"Radical Playgrounds" in Berlin

Parkplätze zu Ritterburgen!

Der Kunstbetrieb hat die Kinder entdeckt und lockt mit Angeboten für die Kleinen. Bei der Familie unseres Autors ist das bisher oft schief gegangen - nun hat er einen neuen Versuch bei den "Radial Playgrounds" in Berlin gewagt. Ein Erlebnisbericht

"Ritterburg" ruft mein Vierjähriger und stürmt auf ein hellrot angestrichenes Rundtheater mit labyrinthischem Umlauf zu, das sich auf dem früheren Parkplatz des Martin Gropius Bau erstreckt. Kurz danach winkt er uns aus einem bunten Aussichtsturm zu, dann taucht er wieder ab, und wir schöpfen Hoffnung: Könnte gutgehen diesmal.
 
Der Kunstbetrieb hat die Kinder entdeckt. Überall ist derzeit zu beobachten, wie Ausstellungshäuser und Museen sich darum mühen, die Kleinsten anzusprechen. Kindgerechte Ausstellungen werden kuratiert, museumspädagogische Konzepte entwickelt, Betreuungsangebote ausgebaut; die Institutionen wollen nicht länger nur Bildungsbürgertum und internationale Besucher anlocken, sondern sich öffnen für die Communities vor Ort, für die Kinder von nebenan. Und das ist mehr als überfällig.

Doch aus rein persönlicher Erfahrung muss ich sagen: Alle Versuche, mit unseren Kinder ins Museum zu gehen, sind bislang krachend gescheitert. Ohne in die Details zu gehen, sprang unser Nachwuchs auch auf die bestgemeinten pädagogischen Ideen nicht an, war stattdessen meist schon vom Gebäude, Einlassprozedere und so weiter abgeschreckt bis verängstigt und wollte nur eins: so schnell wie möglich nach Hause. 

Kinderwelt statt Kindermuseum

Die einzige, große Ausnahme bislang ist das zum Jüdischen Museum in Berlin gehörende Anoha. Schon am Eingang wird man hier mit einem strahlenden "Herzlich Willkommen" empfangen statt von einem den preußischen Kulturbesitz beschützenden Aufseher; die Sicherheitskontrollen ähneln jenen an Flughäfen (Schande auf dich, Deutschland!), doch auch die Securityleute lächeln, und der Röntgenscanner ist hinter einem lustigen Aquarium verborgen. 

Das Anoha versteht sich zu Recht als "Kinderwelt", nicht als Kindermuseum. In dem klugen, hochwertigen Holzbau geht es nicht darum, dass Kinder lernen, was Erwachsene/Künstler so tun. Sondern sie dürfen einfach nur machen, was auch immer sie mit den von Künstlerinnen und Künstlern gestalteten Spielgeräten, Tierfiguren, Klettergerüsten so machen wollen. Oder auch einfach nur im Bällebad abtauchen. Oder auch einfach gar nichts. 

Selbst beim ersten Besuch dauert es keine 30 Sekunden, bis die Kinder ihre Schuhe abstreifen und voller Freude losrennen und so bald nicht wieder auftauchen. Was der beste Beweis dafür ist, dass dieser Ort für Kinder funktioniert. Und was nebenbei auch genau das ist, was Eltern am dringendsten brauchen. 

Auf spielerische Weise entdecken

Unser neuester Kunst-mit-Kindern-Versuch führte uns am vergangenen Wochenende dann also zum Gropius Bau, zu den Ende April eröffneten "Radical Playgrounds". Der Kunstparcours, Teil des Kunst- und Kulturprogramm der Fußball-EM und zugleich Auftakt eines neuen Schwerpunkts des Hauses zum Thema Spiel, erstreckt sich auf dem früheren Parkplatz, den der Künstler Zheng Bo bereits 2021 zum "Gropius Hain" umgewidmet hatte. Damals gab es dort unter anderem Tai-Chi-Sessions mit Bäumen und kollektives Unkrautzeichnen. 

Was man im Schatten der Platanen noch so alles machen kann, zeigen jetzt gut ein Dutzend internationale Künstlerinnen und Künstler, die auf Einladung der Kuratoren Joanna Warsza und Benjamin Foerster-Baldenius vom Berliner Architektenkollektiv Raumlabor einen Vergnügungspark entworfen haben. Die "Radical Playgrounds", so das Versprechen, wollen "Menschen jeder Herkunft und jeden Alters dazu einladen, Kunst auf spielerische Weise zu entdecken."

Es ist heiß an diesem Sonntag, und die Kinder zieht es automatisch zu einem Wasserbecken samt Brunnen. "Die Fountain of knowlegde" stammt von Raul Walch und ist auch dank des bemalten Bodens sehr schön anzusehen – vermutlich aus Sicherheitsgründen ist das Betreten jedoch verboten. Das ist ein kleiner downer und clasht mit der kuratorischen Verheißung auf eine "radikal nicht-kompetitive Umgebung, in der es ungefährlich ist, Fehler zu machen, und in der es erlaubt ist, sich auszuprobieren" – doch es gibt genug anderes zu entdecken. 

