Das legendäre Maison Chanel beginnt das neue Jahr unter einer neuen künstlerischen Leitung. Im Juni hatte Virginie Viard das französische Modehaus als kreative Spitze verlassen. Sie hatte das Amt von Karl Lagerfeld nach dessen Tod im Jahr 2019 übernommen, schien aber von Beginn an eher eine Übergangslösung zu sein. Ein paar Jahre unter der Verantwortung von Karls ehemaliger rechter Hand, um seine Abwesenheit zu verkraften, war vielleicht die Idee dahinter. Oder auch, eine kurze Ruhephase zu schaffen, um dem oder der nächsten Creative Director den nötigen Abstand zu dem Mann zu geben, der die Marke seit 1983 allumfassend definiert hatte.
Nun haben die Besitzer des Couture-Hauses offenbar entschieden, dass es Zeit für eine neue Chanel-Ära ist. Und Bedarf für frische Ideen gibt es. Die letzten Kollektionen wurden eher hingenommen als gefeiert, immer gleiche Muster, Silhouetten und Materialien überzeugten vielleicht die konventionelle Stammkundin, nicht aber Modekritiker und Fans.
Es ist das erste Mal in mehr als 40 Jahren, dass die Marke einen Designer einstellt, der für seine eigene Handschrift bekannt ist und damit die Chance hat, den Look des Hauses zu verändern: Matthieu Blazy wird der neue Artistic Director bei Chanel. Der wohl begehrteste Job der Modewelt ist neu besetzt.
Debüt im nächsten Jahr in Paris
Blazy hatte zuletzt den Kurs bei Bottega Veneta bestimmt und die Mode der italienischen Marke nach einem Neuanfang unter Daniel Lee noch einmal auf ein avantgardistischeres Level gehoben. Wie kaum ein anderer versteht er es, das reiche und wichtige Erbe eines Luxuslabens als Grundriss zu nutzen, um seine moderne, zeitgemäße und individuelle Version darauf aufzubauen.
Er macht sich das Haus zu eigen, ohne dessen Regeln außer Acht zu lassen, zeigt Respekt und Witz gleichermaßen. So wie er bei Bottega Veneta zauberte, wünscht man es sich nun auch für Chanel. Der französisch-belgische Designer wird jede Modeserie, die Couture und die Accessoires verantworten und zehn Kollektionen im Jahr entwerfen. Sein Debüt wird er im Oktober nächsten Jahres während der Pariser Schauen geben. Und die Aufgabenstellung ist klar.
Drei Kandidaten sollen zuletzt im Rennen für den großen Chanel-Coup gewesen sein. Blazy überzeugte. "Er hat eine Erfolgsbilanz, eine Vision von Chanel und eine Modernität, die uns verführt hat", erklärt Bruno Pavlovsky, Modepräsident des Unternehmens. "Die Art und Weise, wie er es geschafft hat, das Produkt von Bottega Veneta in kürzester Zeit neu zu beleben, zeigt, dass dies wirklich seine Handschrift ist."
Halb vergessenen Luxus entstauben
Blazys Talent, halb vergessenen Luxus zu entstauben und zu Stücken zu formen, denen keiner widerstehen kann, macht das angestrebte Chanel-Revival zu einem der spannendsten im kommenden Jahr. "Wir wollen, dass er sich anstrengt, testet und dorthin geht, wo er es für richtig hält. Wir wollen nicht den Eindruck erwecken, dass die Marke festgefahren ist", so Pavlosky weiter. Erfolg zu garantieren ist in der Mode schwer, aber man kann fast sagen: Es kann nur besser werden bei Chanel.
Unter Matthieu Blazy war Bottega Veneta in nur drei Jahren aufgeblüht, er meisterte die lässige Eleganz, unter der sich jeder gern verorten würde. Eine blaue Jeans-Hose ganz aus Leder gefertigt. Kampagnen, die Paparazzi-Fotos gleichen und lederne Handtaschen, die in der Armbeuge des Schauspielers Jacob Elordi schnell zur "It-Bag" wurden.
Blazys Entwürfe für den roten Teppich fanden sich stets in den Listen der bestangezogenen Künstlerinnen und Künstler, und seine Schauen waren bald das brisanteste Event der Mailänder Modewoche. Herren- und Damenentwürfe liefen über den gleichen Laufsteg, und aus Leder geflochtene Couture-Roben, Lederbomberjacken und Taschen konnten in der ersten Reihe und bald in ganz Hollywood gesichtet werden.
