Als es noch so etwas wie einen "Volksmund" in Berlin gab, taufte er die Metallskulptur vor der Deutschen Oper "Schaschlikspieß". Mag sein, dass es Boulevard-Journalisten waren, die die Bezeichnung erfanden. Doch unzweifelhaft sprach Hans Uhlmann, der Schöpfer der Skulptur, selbst von einem "Spieß", der die "Horizontale" der Waschbetonfassade des Opern-Neubaus "durchschneidet". Zu hören ist Uhlmanns Erläuterung in einem kurzen Film, der im Rahmen der Retrospektive des bedeutenden Bildhauers der Nachkriegs-Epoche in der Berlinischen Galerie gezeigt wird.
Um 1960 stand Uhlmann im Zenit seiner Künstlerlaufbahn und seiner öffentlichen Wirkung. 1954 hatte er das Werk "Concerto" für das Foyer des neuerbauten Konzertsaals der Hochschule der Künste geschaffen, 1958 die freistehende Plastik im Zentrum des neuen Hansa-Viertels; 1960, wie erwähnt, den "Spieß" vor der Oper und 1964 die aus Aluminiumblech geformte Flügelfigur auf der neuen Philharmonie, oft und durchaus treffend als "Phönix" bezeichnet. Alle vier Skulpturen sind bleibende Bestandteile im Erscheinungsbild der Stadt.
Nur ist der Künstler – er starb 1975 – mittlerweile regelrecht in Vergessenheit geraten. Die letzte Überblicksausstellung liegt sage und schreibe 55 Jahre zurück, ausgerichtet von der Akademie der Künste, der er seit 1956 angehörte. Allerdings machte das Kunsthaus Dahlem vor zwei Jahren auf die Gefängnistagebücher Uhlmanns aufmerksam, die der Künstler, als KPD-Mitglied im Herbst 1933 wohl bei einer Flugblattaktion von der Gestapo verhaftet, in anderthalb Jahren Haft schrieb und vor allem mit Zeichnungen versah.
Rege Tätigkeit in der Vier-Sektoren-Stadt
In dieser Zeit entwickelte der ursprünglich zum Ingenieur ausgebildete Uhlmann die Idee seiner Drahtskulpturen, von denen zwei frühe Ausführungen den Auftakt der jetzigen Ausstellung bilden. Unmittelbar nach Kriegsende und immerhin bereits 45 Jahre alt, entfaltete Uhlmann rege Tätigkeit in der Vier-Sektoren-Stadt Berlin, unter anderem als Ausstellungsleiter der legendären Galerie Rosen am Kurfürstendamm. 1950 wurde er an die Hochschule berufen.
Inzwischen hatte sich Uhlmann der Abstraktion zugewandt. Die neuen Skulpturen wurden auf dem Hintergrund seiner technisch-naturwissenschaftlichen Ausbildung wiederholt nicht als Abbildung von, wohl aber Annäherung an durch Wissenschaft erschlossenen Phänomene wie Atom und Molekül begriffen.
Will Grohmann, einer der damaligen "Kritikerpäpste", bescheinigte Uhlmann, "das Unanschauliche anschaulich machen" zu können. Für Uhlmann und die Künstler dieser Zeit bedeutete das selbstbestimmte Schaffen vor allem Freiheit. Er selbst sagte am Ende seines Lebens, erstaunlich genug, "meine vollkommene Freiheit in der künstlerischen Arbeit wurde niemals bedroht". Das war vielleicht mehr Credo als erlebte Realität, bezeugt aber den Anspruch, dem sich der Künstler stellte.
Neuanfang nach Diktatur und Weltkrieg
"Uhlmanns Plastik" – heißt es im Katalog der jetzigen Ausstellung, der auf Jahre hinaus als Standardwerk gelten wird, zu der Skulptur im Hansaviertel – "steht (…) diametral zur NS-Kunstrepräsentation und symbolisiert in ihrer abstrakten, experimentellen Gestaltung einen Neuanfang nach Diktatur und Weltkrieg." Das ist die Perspektive, unter der Uhlmanns Œuvre zu sehen und zu erfassen ist. Seine eigene Arbeit verstand er, wie seinen Vorkurs an der Hochschule, als "Experimentelles Formen" – mit "s", das heißt als Tätigkeit, nicht schon als Ergebnis.
So ist auch die nobel präsentierte Ausstellung der Berlinischen Galerie überschrieben, die sich naturgemäß auf die (sehr zahlreichen) Zeichnungen und die kleineren seiner insgesamt 242 geschaffene Skulpturen konzentrieren muss. Sie lässt die Haltung erkennen, aus der Uhlmanns Werk entstanden ist, und, wenn man so will, den Zeitgeist, der ihn zu einer derartigen öffentlichen Wirkung trug. In Uhlmanns Werk zeigt sich die bessere, die intellektuell und künstlerisch aufgeschlossene Seite der Nachkriegszeit in West-Berlin.