Pizza statt pickles and greens hätte es auch getan

Von einem hölzernen Podest, auf dem die Choreografin Alice Chauchat zu ausgewählten Terminen zu "Dance Gatherings" einlädt, geht es erneut zur "Ritterburg", in deren Innerem scheinbar noch gebaut wird. Das schwere Kopfsteinpflaster des Parkplatzes ist aufgerissen und gibt eine Sandkuhle frei, eine Schubkarre steht darin und ein paar Schaufeln: Die Kinder sind sofort dabei, graben, bauen Burgen, sieben Steine aus. 

Die Installation stammt von dem in Dakar gegründeten Kollektiv The School of Mutants und versteht sich als Mutation zwischen Sandkasten und Ausgrabungsstelle; es geht auch um Kolonialgeschichte und Extraktionsverfahren, für die Kleinen ist es aber vor allem ein großer Spaß. Kinder brauchen wenig, wenn man sie nur lässt.

Was sie brauchen, ist Essen – und in dieser Hinsicht sind die "Radical Playgrounds" leider enttäuschend. Der Hipsterladen BRLO serviert aus einem Food Truck heraus mit pickles and greens belegte Brötchen und sonst wenig; Fermentierungsverfahren sind für manche Menschen sicherlich wahnsinnig interessant, für die meisten Kinder aber mal gar nicht. Und vor allem sind monatelang eingelegte Trendgemüse nichts, was ihnen schmeckt. Pommes, Nudeln, Pizza hätten es getan. Oder Brezeln. Angeboten werden dann, ab 13 Uhr, immerhin Bratwürstchen (vegan und mit Fleisch). Doch die kommen wieder mit pickles und greens und kosten 6,50 Euro.

Hochspannende Geschichte der Spielplätze
 
Fairerweise muss man sagen, dass sich das Projekt ja aber eben auch an Erwachsene richtet – und tatsächlich guten Stoff bietet, um über die  Zusammenhänge von Spiel und Öffentlichkeit, Bildung und Stadtplanung nachzudenken. Während die Kinder sich durch einen "Lozziwurm" – eine legendäre Spielskulptur von Yvan Pestalozzi aus dem Jahr 1972 – schlängeln, erzählen drumherum Fotografien und Texte eine hochspannende Geschichte der Spielplätze. 

Vor fast 20 Jahren begann Gabriela Burkhalter, dieses Thema zu erforschen und zu dokumentieren, die daraus entstandene Ausstellung führt von der Spielphilosophie des späten 19. Jahrhunderts über sozialreformerische Projekte der 1930er-Jahre bis in die späten 60er, als gerade in den Metropolen erstmal Brachflächen zu Nachbarschaftstreffpunkten umfunktioniert werden, "Abenteuerspielplätze" entstehen und Ideen der Autonomie und Selbstermächtigung in den Vordergrund der Pädagogik rücken. 

Sie zeigt aber auch, wie im Westen der Rückzug der staatlichen Zuständigkeit und die ökonomische Deregulierung im Spielplatzdesign niederschlagen und die Utopien schwinden. Im Ost-Block wurden währenddessen weiter gemeinschaftliche Aktivitäten gepflegt.

Und das alles ohne Verbrenner

Tatsächlich kann man es kaum fassen, wie wenig öffentliche Spielräume es für Kinder heute gibt; wie sehr Stadtplanung seit dem Krieg unter dem Diktat von Straßenbau, Konsum und Automobil-Ideologie stand. Völlig entspannt verbringen wir und viele andere Familien Stunden auf dem Areal der "Radical Playgrounds", die zeigen, wie viel besser und schöner der Stadtraum genutzt werden könnte und auch die Museen aus ihren steinernen Wänden ausbrechen können. Man fühlt sich mitten in der Stadt wie auf einer grünen, bunten, erholsamen Insel und fragt sich, warum es nicht immer so sein kann. 

Wobei das in den heutigen Debatten um Städteplanung dann immer der Punkt ist, an dem Porsche fahrende, im Grunewald wohnende Feuilleton-Redakteure einwerfen, dass solche Überlegungen ja nun wirklich nur das privilegierte rot-grüne Milieu anstellen könne, während die "einfachen Leute" und kinderreiche Familien nun mal aufs Auto angewiesen seien. Aber vielleicht ist das Argument nicht nur heuchlerisch, sondern auch falsch. ÖPNV ist in Berlin für Kinder bis sechs kostenfrei, das Monatsticket im Stadtgebiet ist ab 1. Juli für 29 Euro zu haben – weniger als jede Tankfüllung.