Phantom Ghost und von Bonin in Berlin

Scheitern, Schwäche, Schlaffheit

Das Projekt Phantom Ghost von Tocotronic-Sänger Dirk von Lowtzow und dem Musiker Thies Mynther feierte mit einem Liederabend 15-jähriges Jubiläum in Berlin – und lud sich die Künstlerin Cosima von Bonin dazu ein

Noch besser als ihr Bühnenbild ist an diesem Abend der persönliche Auftritt Cosima von Bonin. Nachdem das Publikum schon sitzt, stürmt die Künstlerin in den Saal, schaut sich um und ruft: „Frechheit! Haben die mir keinen Platz reserviert!“ Dann öffnet sie mit großer Geste einen Fächer – und nimmt Platz auf einen freien Sitz direkt vor ihr.

Auch wenn dieser Stunt nicht Teil der offiziellen Inszenierung ist: Exzentrik gepaart mit Mattheit ist das Thema dieser Konzert-Theateraufführung am Montagabend im Haus der Berliner Festspiele, Teil des „Foreign Affairs“-Festivals. Unter dem Titel „Retrospectres“ treten hier Phantom Ghost auf, ein Projekt von Tocotronic-Sänger Dirk von Lowtzow und dem Musiker Thies Mynther. Die beiden haben in den vergangenen 15 Jahren der Dekadenz, Faulheit und Exaltiertheit einige schöne Loblieder gesungen. Die Säulenheiligen dieses Unterfangens sind Yves Saint Laurent und der späte T.E. Lawrence: Man ist der Zivilisation schon recht müde, aber auch zu kaputt, um noch eine Revolte anzuzetteln. Heute Abend schaut Phantom Ghost zurück, und da Authentizität öde ist, hat die Band genug Elemente eingebaut, um zum eigenen Schaffen Distanz zu gewinnen.

Da ist zum einen die Bühne von Cosima von Bonin, die eher eine Hinterbühne ist (so wie Phantom Ghost ja auch immer die Hinterbühne von Tocotronic war): Pianos, Lampen- und Garderobenständer, Ladenschilder, Leinwände, Plüschtiere, Regenschirme, eine Laterne und Podeste stehen wie zufällig rum. „Hier ziehen wir ein“, ruft Dirk von Lowtzow. Ein Ort, um sich wie Des Esseintes aus „Gegen den Strich“ fühlen: Der Romanheld frönte seinem Weltekel hinter „Scheiben aus bläulichen Flaschenböden von rissigem Schmelz und Goldrand“, die dankenswerterweise „die Aussicht auf das Land abschnitten“. Statt Likörchen wie in dem Werk von Joris-Karl Huysmans trinken Phantom Ghost Veuve Clicquot, statt Schildkröten zu bemalen, streicheln sie Bonin-Stofftiere.

Die Puppenspielerinnen Tucké Royale und Rike Schuberty führen mit diesen Plüschkraken, -muscheln und anderen wirbellosen Meereswesen ein Interview mit Yves Saint Laurent auf. Er wäre gerne Beatnik geworden, aber jetzt, wo er 30 ist, sei es ja wohl zu spät, sein Leben noch einmal zu ändern. Scheitern, Schlaffheit, Schwäche und Schicksalsergebenheit verwandeln Phantom Ghost in operettenhafte oder kalvierabendhafte Stücke und Cosima von Bonin in slapstickhafte Installationen, in denen alles schief sitzt und sich nicht schert um Fitness und Präsenz. Trotz des manchmal überzogenen Spiels mit Klischees produziert diese Ausstellung der eigenen Wibellosigkeit und Quallenhaftigkeit permanent Schönheit. „I might assume that this is art /but who needs long papers in hell”, heißt es in einem Lied der Lowtzow/Mynther. Die Zeile taugt zum Motto für den Liederabend.

Die Modemacherinnen von Augustin Teboul – bekannt für Damenmode – haben den beiden Musikern eine exaltierte Garderobe zur Verfügung gestellt; die Schleppe von Thies Mynther wird im Laufe des Abends immer länger. Unterbrochen wird das Konzert auch durch einen Vortrag über Feder- und Meeresgetier im Tanztheater von dem Dramaturgen Eike Wittrock – was natürlich sehr gut zu den Meerestieren von Bonin passt. Wie die Phantastik, die Geisterfotografie oder die Geheimbündelei war auch die Feier der überwältigenden Ornamentik der Natur eine Reaktion auf die zunehmende Rationalisierung im 19. Jahrhundert.

All diese historischen Gespenster, die Phantom Ghost in ihrem Projekt herbeirufen, beleben dieses Projekt. Nur als Reaktion auf die angeblich so erdrückende instrumentelle Vernunft haben sie ausgedient, da die Gegenwart vom „Feenstaub“ der Finanzwelt (wie es in „The Wolf of Wall Street“ heißt) überzogen ist, den Fiktionen der Wirtschaftswelt unterliegt und in neuen Territorialkriegen und in der Renaissance des religiösen Fundamentalismus aufgerieben wird. Sind exzentrische Typen wie Lawrence oder Saint Laurent in Berlin 2014 also noch denkbar? „Das haben wir uns nie gefragt“, sagt Dirk von Lowtzow im Interview in der aktuellen Monopol. „Wir hatten einfach Lust, unsere Vorlieben auszuleben, auch in Formen wie Musical oder Operette, auch wenn das nicht gerade der heißeste Scheiß ist. Diese Freiheiten nehmen wir uns einfach. In dem Moment, in dem man das macht, scheint es doch möglich zu sein.“

In der Tat. Das war ein super, eskapistischer Abend. Jetzt zurück zum tagesaktuellen Wahnsinn.