Kurz vor Eröffnung der 60. Venedig-Biennale kocht das Postfach mit Einladungen zu Ausstellungen und Empfängen in der Lagunenstadt über. Da loben wir uns den pragmatischen Ansatz einer PR-Agentur, die die Aktivitäten ihrer Klienten übersichtlich sortiert hat: "Ich habe die Projekte im beigefügten PDF thematisch gruppiert, um ihre breiteren Kontexte hervorzuheben, darunter Themen wie der globale Süden, Migration, aktuelle Konflikte, Queerness und mehr."
Funktioniert der Kunstbetrieb wirklich so schematisch? Liest man mit genau diesen Schlagworten bestückte Interviews mit Adriano Pedrosa, dem Kurator der Hauptausstellung der Venedig-Biennale, muss man es befürchten. Wenn in dieser Woche nun Tausende akkreditierte Journalisten, Kuratorinnen und andere "Professionals" an vier Previewtagen durch Pedrosas Hauptausstellung stolpern, durch Länderpavillons und sogenannte Kollateral-Events, dann kann man sich bei den zwangsläufig anfallenden Smalltalks durch mentale PDFs arbeiten: Mit "globaler Süden", "Migration", "aktuelle Konflikte", "Queerness" ist schon viel gesagt.
Andererseits ist die Kunst dann doch viel komplexer als das Reden darüber: Hinter jedem Werk steht ein gelebtes Leben, und Pedrosa hat durch seinen Fokus auf Migration besonders viele Künstlerinnen und Künstler mit aufregenden und gebrochenen Biografien versammelt.
Wenn Sie nun aber unglücklicherweise noch nichts gesehen haben und in ein Gespräch verwickelt werden, hier sind zehn Sätze, die Sie immer und kontextlos verwenden können:
- Das Prinzip der Länderpavillons hat sich ja eigentlich überholt, ne?
- Ich komme im Herbst nochmal wieder und schaue es mir in Ruhe an.
- Also ich wohne immer gern ein bisschen abseits, wo noch echte Venezianer sind.
- Geht es hier zum Pavillon von Bosnien-Herzegowina?
- War hier gestern nicht noch eine Brücke?
- Ist ja eh eine reine Verkaufsausstellung.
- Ist gestern ein bisschen länger geworden.
- Nigeria hat ein sehr ambitioniertes Projekt, habe ich im Monopol-Sonderheft gelesen.
- Venedig, die schmeichlerische und verdächtige Schöne, — diese Stadt, halb Märchen, halb Fremdenfalle, in deren fauliger Luft die Kunst einst schwelgerisch aufwucherte und welche den Musikern Klänge eingab, die wiegen und buhlerisch einlullen.
- Spritz?
Wer etwas tiefer einsteigen will, kann auch den Sinn von Großausstellungen überhaupt in Frage stellen, aber das würde schon ganz schön weit gehen. Es ist ein bisschen wie Silvester: Jeder zweifelt dran, feiert dann aber doch mit – und am Ende war es natürlich wieder super.