Pamela Rosenkranz und Jenna Sutela in München

Aus Abfall wird Leben

Jenna Sutela und Pamela Rosenkranz "Dirt", Installationsansicht Max Goelitz, München, 2024
Foto: Dirk Tacke / Courtesy Max Goelitz und Sprüth Magers

Jenna Sutela und Pamela Rosenkranz "Dirt", Installationsansicht Max Goelitz, München, 2024

Für das Festival Various Others hat sich die Galerie Max Goelitz in München mit dem Global Player Sprüth Magers zusammengetan. In der Doppelschau von Jenna Sutela und Pamela Rosenkranz wird "Dirt" zur Energiequelle 

So ein bisschen den Kopf eingezogen hatte man schon, in München, am 6. September, nach den wohl terroristischen Schüssen auf das israelische Generalkonsulat und das NS-Dokumentationszentrum einen Tag vorher. Das Polizeihubschraubergeräusch flatterte noch in den Ohren. Und dann konnte man den Kopf gleich unten lassen, wenn man die Galerie Max Goelitz zum Opening betrat, von hinten über den dunkelnden Innenhof kommend. 

Denn am Galerieboden liegen zwei Komposthaufen, von Strobo-Licht erhellt, von Sounds umwabert, als wären die grünen Keime, die aus der Erde sprießen, eine nachwachsende Techno-Schar – im "Dirt"? So jedenfalls der Ausstellungstitel.

Doch nichts in dieser Duo-Show von Jenna Sutela mit Pamela Rosenkranz ist das, was es auf den ersten Blick zu sein scheint. Sutelas Komposthaufen sind verkabelt, jetzt sieh man es, eine komplexe Apparatur, genannt "Vermi Cell", bei der die Wachstums- oder Lebensbewegungen der mit Organismen durchsetzten Erde in technoid klingende Sounds übertragen werden. 

Die falsche Nähe ist gebrochen

Jenna Sutela richtet den Blick in ihrer Kunst auf nicht-menschliche Netzwerke und Intelligenzsysteme, auf die Wildheit des Wachstums, die Ewigkeit nicht-menschlicher Energie. Eine Perspektive, die Pamela Rosenkranz ziemlich gut passen dürfte, hatte sie doch selbst beispielsweise vor drei Jahren einen Erdhügel in den Berliner Schinkelpavillon schütten lassen

Hier und heute in München bestückt Rosenkranz die Schau mit farblich bearbeiteten Stock-Fotos aus dem Internet, bei "Anamazon (Get Digit)" leuchtet der allen bekannte Schriftzug "Alamy" durch. Der auf dem Bild gezeigte Regenwald wird durch die Farbschicht zu einer toten Struktur, die falsche Nähe, die solche Bilder uns zur Natur suggerieren, ist gebrochen. 

Auch Rosenkranz‘ acrylpink gefärbten Bilder der Werkreihe "I Wish I Could Cry Blood" sind Symbolbilder, teils ganz tief gehängt, fast den Boden berührend. Sie konzentrieren sich auf das Motiv des Auges, beschwören die Körperlichkeit des Sehens, die Unkörperlichkeit digitaler Bilder – oder genau umgekehrt? Was sehen wir in der Natur, können wir sie überhaupt noch sehen, gehören wir zu ihr, sind wir ihr Feind?

Ich esse Kunst!

Wahrnehmung und Erkenntnis, diese hochkomplexen Vorgänge lassen viele Deutungen zu, aber nicht alle. Dirt ist kein Schmutz, dirt ist Lebensenergie. Sutelas Komposthaufen, wie Skulpturen von einem eleganten Vorhang gerahmt, sind genau das: Skulpturen, die einen Prozess abbilden, in dem aus Abfall Leben wird. Oder Kunst.

Ganz allgemein ist diese post-konzeptuelle Schau eine Umwandlungsmaschine, in der man die passenden Infos zum Gesehenen nicht immer sofort parat hat; allerdings kann man auch einfach im gutgelaunten Eigensinn der Künstlerinnen verharren und mitwippen, sozusagen als Teil des Komposts. 

Wenn man die schmale Wendeltreppe in den unteren Raum nimmt, wird es etwas simpler. Dort wartet Sutelas "Energy Poem", eine Kunst-Jause in Form von Esspapier. Dieses ist bedruckt mit gut 100 Formen von Kraft: "divine energy … muscle energy … potential energy … endless energy". Ahhh-ha! Ich esse Kunst! Kunst ist Energie! Ich bin Energie! Kapiert! Oder??

Gute Kunst wächst aus der Erde

Max Goelitz, die bajuwarische Aufsteiger-Galerie, kollaboriert für "Dirt" mit dem Global Player Sprüth Magers. Das Ganze findet im Rahmen des Kunstfestivals Various Others statt, 2024 im siebten Jahr. Verflixt ist es aber nicht, im Gegenteil. 

Various Others, auch unter Programmdirektor Christian Ganzenberg, schafft es wie kaum ein anderes Kunstevent, tragende Kollaborationen zwischen Galerien, doch ganz besonders auch zwischen Galerien und Institutionen, etwa der Villa Stuck, zu begünstigen. So wächst, wie das Grün aus Sutelas "Vermi Cell", im September überall gute Kunst aus dem guten alten München.