37 - So viele Kleidungsstücke soll die perfekte Garderobe beinhalten. "Capsule Wardrobe" heißt das minimalistische Kleiderschrank-Prinzip, bei dem sich alle Teile gut untereinander kombinieren lassen. Stil, Farben und Materialien sollten zueinander passen, damit man durch verschiedene Kombinationen der wenigen Teilen trotzdem für alle Anlässe gewappnet ist.
Diese Art der Garderobe verspricht, Stress zu reduzieren. Statt morgens vor dem Schrank zu stehen und zu überlegen, was man anziehen soll (schenkt man Modemagazinen Glauben, ist das ein ziemlich großes Alltagsproblem), kann man einfach zwei, drei Teile herausziehen, sie werden sowieso zueinander passen. Zwischen den Basics sollten, so empfehlen es zahlreiche Ratgeber, am besten aber auch ein paar "modische Teile" hängen, damit man auch mit wenig Kleidungsstücken noch hip aussieht und dem modisch Puls der Zeit folgt.
Im Zuge der Minimalismus-Begeisterung und dem Kult um die Aufräum-Königin Marie Kondo wurde das Konzept der "Capsule Wardrobe" in den vergangenen Jahren von zahlreichen Modeketten und Medien als neues Ideal aufgegriffen. Dabei ist es keine neue Idee. Bereits in den 1940er-Jahren wurden in den USA kleine Kollektionen präsentiert, bei denen alle Teile in Stil und Schnitt besonders gut miteinander harmonierten.
Nicht ohne Hoodie und Satinrock
Susie Faux, die Inhaberin der Londoner Boutique Wardrobe, machte das Prinzip in den 70ern wieder modern. Sie beschrieb die "Capsule Wardrobe" als eine Zusammenstellung zeitloser Stücke, die nie aus der Mode kämen und nur saisonal ergänzt werden sollten. Die Designerin Donna Karan brauchte 1985 schließlich eine passende Kollektion mit sieben aufeinander abgestimmten Stücken auf den Markt. Alle paar Jahre erscheint die textile Beschränkung aufs Neue als das ultimative Garderoben-Ideal.
Dabei ist es, das Wort capsule meint in diesem Kontext übrigens small and compact, mehr als ein Ordnungsprinzip. Es schreibt auch einen bestimmten Stil aus neutralen Farben, schlichten Schnitten und einfarbigen Basics vor. Zu der Frage, welche Teile eine "Capsule Wardrobe" auf jeden Fall beinhalten sollte, gibt es viele Vorschläge. In der "Vogue" werden zum Beispiel ein weißes Hemd, ein Blazer, eine dunkle Hose, ein Trenchcoat, ein Pullover, eine Lederjacke, ein grauer Hoodie mit Kapuze, einfarbige Baumwoll-Shirts, blaue Jeans, ein langes Kleid, ein Satinrock und Loafer empfohlen.
Andere Seiten ergänzen die Auswahl um Handtaschen (einen Shopper, eine Clutch), weiße Sneaker und schwarze High-Heels, Sonnenbrillen und Kaschmir-Schals. Ansonsten ähneln sich die Vorschläge so sehr, dass eine Uniform aus monochromen Kleidungsstücken entsteht, die für Tage im Büro, Brunch-Treffen, Cocktail- und Theaterabende passend scheint.
Gute Qualität heißt vor allem teuer
Damit man auch möglichst lange Freude an den Basics hat, die man durch die kleinere Auswahl häufiger trägt und wäscht, sollten sie demnach dringend eine gute Qualität haben. Und das meint bei vielen Fashion-Blogs vor allem: teuer. Die "Capsule Wardrobe" bedient sich damit Zügen des "Quiet Luxury"-Trends, bei dem unauffällige, aber teuer wirkende Teile getragen werden. Ohne auf Markennamen zu setzten, deuten dabei schlicht-schicke Outfits ohne Bling-Bling auf Geld hin.
"Kapselkleiderschränke" sollen aber nicht nur Alltagsstress verringern, sondern vor allem gut für die Umwelt sein. Mit einer reduzierten Anzahl von Kleidungsstücken soll man sich auf das Nötige konzentrieren, gegen Impulskäufe vorgehen und den Planeten nicht mit dem Verbrauch von Fast-Fashion schädigen. Aber geht dieses Prinzip auf, wenn man erstmal den Grundstock teuer zusammenkaufen muss?
