Ist es möglich, dass das mondäne St. Moritz einen Umgang mit Kunst, wie ihn Karsten Greve pflegt, nicht als Provokation empfindet? Der Kölner Galerist, der eine Dépendance in dem Schweizer Bergdorf unterhält, hatte in die Auslagen diverser Luxusgeschäfte Werke von Künstlern gehängt, die er vertritt: Eine Cy-Twombly-Kritzelei etwa widersprach der Strenge der Kleider bei Jil Sander, eine „Homage to the Square“ von Josef Albers passte zumindest farblich zu den Jacketts bei Bernie’s Uomo. Mit größerer Verzweiflung (oder Selbstironie?) lässt sich die Frage nach der Integrität von Kunst kaum formulieren. Beim letztjährigen St. Moritz Art Masters beklagte sich Greve, 95 Prozent der Modeinteressierten hätten den Weg nicht von der Boutique in die Galerie gefunden. Ein radikaler Schritt, ihnen entgegenzugehen.
Die mittlerweile dritte Ausgabe des Kunst- und Kulturfestivals, zu dem der Schaufensterparcours gehörte, wirkte auch an anderen Schauplätzen wie eine Zuspitzung eines verstörenden Verdachts. Nicht:
Kunst ist zum Spielzeug der Reichen verkommen. Sondern: Dringt sie überhaupt noch durch? Das Oberengadin bietet für dieses Experiment variantenreiche Bühnen: Grandhotels, umgebaute Bauernhäuser, Heilquellen, Banken und High-End-Galerien wie die von Bruno Bischofberger oder eben
Karsten Greve.
Häufig, nicht immer, war die Kunst autonom genug, sich gegen die fremdartige, manchmal auch feindliche Umgebung zu behaupten. Es gelang den Arbeiten Gino de Dominicis’ in einem Prunksaal im Engadiner Heimatmuseum. Oder Wim Delvoye mit seiner Skulptur „Twisted Jesus“ in einer Kirche.
Während der vom Kölner Kurator Reiner Opoku organisierten zehn Tage konnte man also durchaus überraschenden Bezügen begegnen. Hochkarätig war die Liste der Künstler, prominent besetzt das Programm aus Symposien und Konzerten. Man musste zunächst allerdings den Charakter der
Veranstaltung akzeptieren, die sich auch an Sammler mit Zweitwohnsitz in der Umgebung richtet, an Gäste der Sponsoren und den Jetset, der einen Anlass braucht, wenn die Skilifte stillstehen. Dann lässt das „Champagnerklima“ in fast 2000 Meter Höhe andere Erlebnisse zu als im tiefländischen Kunstbetrieb. Auch wenn sie unfreiwillig verstörend sein mögen.