Trend zur Infantilisierung

Warum sich eine ganze Generation zurück in die Kindheit sehnt

Wie in Mamas Bauch: "Adult Swaddle"-Anzüge versprechen Geborgenheit, und sind ein Symptom für Kriseneskapismus
Foto: Courtesy Hatch Sleep

Wie in Mamas Bauch: "Adult Swaddle"-Decken versprechen Geborgenheit und sind ein Symptom für Krisen-Eskapismus

Kuscheldecken als emotionale Kokons, Nachtlichter für Erwachsene: Auf die Krisen der Gegenwart reagieren viele Millennials mit konsumgetriebener Selbstverkindlichung. Das ist gefährlich, weil wir gerade jetzt Verantwortung übernehmen müssen

New York war, wie so oft, der Katalysator. Drei Monate in der Stadt, die niemals schläft, während die politischen Verwerfungen der USA unaufhaltsam auf die Präsidentschaftswahl zusteuerten, die letztendlich Donald Trump erneut an die Macht brachte. Doch das eigentliche Narrativ war weniger eine Debatte über Macht als vielmehr ein diffuses Gefühl der Überforderung – eine kollektive Sehnsucht, die sich lautlos in den Alltag einschlich. Zurück in Deutschland, im Herbst der bröckelnden Ampelkoalition, begegnete ich diesem Gefühl erneut, nur in subtil anderer Form: dem Wunsch nach Rückzug, nach Einfachheit, nach einem emotionalen Kokon – zurück in den Schoß der Kindheit.

Es begann harmlos. Ein Instagram-Ad hier, ein Story-Post dort. Der Algorithmus schlug mir ganz spezielle Produkte vor. Eine Anzeige für ein "Adult Swaddle" – eine übergroße, kuschelige Decke, die den Käufer in den perfekten Zustand der Geborgenheit wickelt wie ein kleines Baby. Dann die night lights for adults – sanft schimmernde Objekte, die nostalgische Erinnerungen an die Nachtlichter von früher wecken. Spätestens bei der "Gravity Blanket", die mit therapeutischem Druck eine Umarmung simuliert, wurde klar: Wir sind nicht nur im Zeitalter der Angst angekommen, sondern auch in einem Zeitalter der kommerzialisierten Selbstverkindlichung.

Hier geht es nicht mehr um Selbstoptimierung, sondern um Selbstregression. Eine neue Generation baut sich ihre eigenen Kinderzimmer, komplett mit Plüschdecken, sanftem Licht und dem ästhetischen Minimalismus der skandinavischen Spielzeug-Designkultur. Erwachsensein war gestern. Heute gibt es Podcasts, die das Gefühl einer Elternstimme imitieren, die beruhigend vorliest, und geführte Meditationen, die einen sanft zurück ins mentale Kinderbett legen.

Politische Traumata und die Suche nach Komfort

Die Kulturkritik mag auf die sozialen Medien und die algorithmische Monetarisierung von Angst hinweisen, aber die Realität ist subtiler. Es ist keine direkte Flucht, sondern eine leise Sehnsucht, die das "Back to the Womb"-Phänomen antreibt. In einer Welt, die sich in ständiger politischer, ökologischer und sozialer Krise befindet, erscheint die Sicherheit der Kindheit wie ein idealisierter Zufluchtsort. 

Für Millennials, die mit der Idee eines vereinten Europas, scheinbar sicheren Demokratien und technologischem Fortschritt aufwuchsen, erscheint die Wiederholung der Geschichte das erste Mal wieder möglich; war doch der Niedergang der Weimarer Republik von ähnlichen sozialen und politischen Spannungen geprägt. Beunruhigend ist, mit welcher Vehemenz Kultur und Vielfalt als entbehrlicher Luxus abgetan werden. Der Berliner Senat kürzt im Kulturbereich, als sei Kultur eben nicht das essenzielle Fundament, auf dem eine diverse Gesellschaft reflektiert und diskutiert wird und so wachsen kann.