Die reduzierte Garderobe ist mehr als eine Anleitung, den eigenen Besitz auszumisten und Teile, die man nur zweimal im Jahr oder gar nicht trägt, zu verkaufen oder zu spenden. Natürlich, im Idealfall kauft man ein, zwei Entwürfe von einer nachhaltigen Modemarke und sortiert vor allem aus. Aber damit der Stil richtig funktioniert und nicht nur aus zurückhaltenden T-Shirts in Schwarz und Weiß besteht, muss erstmal konsumiert werden, zumindest suggeriert das die Mode-Industrie. Ein Trend, bei dem es nur darum geht, weniger zu kaufen, wäre für die Branche schließlich nicht gerade von Vorteil.
Der neongrün gemusterte Rock bleibt auf der Stange
Luxus-Hingucker-Teile wie Designer-Sonnenbrillen gehören daher genauso zum Prinzip wie Baumwoll-Tops und Marken-Jeans. Die optimierte Garderobe gibt vor, erstmal investieren zu müssen, in die richtigen Lederjacke und -schuhe, erst danach kann der Minimalismus richtig losgehen, in 37 Teilen. Die durchschnittliche Deutsche besitzt mehr als doppelt so viele Kleidungsstücke, circa 95. Folgt man aber der Anleitung der Capsule-Garderobe, nach der man eine Kollektion für den Sommer und eine für den Winter ansammelt, Unterwäsche und Socken jeweils nicht mit eingerechnet, dann ist der Unterschied schon gar nicht mehr so gravierend - und der Kleiderschrank, gemessen am Durchschnitt, gar nicht so zurückhaltend klein.
Modehäuser springen selbstverständlich auf den Zug auf und präsentieren eigene Mini-Kollektionen mit klassischen Teilen von dunklen A-Linien-Röcken über zurückhaltende Handtaschen und Kleider, die die seltenen ausgefallenen Teile der Garderobe sein könnten. Versprochen wird "Lust auf Selbstentfaltung", denn dafür soll die Capsule-Garderobe Raum geben. Überhaupt verspricht das Konzept ziemlich viel: Einen optimierten Alltag, dabei auch noch das Klima schonen, aber ohne Öko-Look, sondern immer mit mühelosem Stil.
Das Konzept hat durchaus Vorteile. Gegen den Aufruf, bewusster zu konsumieren und keine Billig-Mode zu kaufen, die ungetragen im Schrank liegen bleibt, ist nichts einzuwenden. Gerade bei Neuanschaffungen darauf zu achten, ob das Kleidungsstück zu anderen Teilen passt, die man schon besitzt, ist ein guter Marker, um Kaufentscheidungen zu treffen - oder eben den neongrün gemusterten Rock, zu dem man weder das passende Oberteil noch gute Schuhe besitzt, zurück an die Stange zu hängen.
Minimalismus gegen Ausdrucksbedürfnis
Auch auf zeitlose Kleidungsstücke zu setzten, statt dazu aufgerufen zu werden, mit jedem Hype zu gehen, nachdem sich im Kleiderschrank weiße Hosen und Pullover der "Clean-Girl-Ästhetik" neben kaum getragenen Pelzjacken nach dem "Mob-Wife-Trend" häufen, ist positiv. Zugleich kann es aber auch Spaß machen, Kleidungsstücke zu besitzen, die wir nur zu besonderen Anlässen herausholen, die wir mit kleinen Vintage-Läden verbinden oder Urlauben: bunte Kleider zum Beispiel, die ein Ausbruch aus dem Alltagsstil sind. Mit Kleidung können wir uns ausdrücken, kreativ werden und experimentieren. Dieses Bedürfnis steht neben der Entscheidung für einen minimalistischen Kleiderschrank.
Statt zu Verzicht aufzurufen, ist die Capsule-Mode fürs erste aber oft genug ein klug versteckter Konsum-Anreiz, der nur so tut, als wolle er das Gegenteil. Doch den perfekten Blazer und das eine Paar schwarze High-Heels zu besitzen, verspricht Eleganz und Nachhaltigkeit. Im Idealfall gibt einem die Capsule-Wardrobe sogar die Chance auf einen Neuanfang. Einmal alles raus, Kleidung auf den Boden legen, Schuhe und Accessoires dabei nicht vergessen und à la Marie Kondo sortieren. Was besonders gefällt, darf bleiben. Was kaum getragen wird, muss weg.
Selbstdisziplin ist gefragt. Die leere Kommode wird anschließend neu aufgefüllt, mit 37 perfekten Kleidungsstücken. Das Vorgehen der Capsule-Wardrobe passt sich perfekt in andere Techniken ein, die den Alltag und uns optimieren sollen. Achtsamkeits-Übungen, Meditationen, dem Zeitgeist folgend besinnen wir uns, mit Anleitungen spüren wir tief in uns hinein und hören auf das, was wir wirklich brauchen – oder wirklich konsumieren sollten.