Schon auf der Treppe zur eigentlichen Ausstellung bleibe ich das erste Mal hängen. Eine hohe Frauenstimme bohrt sich mit einer hypnotischen, sakralen Melodie ins Bewusstsein. Kein Text, keine Beats, nur dieser Gesang voll zärtlicher Beharrlichkeit. An die Wand werden Filme aus über fünf Jahrzehnten projiziert. Der älteste, "Children" von 1967, zeigt Mädchen beim Spielen, mal ernst, mal ungestüm und nie brav und lächelnd, wie es das Klischee verlangte.
In den "Hand Mandalas" von 2018 formen sich Hände in einem endlosen freundschaftlichen Miteinander zu verschiedenen Mustern. Und in den "Impermanence Portraits" von 2004 blicken wir Menschen ins Gesicht, Männern und Frauen, manche jünger, manche älter, die eines gemeinsam haben: Sie wissen, dass sie an einer unheilbaren Krankheit leiden und bald sterben werden. Was sehen wir in ihren Augen? Wie soll man sich von diesen Blicken wieder lösen?
Dieses Gefühl, hinabzugleiten in die Tiefe menschlicher Erfahrungen, wird sich noch einige Male wiederholen in der Ausstellung von Meredith Monk im Münchner Haus der Kunst. "Calling" heißt diese Schau, wie ein Sirenengesang, der einen anzieht und hineinzieht in ein beeindruckendes Lebenswerk.
Avantgarde-Musikerin als bildende Künstlerin
Bekannt ist Meredith Monk, 1942 im New Yorker Stadtteil Queens in eine jüdische Musikerfamilie hineingeboren, vor allem als Avantgarde-Musikerin. Inspiriert von Fluxus, John Cage und Minimal Music, entwickelte sie seit den 1960er-Jahren eine spezielle Vokalkunst, bei der sie jenseits sprachlicher Codierungen allein mit der Stimme und ihren Ausdrucksmöglichkeiten arbeitete, irgendwo zwischen ethnischen Trillern, Gregorianik und Neuer Musik. Mit ihrem Zwitschern, Kreischen und Stöhnen gab sie Sängerinnen wie Yoko Ono, Kate Bush oder auch Björk die Richtung vor.
Sie als bildende Künstlerin zu präsentieren, ist überraschend – und geht im Haus der Kunst exzellent auf. Die gleichzeitig laufende Hauptausstellung "In anderen Räumen" zeigt ja bereits, wie erfolgreich gerade Künstlerinnen in den 1960er- und 1970er-Jahre an neuen Formen der multimedialen, oft interaktiven Installation gearbeitet haben. Und auch Monk hat seit der Mitte der 1960er-Jahre mit Filmprojektion, Klang und Objektinstallation experimentiert. In München ist das Setting ihrer Performance "16 Millimeter Earrings" von 1966 rekonstruiert, die erstmals Gesang, Tanz, Film und Installation verband.
Mit sparsamen, poetischen Gesten bewegte sie sich im weißen Kleid und mit roter Langhaarperücke wie eine ernste Pipi Langstrumpf über die Bühne, setzte sich eine lampenartige Kuppel auf dem Kopf, die irgendwann zur Projektionsfläche wurde, und interagierte mit dem Bild ihres eigenen Gesichtes, das auf die Kuppel projiziert wurde. Andere Installationen verbinden Filmaufnahmen von Geröll mit Steininstallationen im Raum, lassen Hüte und Flugzeuge über alten Koffern fliegen.
Keine stringente Erzählung
Fetzen von Erzählung und Bedeutung treffen und überlagern sich, aber eine stringente Erzählung soll sich nicht entwickeln – Meredith Monks Werk ist tief verwurzeln in den Avantgarden des 20. Jahrhunderts, es ist abstrakt. Und gleichzeitig, und das ist das das Ergreifende, tastet es sich zu tieferen Schichten vor, zu einem Gleiten und Fühlen, mit zenartiger Ruhe – wie viele aus dem Umfeld von John Cage ist auch Monk von Buddhismus und asiatischer Philosophie beeinflusst.
Metamorphose, Altern, das Verschmelzen mit der Natur, all das durchzieht ihre Performances genauso wie die Videoinstallationen, die oft im Zusammenhang damit entstehen und gezeigt werden. Kunst, so meint sie, kann heilen – und wenn man sich hinsetzt in den dunklen Stuhlkreis, den sie bereitgestellt hat, die Kopfhörer aufsetzt und in ihre "Domen Music" (1976) versinkt, dann kann man das ausnahmsweise mal wirklich nachvollziehen.
Wie sehr Meredith Monk die Verbindung von Filminstallation und Musik mittlerweile perfektioniert hat, zeigen einige finale Videoinstallationen am Ende des Münchner Parcours. In der Dreikanalinstallation "Songs of Ascension", 2023 entstanden, sieht man Chor und Streicher einen Turm hinauf und hinabsteigen, die Stimmen und Klänge winden sich umeinander, treffen sich und teilen sich wieder. Mittendrin die mittlerweile 81-jährige Meredith Monk, im leuchtend roten Kleid und mit den geflochtenen Zöpfen, die seit Jahrzehnten ihr Markenzeichen sind. Immer noch kann sie ihre Stimme bis zum Himmel schicken und zurück, sie lässt sich tief fallen in den Klang und in das Ritual. Und wieder setzt der meditative Sog ein. Man hört, schaut, fühlt. Und bleibt lange sitzen.