In einer der vielleicht besten "Spongebob"-Folgen sitzen der rechteckige, knallgelbe Protagonist und sein Seestern-Freund Patrick in einem leeren Karton. Viel passiert ansonsten nicht, aber natürlich passiert deshalb alles: Aus dem unspektakulären Ort heraus entfaltet sich kraft der Imagination bald ein ganzes Universum fantastischer Dinge, das ahnungslose Außenstehende freilich nicht immer zu würdigen wissen. Für die sprechenden Meeresbewohner aber gibt es für die Dauer dieser Folge nichts Aufregenderes als die Leere der Kartonleinwand.
Ähnliche Abenteuer dürften die Besucherinnen und Besucher jener Architekturen erfahren haben, die das "Playground Project" der Stadtplanerin und Forscherin Gabriela Burkhalter versammelt hat. Manchmal war es bloß ein riesiger Raum voll mit ausgekippten Schaumstoffresten, das als Kreativlabor herhielt, mal eine riesige, aufgespannte Netzstruktur oder eine matschige Wiese mit selbsterrichteten Holzbauten. Mal als temporäre Spielaktion, mal als dauerhafte Installation: Umfangreiche Spiellandschaften, in die Breite oder in die Höhe ragend, variabel einsetzbare Spielmodule, die wie Raumschiffe um die 1970er-Jahre herum in Wohnsiedlungen und sozialen Brennpunkten landeten, und fabelhafte Spielskulpturen, die Fantasietieren ähneln konnten oder ebenso gut einem Objekt im Kunstmuseum. Dass Spielen besonders Spaß in der Lücke macht, in der nicht alles vorgegeben ist, davon erzählen auch sie.
Mit "The Playground Project" zeichnet Burkhalter eine Geschichte des Spielplatzes als aufregendes Labor nach, in dem wechselnde Vorstellungen von Kindheit insbesondere in den Industrienationen Gestalt annahmen. Die Anfänge macht das Projekt in den 1930er Jahren aus, als erste Reformbewegungen die Bedürfnisse von Kindern für sich entdeckten und das Spielen zunehmend ernstgenommen wurde; das Ende in den 1990er-Jahren (es mag einem heute wie nur eine weitere Bestätigung erscheinen, warum sich alle Welt wieder in jenes Jahrzehnt zurücksehnt).
Nachbar Lozziwurm
2016 präsentierte die Kunsthalle Zürich eine gleichnamige Ausstellung, in der neben Archivmaterial originale Spielarchitekturen gezeigt wurden. 2019 zog die Schau ins Deutschen Architekturmuseum nach Frankfurt, wo man zum Beispiel durch den Lozziwurm kriechen konnte – "das Kunstwerk mit dem großen Spielwert von Iwan Pestalozzi", wie das rot-orange geschlängelte Kunststoffobjekt seinerzeit beworben wurde. Der Lozziwurm zählte zu den wohl erfolgreichsten seiner Art, über 110 Mal wurde er allein in der Schweiz vor Schulen, in Shoppingzentren und in Parks installiert.
Die Lust an der bespielbaren Kunst zieht sich durch etliche Biografien, die das "Playground Project" auch in Buchform versammelt hat: So ist Pestalozzi ebenso ausgebildeter Möbelschreiner wie Künstler und Eisenplastiker; den Lozziwurm dachte er sich mit seinem Nachbarn, dem Architekten Hans Litz aus.
Eine Seite weiter blättert man zu Niki de Saint-Phalle, die unter anderem in Israel und Belgien ganze Spielplätze mit begehbaren Figuren realisierte. Andere Spielplatzgestalter kamen aus der Landschaftsarchitektur, den Sozialwissenschaften, waren als Juristen, Designer oder Bildhauer ausgebildet. Nicht selten arbeiteten verschiedene Disziplinen zusammen: Wie im "Reich der Phantasie", das 1978 im Rehazentrum Katharinenhof von einer Gruppe bildender Künstler initiiert in Zusammenarbeit mit Ärzten und Therapeuten entstand.
Ein kleines Revival
Gerade ist "The Playground Project" in einer erweiterten Neuauflage erschienen. Mit besonders großformatigen Bildern erscheinen die vorgestellten Architekturen heute mindestens so begehrlich wie seinerzeit. Manches hat Einzug gefunden in die Art, wie heute Spielanlagen oder Spielaktionen geplant werden. Die Zeit der großen Gesellschaftsentwürfe allerdings, die sich in diesen zukunftsoptimistischen Angeboten für Kinder Bahn bricht, scheint vorerst vorbei.
Vielleicht kaum verwunderlich, feiert das Thema in der bildenden Kunst gerade ein kleines Revival: So zeigte das Museum Ludwig in Köln erst 2022 eine große Noguchi-Retrospektive und entschied sich dafür, neben Flachware, Design- und Kunstobjekten auch eine Spielskulptur mitten in den Ausstellungsraum zu stellen, schmerzfreier Bodenbelag inklusive. Die Berliner Festspiele haben für ihr diesjähriges Programm einen Kunstparcours angekündigt.
Und in Los Angeles wurde dieser Tage ein exzentrischer Spielplatz für alle Altersgruppen reaktiviert, dessen Existenz schon wie eine unwahrscheinliche Erzählung aus einer anderen Ära klingt: Mit Unterstützung der Zeitschrift "Neue Revue" hatte André Heller 1978 auf der Hamburger Moorweide diverse Fahrgeschäfte, Karussells, Zirkuszelte, Labyrinthe und begehbare Skulpturen von einer ganzen Armada an Künstlern gestalten lassen.
Keith Haring, Sonia Delaunay, Jean-Michel Basquiat, Roy Lichtenstein, Christian Ludwig Attersee und Salvador Dalí waren ebenso dabei wie der Komponist Philipp Glass. Nach Jahrzehnten im Depot kann der Luna Luna Park jetzt noch einmal besucht werden. Der Rapmusiker Drake steuerte 100 Millionen US-Dollar bei, um das Projekt restaurieren und wieder aufbauen zu lassen. Bis Ende des Frühjahrs soll der "Jahrmarkt der zeitgenössischen Kunst", wie er damals beworben wurde, geöffnet bleiben.