"Peter Hujar's Day" von Ira Sachs auf der Berlinale

Es wird Mittag, es wird Abend, es wird Nacht

Der Fotograf Peter Hujar schilderte 1974 einer Autorin einen Tag in seinem Leben. Das Buchprojekt wurde nie realisiert, doch jetzt hat Regisseur Ira Sachs das Transkript verfilmt. Das kühne Projekt ist ein Ereignis

Er sitzt, steht, liegt und erzählt. Dabei trinkt Peter Hujar ziemlich viel Kaffee – die Hände zittern schon gehörig –, und er zündet sich eine Zigarette nach der anderen an. Manches von dem, worüber der heute legendäre Fotograf an diesem 17. Dezember 1974 spricht, ist banal, anderes hochinteressant. Wenn er über die Mühen des künstlerischen Prozesses spricht. Und seine Schilderungen des Beat-Poeten Allen Ginsberg, den er vor seine Linse geholt hat – sein erster Auftrag für die "New York Times" übrigens. Während Hujar sich erzählend durch ihre Wohnung bewegt, trägt ihm seine von Rebecca Hall gespielte Interviewerin das Mini-Tonbandgerät und das Mikro hinterher. Manchmal wird auch auf der Dachterrasse geraucht, vor der Skyline von New York. Es wird Mittag, es wird Abend, es wird Nacht. Und die Art, wie der britische Schauspieler Ben Whishaw (bekannt als Q in "James Bond") sich den Text angeeignet hat, einschließlich des ukrainisch eingefärbten Zungenschlags des Künstlers, macht dieses kühne Filmprojekt zum Ereignis.

Nein, erzählt der Regisseur Ira Sachs bei der Premiere von "Peter Hujar's Day", das eigentliche Interview, das er in seinem Film nachstellt, dauerte keinen ganzen Tag. Diese künstlerische Freiheit hat sich Sachs genommen. Das Gespräch hat aber wirklich stattgefunden. Für ein (nie realisiertes) Buchprojekt mit verschiedenen befreundeten Künstlerpersönlichkeiten, die einen Tag in ihrem Leben schildern sollten, führte die Schriftstellerin Linda Rosenkrantz auch ein längeres Gespräch mit Peter Hujar. Die Tonbandaufnahme ging verloren, aber vor einigen Jahren tauchte ein Transkript der Aufzeichnung auf, das Sachs nun verfilmt hat.

Für Sachs und Ben Whishaw ist es die zweite Zusammenarbeit nach dem Spielfilm "Passages", der auf der Berlinale 2023 Premiere feierte und in dem Whishaw und Franz Rogowski ein schwules Paar verkörperten. "Peter Hujar's Day" ist nicht nur der Versuch, einen bestimmten Moment der Zeitgeschichte nachzustellen. Es geht Sachs und Whishaw vielmehr darum, das Vermächtnis eines Künstlers zu bewahren, der für die queere Bewegung von zentraler Bedeutung ist. Hujar, der für seine eindrucksvollen Schwarz-Weiß-Porträts aus dem New Yorker Underground, von LGBTQ-Ikonen und Drag-Performerinnen bekannt ist, hat die Verletzlichkeit und trotzige Schönheit einer ganzen Generation eingefangen. Bevor seine Arbeit postum die verdiente Anerkennung finden konnte, starb er 1987 an den Folgen von AIDS.

Sprödes, Konzentration forderndes Filmexperiment

Sie sitzen sich gegenüber: Hujar, der schwermütige Fotograf, der sich von seinem Job bei der "New York Times" eine neue Zukunft erhofft. Und Rosenkrantz, die aufstrebende Autorin, die die Energie des New Yorker Underground aufzufangen sucht. Der auf 16-mm-Kodakmaterial gedrehte Film funktioniert wie eine melancholisch eingefärbte Zeitkapsel. Die grobkörnigen Bilder erinnern an eine Zeit, in der nicht nur Hujar, sondern auch andere Größen der Upper East Side, ums Überleben kämpfen mussten: William S. Burroughs, Susan Sontag, Fran Lebowitz, Andy Warhol – das Who-is-Who der New Yorker Szene kommt in Hujars "Stream of Consciousness" vor. 

Auf der Berlinale weist Ira Sachs darauf hin, dass er auch die in Vergessenheit geratenen Namen, die im Transkript Erwähnung fanden, nachrecherchiert hat. Und es seien außerordentlich viele Namen gewesen. Wie Whishaw als in der Hujar-Rolle den Eindruck erweckt, er würde diese Menschen wirklich gut kennen, erstaunt ebenso wie die immense Textarbeit, die der Schauspieler für das Projekt auf sich nahm. Ein sprödes, Konzentration forderndes, aber auch faszinierendes Filmexperiment.