Mit Löwe
Nina Beier zählt zu den fantastischen Künstlerinnen, in deren installativen Arbeiten und Skulpturen sich konzeptionelle Stärke, Witz und formale Eleganz vereinen. Ihre De- und Rekontextualisierungen von Vertrautem legen überraschende Fragen nach Bedeutung offen und führen vor Augen, was wir immer wieder vergessen: dass Werte einfach konstruiert sind und nicht gegeben. 2024 kommen Einzelschauen in Europa und Mexiko.
Nina Beier "Works", Hatje Cantz, 50 Euro
Als Vogel
Wegen ihrer durchdringenden Stimme nannte Alexej von Jawlensky sie "Galka" – Dohle. Die Kunsthändlerin, Sammlerin und Malerin Emmy Esther Scheyer wurde zur "Prophetin der Blauen Vier". Als Muse und in der Weimarer Republik auch Agentin Jawlenskys machte sie ihn sowie Paul Klee, Wassily Kandinsky und Lyonel Feininger in den USA bekannt. Das Buch von Gilbert Holzgang entreißt sie jetzt dem Vergessen.
"Galka Scheyer", Michael Imhof Verlag, 49,95 Euro
Im Baum
Biophiles Wohnen, das Leben mit Pflanzen, hat neben der Steigerung der Luftqualität starke ästhetische Vorteile. Dieser Band des Verlags Gestalten zeigt Beispiele aus den Niederlanden, Sydney, Madrid oder Mexiko-Stadt. Fest steht, das Leben wird besser mit bepflanztem Patio. Am besten sehen die begrünten Heime aus, wenn sie Skyline-Blick haben – oder wenn Hühner im Spiel sind. Ideal zum Verschenken, statt Blumen!
"The House of Green", Gestalten, 45 Euro
Mit Tiger
Julian Rosefeldt ist ein frei und radikal denkender Filmkünstler mit glänzenden Ideen und perfektionistischer Ausführung. Für die Ruhrtriennale 2022 entwickelte er die extrem aufwendige Videoinstallation "Euphoria", deren Herzstück ein kinotauglicher Film ist, der den Kapitalismus untersucht. Die Figuren: Obdachlose, Tiger im Supermarkt, Schülerinnen, Angestellte bei Paketzulieferern und natürlich Broker. Das jetzt herausgekommene Buch wird dem anspruchsvollen Projekt ästhetisch und inhaltlich vollends gerecht, eindringlich und krass.
Julian Rosefeldt "Euphoria", Völklinger Hütte, 60 Euro
Mit Tiefe
Eine Familie lebt glücklich in unkonventionellen, aber abgesicherten Verhältnissen, bis der Vater stirbt und keiner eine Sprache für die Trauer hat. Der Icherzähler flieht, geht nach Berlin, erst an die Uni, dann in die Clubs, dann noch tiefer ins Nachtleben hinein, dann weiß er irgendwann gar nicht mehr weiter und fängt an, über Kunst zu schreiben. In Simon Elsons geradlinig geschriebenem Coming-of-Age-Roman gewinnt am Ende das Zarte und Zugewandte.
Simon Elson "Geschichte der Unordnung", Blumenbar, 22 Euro
Ganze Wende
Es ist Pandemie, das Filmfestival in Cannes fällt aus. Eine junge Künstlerin sitzt in Frankfurt und macht sich an die Arbeit. Ihr Scherenschnitt wird fünf Meter breit und 2,5 Meter hoch. "Vor dem zugewucherten Palais des Festivals et des Congrès sammeln sich Gruppen von Frauen, nackt, in Strand- oder Badekleidung, in Abendgarderobe, und machen sich bereit, hineinzugehen. Auf dem verwilderten Rasen im Vordergrund sitzen Frauen in hohen Stiefeln auf den Gesichtern von liegenden Männern, die sie als Mischung aus Sexobjekt und Möbelstück befriedigen müssen oder die als lebende Aschenbecher dienen." So schreibt Oliver Koerner von Gustorf in dem Katalog "Soaplands" von Sonja Yakovleva, die früher als Teil der Römischen Votzen gerappt hat und nun großartige Ausstellungen mit ihren Scherenschnitten macht. Skrupellos feministisch, herausfordernd und sehr witzig. Cannes war die Spielwiese des MeToo-Täters Harvey Weinstein, jetzt dreht Yakovleva den Spieß um.
Sonja Yakovleva "Soaplands", DCV, 50 Euro
Surreale Ideen
Vor 100 Jahren verfasste André Breton sein Erstes Surrealistisches Manifest. Obwohl an den Surrealismus heute als künstlerische Avantgarde erinnert wird, handelte es sich damals tatsächlich um eine bürgerliche Aufbruchsbewegung, die das Bürgertum mit seinen eigenen Widersprüchen konfrontiert hat. Die Forderung: die Werte von Freiheit, Gleichheit und Solidarität zu realisieren, bürgerliche Privilegien aufzugeben und gemeinsame Werte zu erkämpfen. 100 Jahre nach seiner Ausrufung ist der Surrealismus also brandaktuell für unsere krisengebeutelte Gegenwart.
Pierre-Héli Mono "Hundert Jahre Zärtlichkeit", Matthes & Seitz, 20 Euro
Schöne Radikale
Susan Sontag schrieb schon 1972 hellsichtig über den Zusammenhang von Kapitalismus und Angst vor dem Altern. Die Texte in ihrem neuen Band "Über Frauen" sind sehr gut gealtert. Sie behandeln die politischen und wirtschaftlichen Aspekte des Frauseins. "Beim heutigen Lesen kann man nur staunen über ihr ihrer Zeit vorauseilendes Genie", so der "New Yorker". Sontag schreibt über Gleichheit, weibliches Altern, Schönheit, Sexualität und Macht und zeigt sich als Vordenkerin und Visionärin im Kampf um echte Gleichberechtigung. Beschwichtigen zwecklos.
Susan Sontag "Über Frauen", Hanser, 23 Euro, ab 15. April
Neue Lenker
Auch das Fahrradfahren ist eine Form der Emanzipation: Wenn Tausende von Teenagern während der Bikestormz durch London fahren, drücken sie damit ihre Hoffnung auf eine bessere Zukunft aus. Auch die sonntäglichen Fahrten des Chilangos Lowbike Club durch Mexiko-Stadt sind ein Symbol gegen Gewalt. Das "Easy Rider Road Book" stellt mit aufregenden historischen Fotos und coolem Design das Fahrrad als Mittel für gemeinschaftliches Handeln vor, das Potenzial hat, das Leben in der Stadt und letztlich die Stadt selbst zu verändern.
"Easy Rider Road Book", Hatje Cantz, 40 Euro
