In den dunkelsten Wochen des Jahres ist das Kleine Grosz Museum, wie es sich wortspielerisch nennt, noch leichter zu übersehen. Die einstige Tankstelle an der Berliner Bülowstraße hatte Eigentümer und Galerist Juerg Judin ohnehin schon hinter üppigem Grün versteckt, als er hier seinen Wohnsitz nahm.
Den gab er nach einem Jahrdutzend auf und vermietete das um einen zweistöckigen Anbau ergänzte, denkmalgeschützte Gebäude an den Verein George Grosz in Berlin e.V. Dieser eröffnete hier im Mai 2022 sein Museum zu Ehren des 1893 in Berlin geborenen und 1959 kurz nach der Rückkehr aus der Emigration hier auch verstorbenen George Grosz, verborgen hinter einem hohen Metallzaun zur Straße hin.
Es ist dies nicht eben die feinste Gegend von Berlin, da ist ein Zaun sicher nicht verkehrt – zumal der Besucher jenseits der Ehrfurcht gebietenden Metalltür geradezu ein Idyll betritt, eigentlich ein privates Wohnensemble mit Teich und Garten und dank Rundumverglasung überaus einladender Tankstelle. Die beherbergt nunmehr ein Café. Zur Kunst geht’s in den benachbarten Neubau, der weitgehend frei von Tageslicht optimale Bedingungen für die Werke von George Grosz bietet. Es sind zumeist empfindliche Werke auf Papier, die der Verein sein Eigen nennt und im Erdgeschoss als Dauerausstellung zeigt. Im Obergeschoss aber, über eine seitliche, schmale Treppe zu erreichen, finden die temporären Ausstellungen statt, die der Verein von Gastkuratoren ausrichten und mit Leihgaben bestücken lässt.
Erheblicher Bestand an grafischen Arbeiten
So ist die neue, bereits vierte Sonderausstellung unter dem beim Künstler entlehnten Titel "A Piece of My World in a World Without Peace" zu den Collagen den Küstlers eine Kooperation mit der Akademie der Künste. Die beherbergt in ihrem Archiv Grosz' Nachlass mit einem erheblichen Bestand an grafischen Arbeiten. Gegenüber den Gemälden und den oft bitterbösen Zeichnungen haben seine Collagen nie dieselbe Aufmerksamkeit gefunden. Die jetzige, von Rosa von der Schulenburg und Birgit Möckel erarbeitete Ausstellung legt die Entstehung der Collagen frei, die sich einer schier nimmersatten Sammelfreude und einem kombinatorischen Geist verdanken.
Grosz hatte das Genre schon zu Beginn seiner künstlerischen Laufbahn entdeckt. Ob man der Selbstaussage glauben will, mit der Grosz Ort, Datum und Uhrzeit der allerersten Collage behauptet, ist unerheblich. Jedenfalls stand die Methode als geistvolle Verbindung von bereits vorhandenen, aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang gelösten Bildelementen und ihre Neubezeichnung durch Schrift und Titel zur Verfügung, als Grosz sie im aufkommenden Dadaismus gegen Ende des Ersten Weltkriegs nutze. Damals zur Bloßstellung des offiziellen Militarismus, später in der Weimarer Republik zur beißenden Kritik an Bourgeoisie und schreiendem Elend gleichermaßen.
Für Dada-Zeitschriften wie den "Blutigen Ernst“ kombiniert Grosz Fotografien und Schriftbänder. Das bei der "Ersten internationalen Dada-Messe“ 1920 gezeigte, collagierte Gemälde "Deutschland, ein Wintermärchen“ ist verschollen, aber immerhin hat sich eine Farbabbildung erhalten, die in der Ausstellung einen prominenten Platz einnimmt.
"Fulminanter Atlas der fleischlichen Lüste"
1933 entkam Grosz den Nazis, als er bereits drei Wochen vor Hitlers Machtübernahme in die USA emigrierte. Nun wurde New York sein Wohnort; heimisch fühlte er sich indessen kaum. Die Collagen der Exiljahre zeigen Faszination ebenso wie Kritik. Die aber war nicht mehr auf die "herrschende Klasse“ gerichtet wie im Berlin der 1920er-Jahre, sondern auf die Konsumwelt, zumal der Nachkriegszeit. In den USA hoffte Grosz auf eine Tätigkeit als Zeitschriftenillustrator. Er begann, gezielt Bildelemente zu sammeln, ab 1941 in einem Buch mit dem Titel "The Musterbook. Textures". Im Katalog wird es beschrieben als "fulminanter Atlas der fleischlichen Lüste und des sinnlichen Begehrens“. Darin und in weiteren Themenmappen, in der Ausstellung in Vitrinen ausgebreitet, sammelte er – besonders gern aus den bunten Seiten des "New Yorker“ – Bilder von Fleischstücken, Alkoholika, Damenwäsche, Brillen, aber auch "Ruins, Bombcraters, Barbed Wire“. Alles dazu bestimmt, in möglichst kontrastreichen Kombinationen vereint zu werden.
Gern collagierte Grosz Postkarten, mit denen er den Kontakt in die alte Heimat Berlin aufrecht erhielt. Es sind spielerische und überraschend liebevolle Miniaturen, Zeugnisse einer nie erlahmenden visuellen Fantasie. Und doch war es nicht mehr Grosz' eigentliche Zeit. "Me Brummt Ze Head“, kalauerte er auf einer Postkarte an den alten Dada-Freund und Schwager Otto Schmalhausen. Das war 1957, zwei Jahre vor der Rückkehr nach Berlin und dem allzu frühen Unfalltod.
Die Ausstellung im Kleinen Grosz Museum holt diesen enormen Arbeitsbereich der Collagen für kurze Zeit ans Licht. Ein Glück, dass sie im erneut vorzüglichen Katalog sichtbar bleiben, wenn sie in den Schutz des Archivs zurückkehren.