Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde immer wieder ein Zentrum für Gegenwartskunst in Warschau gefordert. Nun ist es endlich soweit: Am 25. Oktober öffnet das lang ersehnte Museum für Moderne Kunst (MSN Warschau) seine Türen in einem festen Zuhause. Und das nicht irgendwo, sondern im Herzen der polnischen Hauptstadt – auf dem Defiladenplatz, direkt neben dem imposanten Kulturpalast. Ein Symbol für den langen Weg der Gegenwartskunst des Landes in die Mitte des kulturellen Diskurses.
Die Geschichte des Museums beginnt 2005. Der polnische Kulturminister und der Warschauer Bürgermeister unterzeichnen eine Vereinbarung zur Gründung der Institution. Allein die zentrale Lage des geplanten Baus ist bedeutend. Aber genau diese politisch aufgeladene Nachbarschaft, an der Schnittstelle von Vergangenheit und Gegenwart, sorgt von Anfang an für Probleme. Zwei Architekturwettbewerbe scheitern, bevor das New Yorker Architekturbüro Thomas Phifer and Partners den Entwurf liefert, der jetzt – 20 Jahre später – Wirklichkeit geworden ist.
Das Gebäude selbst setzt auf eine minimalistische Formensprache: ein weißer Kubus für das Museum, ein schwarzer für das Theater – schlicht, zurückhaltend und bewusst anti-ikonisch. Dieser neue Bau steht im gewollten Kontrast zur Wucht des sozialistischen Realismus des Kulturpalastes. Statt eines weiteren Denkmals soll hier ein lebendiger Ort der Begegnung entstehen, an dem die Warschauer Bevölkerung mit moderner und zeitgenössischer Kunst in Kontakt tritt.
Schwelle zwischen öffentlichem Raum und Museum soll sich auflösen
Es geht um Austausch und Dialog zwischen Kunst und Publikum, aber auch Bewohnern und Besucherinnen. Die Stärke des Gebäudes liegt in dieser sozialen Dimension. Ganz à la Centre Pompidou in Paris, wo die Piazza urbanes Leben und Kultur verbindet, soll auch das MSN-Gebäude die Schwelle zwischen öffentlichem Raum und Museum auflösen und Menschen zum Verweilen einladen.
Die Eröffnung des Museums fällt in eine Zeit politischer Umbrüche in Polen. Bei den Wahlen im vergangenen Herbst wurde die nationalkonservative PiS-Regierung abgewählt. Das Land erlebt eine Phase der Neuausrichtung und die institutionelle Kulturpolitik atmet auf. Die ideologisch motivierte Einflussnahme auf öffentliche Kulturinstitutionen, die Zensur, der Druck, nationale Werte in den Vordergrund zu stellen – all das scheint vorerst nachzulassen. Das MSN tritt in diesem Moment als Zeichen eines neuen kulturellen Selbstbewusstseins an.
Drei Wochen lang wird das Museum mit Performances, Klanginstallationen und interaktiven Erlebnissen bespielt. Besuchende können die Architektur in ihrer rohen, "unmöblierten" Form erleben. Beschaffenheiten, die man in einer klassischen Ausstellung nicht unbedingt wahrnimmt, die Höhe der Räume, die Textur der Wände, das Spiel des Lichts, sollen erfahrbar gemacht werden, erklärt Kuratorin Magda Komornicka.
Kraftvoller Auftakt
Eine Ausstellung liefert außerdem einen Vorgeschmack auf das kommende Programm: Skulpturen von verschiedenen Künstlerinnen machen den Auftakt. Das Museum folgt damit einem globalen Impuls, der (vergessenen) weiblichen Positionen die Sichtbarkeit verschaffen soll, die ihnen lange verwehrt wurde und ihnen einen überfälligen Platz in der Kunstgeschichte einräumt. Mit Arbeiten der polnischen Textil-Pionierin Magdalena Abakanowicz oder der Künstlerin Alina Szapocznikow, die erst Jahrzehnte nach ihrem Tod internationale Aufmerksamkeit bekam, setzt das Museum einen kraftvollen Auftakt.
Im Februar beginnt das reguläre Programm, das international ausgerichtet und trotzdem in der polnischen Kunstgeschichte verankert ist. 2011 kam das MSN Warschau in den Besitz des Kwiekulik-Archivs, eines der bedeutendsten und größten Privatarchive zur polnischen Avantgarde-Kunst während des Kommunismus.
In den 1970er- und 80er-Jahren dokumentierte das Künstlerduo die Arbeiten experimenteller Künstlerinnen und Künstler. Ihre Wohnung im Warschauer Stadtteil Praga stellte einen einzigartigen Treffpunkt und eine Plattform des Austauschs für Kunstschaffende aus ganz Ostmitteleuropa dar. Das Resultat: eine Sammlung zehntausender Fotografien, tausender Drucke und zahlreicher Filme, die Kunst in Reaktion auf das fehlende Interesse der staatlichen Kulturinstitutionen und der Unterdrückung von Kreativität dokumentiert. Als Teil der Sammlungspräsentation des MSN Warschau wird das Atelier rekonstruiert.
Zwischen Kontinuität und Wandel
Es ist ein wenig ironisch, dass jene Künstler, die einst zur Selbsthistorisierung gezwungen waren, nun hochoffiziell den Raum erhalten, den ihnen die offizielle Kulturpolitik jahrzehntelang verwehrt hat. Ihre Kunst, die gegen das Schweigen und die Unsichtbarkeit ankämpfte, wird jetzt Teil einer nationalen Erzählung und bringt uns eine ausschlaggebende Zeit in der polnischen Kunstgeschichte näher.
Mit dieser historischen Rückbindung und Verortung in der Gegenwart – sowohl architektonisch als auch programmatisch – gelingt dem MSN Warschau eine komplexe Positionierung. Die neue Institution wird zu einem Ort, der in einem Spannungsfeld von Vergangenheit und Zukunft, zwischen Kontinuität und Wandel steht.