Es ist kein Zufall, dass diese Tendenz mit politischen Extremen korrespondiert. Während ich in New York den eskalierenden Wahlkampf erlebte, wurde schnell deutlich: Politik ist eben nicht nur ein abstrakter Diskurs, sondern etwas, das unaufhaltsam in die persönliche Realität einbricht. In Deutschland scheint es nicht anders zu sein – eine erstarkte AfD, die sich aggressiv in den politischen Mainstream drängt, und eine Gesellschaft, die zunehmend von Spaltung geprägt ist. Die Frage, wie viele öffentliche Mittel in Kultur und Kunst fließen, wird plötzlich zu einem Kampf ums Überleben. 

Die Kommerzialisierung des Kindgefühls

Die beschlossenen Kürzungen im Kultursektor wirken daher wie ein symbolisches Aufgeben – ein Sich-zur-Seite-Rollen, den Bauch entblößend, bereit, den finalen Todesstoß zu empfangen. Ein Stoß, der nicht nur vom Berliner Senat kommt, sondern auch von allen Kräften, die sich gegen Kultur, Vielfalt und gesellschaftlichen Zusammenhalt stellen. In solchen Momenten ist es kein Wunder, dass Menschen nach einem mentalen Raum suchen, der frei von der Last dieser Verantwortung ist. Und was ist leichter, als sich in ein übergroßes Babytuch zu wickeln, den Blick auf die Decke gerichtet, wo kleine bunte Lichtlein tanzen und sich mit noise cancelling AirPods in der Endlosschleife healing frequencies reinzuziehen, um dem Druck der echten Welt zu entkommen?

Für 32,13 Euro gibt es bei Amazon die Version des "Adult Swaddle" ohne Kapuze, während das Modell "Hug Sleep" als Hoodie stolze 107,96 Euro kostet. Eine Kapuze, die also mit einem Aufpreis von 75,83 Euro offenbar nicht nur den Kopf, sondern auch die Realität abschirmen soll – für all jene, die eine besonders teure Scheuklappe vor der Welt brauchen. 

Zudem gibt es "Adult Playgrounds", die zunächst als urbanes Hipster-Phänomen in Städten wie Berlin oder Los Angeles auftauchten. Unternehmen, die ihre Produkte mit der Idee von Geborgenheit und emotionaler Heilung verkaufen, boomen. Das Schizophrene daran? Wir zahlen Hunderte von Euro, um ein Gefühl von Nähe perfekt zu simulieren, während wir uns gleichzeitig bewusst von echten physischen Beziehungen abschotten – aus Angst vor der Unberechenbarkeit und den Konflikten, die sie mit sich bringen.

Kollektives Wegschauen wird bestraft werden

Die Parallele zur Kunstwelt ist frappierend. Auch hier gibt es eine Tendenz zur Nostalgie, zur Wiederaneignung von vertrauten ästhetischen Mustern, die an vergangene Jahrzehnte erinnern. In einer Zeit, in der große gesellschaftliche Veränderungen oft als bedrohlich wahrgenommen werden, greifen wir nach dem, was uns bekannt ist – sei es in Form einer Wickeldecke oder in Form von eskapistischer Kunst, die uns mit der Welt versöhnt.

Vielleicht ist der Raum, den wir uns mit Nachtlichtern, "Candy Crush" und Schmusedecken schaffen, nicht nur ein Ort der harmlosen Regression, sondern ein stilles Grab. Auch, wenn es ein nachvollziehbarer Wunsch ist, sich einer Welt zu verweigern, die aufruft, ständig on zu sein, zu arbeiten und zu funktionieren, so wird unser kollektives Wegschauen zwangsläufig bestraft werden. 

In Zeiten wie diesen darf "Adulting" nicht bedeuten, nur ein paar Stunden in der Woche in dem temporären Mindset eines Erwachsenen zu verbringen. Es muss die konstante innere Haltung reflektieren, die von wahrer Reife zeugt: eine mutige Haltung, die bereit ist, sich den schwierigen Fragen zu stellen, Kunst zu schaffen, die sich angreifbar macht, und eine Demokratie zu verteidigen, die jeden Tag neu erkämpft werden muss. Denn ohne diese Haltung droht uns nicht nur der Verlust von Freiheit und Mitgefühl, sondern auch der letzte Funke Hoffnung auf eine Welt, die wir selbst gestalten.