Eigentlich ist "Ikone" eines der viel zu oft verwendeten Wörter im Fashion-Kontext, das durch unbedachte Nutzung mehr und mehr an Glaubwürdigkeit verliert. Dabei gibt es sie tatsächlich, die Ikonen der Mode. Anna Wintour etwa, die lebenslange "Vogue"-Chefin oder Miuccia Prada, die seit fast 50 Jahren mit ihren Entwürfen begeistert. Und auf dem Laufsteg hat vor allem eine Ikone über drei Dekaden hinweg Strömungen geprägt und durch Zeitlosigkeit begeistert: Kate Moss, ein Model, das bis heute nicht aus der Mode kommt. Eine enorme Leistung bei den Wechseln an Gesichtern, Körpern, Trends und Namen und dem raschen Fall von gefragter Schönheit zum vergangenen Ideal.
Am 16. Januar wird Moss 50 Jahre alt. Zumindest auf dem Papier. "Ich werde nicht 50", wehrte sie noch im September 2023 gegenüber "The Times" ab. Sie erklärte, dass sie sich nicht so fühle und auch nicht darüber nachdenke. Und das, wo sie eine der wenigen Model-Ausnahmen ist, denen das Alter nicht viel anhaben kann. Ähnlich den Supermodels der 1990er-Jahre ist sie heute gefragt wie eh und je. Einige zählen Moss zu der Riege aus Crawford, Campbell und Turlington, jedoch begründete die Britin ihre ganz eigene Ära.
Nach den makellos schönen, perfekt geformten, sexy Amazonen wendete sich mit Kate Moss die Ästhetik. Mit 1,70 Metern (eigentlich zu klein zum Modeln), einer fast knabenhaften Statur und vermeintlichen Mängeln wie den schiefen Vorderzähnen bediente die Londonerin den Wunsch nach Wandel und löste den sogenannten "heroin chic" aus. Dünn, fast kränklich und unmissverständlich cool war nun das erwünschte Frauenbild, "Waif-Style" genannt.
"Gegenteil von all dem unwirklichen High Glamour der Mode"
Eines von Kate Moss' essentiellen Merkmalen ist jedoch ihre Wandelbarkeit, und so gliedert sie sich auch in die darauffolgenden Stilrichtungen und Tendenzen mühelos ein, bedingt sie sogar. 2004 erst erklärt sie, nach vielen geschichtsträchtigen Catwalks, ihren Abschied vom regulären Laufsteg. Über 300 Magazin-Cover, umstritten-grandiose Werbekampagnen und nicht zuletzt ihr unverwechselbar Stil verhelfen ihr zum Aufstieg vom Model zu einem wahren Celebrity. Etwas, das vor ihr auch nur die "Supers" geschafft hatten.
Es ist es schwer, sich an Kate Moss sattzusehen, weil sie immer den Zeitgeist trift. Glücklicherweise nehmen die größten Fotografen ihrer Zeit unzählige Bilder von ihr auf, von denen viele Kultstatus erreichen. Alles beginnt 1990 mit einem Editorial in "The Face", dem damals einflussreichsten Stil-Magazin in Europa. Die britische Modefotografin Corinne Day und die Stylistin Melanie Ward sehen wie der Artdirektor des Magazins, Phil Bicker, in Kate "das Gegenteil von all dem unwirklichen High Glamour der Mode". Fragil, verspielt und ungewohnt natürlich grinst Moss so mit einer Federkrone vom Titel, hängt ungeschminkt am Strand ab, lacht lässig oben ohne in die Kamera.
Unvergessen sind auch die Bilder aus der Calvin-Klein-Kampagne von 1992, in der sie mit Mark Wahlberg posiert. 1993 ziert sie ihr erstes "Vogue"-Cover mit dem Titel "London Style … London Girls" und wird damit zur Galionsfigur des Lifestyles der Metropole. Ein Jahr später soll eine Fotostrecke von Glen Luchford den Grundstein für Moss' außergewöhnliche Karriere legen. Die in New York aufgenommenen Bilder zeigen die 20-Jährige zwischen den Bewohnern der Stadt, in zufällig zusammengesuchten No-Name-Kleidern, Pferdeschwanz und Cowboy-Hut. Ein Editorial, das später für den grungy Chic der 1990er-Jahre steht und Kate in Richtung (Anti)-Supermodel schnipst, zu dem sie sich in den kommenden Jahren entfaltet.
"Bereit, sich in alles zu verwandeln"
Im Jahr 2006 wird Moss zum Model des Jahres ernannt und soll 2011 das meistbezahlte Mannequin der Welt gewesen sein. Ihre spezielle Schönheit, doch gerade ihr Wesen und ihr ungespielt cooles Auftreten erlauben es ihr, nicht bloß als sogenannter Kleiderhaken stattzufinden, wie es von den meisten jungen Modellen erwartet wird. Moss wird wegen ihrer Persönlichkeit verlangt, sie inspiriert, ist unverwechselbar und eben nicht austauschbar. Ein Gesamtkunstwerk, das wie kaum ein weiteres die Kamera und alle hinter der Linse verzaubert.
So ist es nicht verwunderlich, dass Kate Moss' Erfolg über den eines Models hinausgeht. Designer, Fotografen und Künstler küren sie zu ihrer Muse und wählen sie als Subjekt ihrer Kunstwerke. Sie schafft es als eine der wenigen, die Grenzen der Mode zu überqueren und zu einem popkulturellen Kulturgut zu werden, das in Magazinen, auf Leinwänden und in bedeutenden Museen zu Hause ist.
