an mehreren Stellen aktiv werden: Erstens, indem sie Rahmenbedingungen schafft, die kreative Arbeit ermöglichen – sei es durch gezielte Förderung, Infrastruktur oder rechtliche Absicherung. Zweitens, indem sie Freiräume sichert, etwa durch Programme wie den Hamburger Fonds Frei_Flächen, mit dem wir kreativen Akteurinnen und Akteuren bezahlbare Räume in der Stadt ermöglichen. Drittens, indem sie kulturelle Vielfalt schützt und kreative Ökosysteme fördert, anstatt sie allein den Marktmechanismen zu überlassen. Aber Politik kann nicht alles regeln – Kreativität braucht auch eine starke Selbstorganisation. Das gilt erst recht, wenn wir auf die neuen Herausforderungen durch KI, Plattformökonomie und Fragen der Content-Verwertung schauen. Künstliche Intelligenz verändert bereits jetzt Produktionsprozesse, Urheberrechtsfragen und die Art und Weise, wie kreative Inhalte entstehen. Streaming- und Plattformmodelle stellen etablierte Vergütungsstrukturen infrage und verschieben Wertschöpfungsketten oft zugunsten weniger großer Player. Besonders herausfordernd ist, dass die großen Plattformen, die diese Entwicklungen treiben – sei es im Streaming, in sozialen Medien oder bei KI-Modellen – überwiegend aus den USA oder China stammen. Diese Konzerne setzen Standards, die oft nicht mit europäischen Werten oder Urheberrechtsregelungen vereinbar sind. Angesichts dessen ist es wichtig von der Anpassung zur Gestaltung zu kommen. Dazu braucht es zum einen kreative Aneignung und Innovationsstrategien, um Technologien selber zu entwickeln und zu formen. Und zum anderen müssen wir die europäischen Möglichkeiten stärker nutzen, damit Kreative nicht nur Inhalte liefern, sondern auch fair an den Erträgen beteiligt werden. Eigene europäische Plattformmodelle stärken und die Rahmenbedingungen aktiv gestalten – beides gehört zusammen, wenn wir den Wert kreativer Arbeit sehen und zugleich im internationalen Wettbewerb bestehen wollen.
Die Hamburger Kulturpolitik, die Sie verantworten, wird in anderen Bundesländern mit Staunen und Neid betrachtet. Während vielerorts gekürzt wird, haben Sie den Anteil der Kulturausgaben am Haushalt nicht nur stabil gehalten, sondern sogar gesteigert. Für 2025 ist ein Anstieg des Kulturetats um elf Prozent auf rund 390 Millionen Euro geplant. Wie machen Sie das?
Zum Glück geht es Hamburg ökonomisch relativ gut. Hamburg hat aber auch verstanden, dass der Kulturhaushalt eine wesentliche Investition in die Zukunft ist. Trotz finanzieller Herausforderungen haben wir sein Volumen daher nicht nur stabil gehalten, sondern sogar gesteigert – ein deutliches Zeichen, dass wir Kultur auch als gesellschaftlichen Mehrwert betrachten. Da sind wir uns im Senat einig und verstehen Kultur auch als essenziellen Teil der Stadtentwicklung und Stadtgesellschaft. Wir setzen auf langfristige Partnerschaften mit Kulturinstitutionen, sichern Räume für Kreative und stärken gleichzeitig die freie Szene. Hamburg hat verstanden, dass eine starke Kulturpolitik auch eine starke Stadtpolitik ist.
Die subventionierte Kultur scheint derzeit – außerhalb von Hamburg – vielerorts in der Defensive. Sie steht von rechts unter Beschuss und wird zugleich von links vereinnahmt. Wie eine Kulturpolitik nach den Bundestagswahlen aussehen wird, ist ungewiss. Was ist Ihrer Meinung nach das größte Missverständnis in der Kulturpolitik der Parteien? Und was sollte das eigentliche Ziel sein?
Ein großes Missverständnis ist, dass Kulturförderung oft als reine Subvention gesehen wird, anstatt als Investition in gesellschaftlichen Zusammenhalt und Innovationsfähigkeit. Manche Parteien betrachten Kultur entweder als reine Standortpolitik oder als Feld für ideologische Kämpfe – sei es von rechts oder links. Kulturpolitik sollte aber nicht nach parteipolitischen Linien funktionieren, sondern als Ermöglichung einer offenen, vielstimmigen Gesellschaft. Die entscheidende Frage nach den Wahlen wird sein: Gelingt es uns, Kulturpolitik weiterhin als Gestaltungsaufgabe zu denken – oder verfallen wir in eine defensive Spar- und Abwehrhaltung? Hamburg hat gezeigt, dass man sich für die Gestaltung der Zukunft und damit für einen zuversichtlichen und kreativen Umgang mit aktuellen Herausforderungen entscheiden kann.