Die architektonische Moderne war, wie die Moderne im Ganzen, auf universelle Gültigkeit angelegt. Überall auf der Welt sollte nach denselben Prinzipien gebaut werden. Allenfalls sollte es lokale Modifikationen geben, den Besonderheiten von Geografie und Klima geschuldet. Immerhin – sie gab es durchaus, mit interessanten Ergebnissen.
Davon berichtet die Ausstellung "Auf Augenhöhe – Afrika und seine Moderne", die der Freundeskreis Willy-Brandt-Haus im Gebäude der SPD-Parteizentrale in Berlin ausrichtet, eher nur unterschwellig. Der weitgereiste Fotograf Jean Molitor, 1960 in Ost-Berlin geboren und an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst mit ihrer berühmten Fotografie-Abteilung bei Arno Fischer ausgebildet, will kein Analytiker sein, sondern im besten Sinne ein Beobachter. Er fotografiert, was er sieht, und lässt seinen jeweiligen Bildgegenstand sprechen. Im Falle der hier gezeigten Serien zu seinem Langzeitprojekt "Architektur der Moderne" sind das Bauwerke, die er in Afrika aufgesucht hat.
Es geht nicht um eine architekturhistorische Rangfolge von bedeutenden zu nebensächlichen Bauten. Allen Objekten schenkt Molitor die gleiche "Augenhöhe" und meint damit "Wertschätzung und Respekt". Denn es sind durchaus auch unscheinbare Häuser, die er – stets in Schwarz-Weiß – in Szene setzt. So in der kenianischen Hauptstadt Nairobi das Kino "Odeon", das sich in einem Mehrgeschosswohnungsbau verbirgt und um 1940 entstand.
Monumentalisierte Bauten der Kolonialzeit
Doch zugleich entdeckt Molitor in Nairobi das elegant gewellte Apartmenthaus "Kenwood" von 1937, von keinem Geringeren entworfen als Ernst May, dem früheren Frankfurter Stadtbaurat und nachmaligen Stadtplaner in der Sowjetunion. Der war aus der Sowjetunion Stalins ins damalige Tanganjika übergesiedelt und hatte zunächst eine Farm betrieben. Sein schmales, durch Internierung seitens der britischen Kolonialmacht abgebrochenes architektonisches Werk in Ostafrika ist weitgehend unbekannt.
In Marokko fand Molitor zahlreiche Bauten, die sich an Art Déco anlehnen, so das waghalsig gezackte "Cinema Goya" im während der 40er-Jahre so kosmopoliten Tanger. Mehrfach kamen gerundete Bauten auf spitzwinkligen Grundstücken ins Bild, etwa in Casablanca. Etwas, das es ganz ähnlich im Tel Aviv der britischen Mandatszeit gab.
Die ebenfalls elegant gerundete Busstation in Maputo, der Hauptstadt Mosambiks, erinnert eher an italienisches Design, wie es in der seit 2017 als Unesco-Weltkulturerbe anerkannten Hauptstadt von Eritrea, Asmara, zu finden ist. Von dort sind in der Ausstellung eine ganze Reihe von Aufnahmen zu sehen, die die von Verfall bedrohten Bauten der italienischen Kolonialzeit bis 1941 regelrecht monumentalisieren.
Moderne im Kontext von Geografie und Klima
Insofern führt die das Entree der Ausstellung dominierende Großaufnahme des "Independence Arc" in Accra, errichtet 1961 zur Feier der vier Jahre zuvor erlangten Unabhängigkeit Ghanas von Victor Adegbite, etwas in die Irre. Denn es sind nicht die in diesen Jahren um 1960 in vielen der jungen Staaten entstandenen Repräsentationsbauten nach westlichen Vorbildern, die zu sehen sind, sondern meist Bauten aus der Zeit um 1940.
Zumindest eine gigantische Hochgarage in Accra, um 1960 in reichlich Beton gegossen, hat Molitor aufgelesen. Und als jüngstes Bauwerk ein unscheinbares Postamt ebendort, erbaut um 1970 und von querliegenden Tonnendächern überdeckt, sodass zwischen dem eigentlichen Gebäude und diesem vielfach gerundeten Dach ein Luftraum zur natürlichen Klimatisierung frei bleibt. Als Architektin wird die im vergangenen Jahr hochbetagt verstorbene Hannah Schreckenbach genannt, die, in Karlsruhe und London ausgebildet, ab 1960 anderthalb Jahrzehnte für das ghanaische Ministerium für Bauen und Wohnen tätig war. Schon damals setzte sie sich für nachhaltiges Bauen ein. Und, wie an diesem Beispiel zu sehen ist, für eine Moderne im Kontext von Geografie und Klima.