Einer der ersten, der Moss als ein künstlerisches Motiv wählt, ist der deutsche Künstler Wolfgang Tillmans. In seiner Fotografie "Kate sitting" von 1996 tut sie genau das: Auf einem hölzernen Stuhl ist sie in einem roten Shift-Kleid zu sehen, die Füße in Birkenstock-ähnlichen Sandalen zeigen nach außen, ihre Knie gehen leicht auseinander. Tillmans entscheidet sich bewusst, gegen das Image der Zerbrechlichen zu arbeiten und positioniert Moss in selbstbewusster Haltung in einem Meer aus Plastik-Blättern. "Als Model ist sie bereit, sich in alles verwandeln zu lassen, was die vielen Künstler, die mit ihr gearbeitet haben, von ihr erwarten. Dennoch bleibt sie, wie auch hier, ganz und gar Kate Moss", beschreibt es die Tate Modern.
Lucian Freud fertigt ein Gemälde der schwangeren Kate Moss an, in Sitzungen, die von 7 Uhr abends bis 2 Uhr am Morgen gehen können. Das Werk wird 2005 bei Christie's versteigert und erzielt einen Preis von 3.928.000 Pfund - ein Rekord für den Künstler. Der Katalog beschreibt das Werk als "eine Vereinigung von Gegensätzen", die "die langsame Prüfung und Technik der alten Meister auf die ikonische Figur aus der flüchtigen und oberflächlichen Welt der zeitgenössischen Mode, der Zeitschriftencover und der kommerziellen Werbung anwendet".
Ein anbetungswürdiges Vorbild
Aus der intensiven Zeit als Maler und Modell entwickelt sich eine Freundschaft zwischen Moss und Freud, die in einer Fotografie von David Dawson dokumentiert wird. Die Aufnahme von Freuds Studioassistent zeigt beide aneinander geschmiegt in einem Bett liegend, Arm in Arm.
Kate Moss' Gesicht hat man so oft gesehen, dass man meint, sie wahrhaftig zu kennen. Das des Künstlers Banksy dagegen wird wohl für immer ein unbekanntes belieben. Seine Kate-Moss-Serie nennt er "the ultimate modern interpretation of Andy Warhol’s Marilyn Monroe series". Die bunten Drucke stellen eine direkte Antwort auf die Monroe-Exemplare von Pop-Art-Künstler Warhol dar. Um Moss' Gesicht legt Banksy die Haarpracht der Schauspielerin und verbindet so zwei unverkennbare Idole ihrer Zeit.
Anders als Monroe kann Kate Moss die Beschreibung "Sex-Symbol" nicht uneingeschränkt gerecht werden. Begeistert sie doch vor allem weibliche Fans, die in ihr ein anbetungswürdiges Vorbild finden.
Ein "quasi mythologisches Wesen"
"Ich habe mit vielen Künstlern zusammengearbeitet - Marc Quinn, Tracey Emin, Gary Hume, Jake und Dinos Chapman ... Mit einigen von ihnen bin ich befreundet. Eigentlich mit vielen von ihnen. Wir trafen uns auf Partys und so weiter, und im Laufe der Jahre baten sie mich, das eine oder andere ungewöhnliche Projekt zu machen", sagte Kate Moss einst. Eines dieser Projekte wird wohl die aus 18 Karat Gold gefertigte Statur sein, die Marc Quinn von dem Model gießt. "Siren" zeigt Moss in einer Yoga-Pose und soll das unrealistische Bild des idealen Körpers erforschen. Quinn kreiert die meisten um das Supermodel kreisenden Werke, beschreibt Moss als ein "quasi-mythologisches Wesen" oder "eine kulturelle Halluzination, die wir alle gemeinsam erschaffen haben. Sie ist die einzige Person, die die Allgegenwart und Stille besitzt, die für ein Bild der Göttlichkeit erforderlich sind."
Über die Dekaden hinweg wird Kate Moss von allen bedeutsamen (Mode-)Fotografen abgelichtet. Nick Knight etwa fotografiert sie seit Anfang der 1990er-Jahre bis heute und betont, wie ungewöhnlich es ist, über einen so langen Zeitraum relevant und inspirierend zu bleiben. "Sie repräsentiert etwas, das wir für aufregend und wichtig halten, aber man kann nicht beschreiben, warum diese Person so ist, wie sie ist. Sie ist einfach so."
Kate Garner schießt 1990 das berühmte Bild von Kate in Paris, vor einer Tasse Kaffe, mit Zigarette in der Hand und Schirmmütze auf dem Kopf. "Von allen Bildern, die ich von Prominenten gemacht habe, verkaufen sich die von Kate einfach am besten."
Die wahre Schönheit liegt im Inneren
Es gehe nicht um gutes Aussehen allein, Kate verbinde sich auf eine Art und Weise mit der Kamera, dass es unmöglich sei, ein schlechtes Foto von ihr zu schießen. Chris Levine nimmt ihr Modell in einer innovativen Form der Fotografie auf, die Licht, Laser und Holografie verbindet. Er erklärt: "In Anbetracht all der Bilder, die jemals von ihr gemacht wurden, musste ich über die Schönheit hinausgehen und sie in eine tiefere Dimension bringen. Ihre wahre Schönheit liegt in ihrem Inneren, und das ist es, was ich hoffe, in Form von Licht zu projizieren."
Fotografische Werke von Levine und von weiteren Meistern wie Patrick Demarchelier, Arthur Elgort, Ellen von Unwerth und Steven Klein werden gerade in der Berliner Galerie Camera Work anlässlich von Kate Moss' 50. Geburtstags ausgestellt. 30 Werke dokumentieren ihren Werdegang und erklären die Faszination, die sie seither umgibt. Auf Augenhöhe mit einer immer modernen Ikone.