Bottega Veneta in Händen von britischer Raffinesse
"Intrecciato", das Leder-Flechtmuster, für das die Marke bekannt ist, gilt heute als begehrtestes Handwerk der Branche. Bottega Veneta wurde unter Blazy die leistungsstärkste Marke unter den Kering-Modehäusern. Der Umsatz stieg in den ersten neun Monaten des Jahres 2024 um vier Prozent auf 1,23 Milliarden Euro. Ein Erfolg, an den idealerweise auch dort die neue kreative Leitung anknüpfen soll.
Nur wenige Stunden, bevor Matthieu Blazys Wechsel zu Chanel offiziell wurde, war schon seine Nachfolgerin bei Bottega Veneta bekannt gegeben worden: Louise Trotter. Die Britin hatte erst im Februar 2023 bei der französischen Marke Carven angefangen, davor war sie fünf Jahre bei Lacoste gewesen.
Ihr Auftrag ist nun, auf das Erbe ihres Vorgängers aufzubauen. "Ihre Ästhetik verbindet exquisites Design mit erhabener Handwerkskunst, und ihr Engagement für kulturelle Belange passt wunderbar zu unserer Markenvision", so Bottega-Veneta-Chef Bartolomeo Rongone in einer Erklärung: "Durch ihre raffinierte Linse wird Bottega Veneta weiterhin sein Erbe feiern und gleichzeitig moderne Relevanz bewahren." Auch Trotter ist also eine Expertin darin, traditionsreiche Luxushäuser in das Heute zu übersetzen.
Schmeichelnde Silhouetten und ausgefallene Eleganz
"Ich mag Kleidung, die sich anfühlt, als würde man im Bett bleiben", sagte sie kürzlich in einem Interview. Und auch, dass sie es möge, wenn die Dinge praktisch, nützlich und schön zugleich sind. Ein Ansatz, der herausstellt, warum es so wichtig ist, dass auch Frauen für Frauen designen und in der obersten Liga der Modeschöpfenden mitspielen. Sie wissen, wie Kleider im Alltag funktionieren und sich anfühlen sollten. Spüren die Materialien und gewählten Schnitte am eigenen Körper.
Trotters Frühling-Sommer-2025-Kollektion für Carven begann mit einem Kleid, das an einen seidenen Bettbezug erinnerte, verband weite, schmeichelnde Silhouetten mit einer ausgefallenen Eleganz. Simpel, aber mit einem gewissen Etwas. Das Erfolgsrezept der Mode, wenn es richtig verstanden und ausgeführt wird.
"Trotter versteht, dass Frauen zu kleiden bedeutet, ihre Beziehung zu ihrer Kleidung zu verstehen; ihre Silhouetten sind durchdacht, aber nie überladen", schrieb die "Vogue" zu der Kollektion im September. Sie scheint die richtige Wahl für ein Haus, das verstanden hat, dass Richtungswechsel sich auszahlen.
Das Personalkarussell dreht sich immer schneller
Matthieu Blazy und Louise Trotter verbindet eine Sensibilität für die Geschichte einer Marke und ihre Stammkunden. Sie entwickeln sie subtil weiter, öffnen das Sortiment so für andere Zielgruppen und lassen es relevant bleiben.
Doch nicht nur diese beiden werden im neuen Jahr ihr Debüt feiern. Während der Markt der Luxusmode mehr und mehr einbricht und Umsätze stagnieren, werden die Top-Positionen wie wild vergeben und getauscht. Peter Copping wird als kreative Leitung bei Lanvin beginnen, Sarah Burton bei Givenchy, Haider Ackermann bei Tom Ford, Michael Rider bei Celine, Julian Klausner bei Dries Van Noten.
John Galliano, der auch als Anwärter für den Chanel-Job galt, hat vor kurzem seinen Weggang von Maison Martin Margiela bekannt gegeben. Viele sehen ihn bei Dior, aber offiziell ist noch nichts. Wer Ablenkung braucht, flüchten will aus einer Welt, in der es auf allen Ebenen immer brenzliger wird: Auf die Mode ist Verlass, Stillstand gibt es nicht.