Wer liest noch Bücher? Wer kennt ihren Inhalt? Zumindest Buchtitel sind noch geläufig. Auf wandfüllende Großfotos von weißen Bücherrücken kann jeder Besucher mit bereitliegenden Filzstiften einen Titel schreiben. Viele befolgen das Angebot, viele schreiben allerdings auch irgendwelche Worte in die weißen Felder. Man könnte meinen, in einer Stadtbücherei mit niederschwelligem Angebot gelandet zu sein; in der heutigen Zeit der rapide schwindenden Bedeutung des Buches wäre das ein passender Einstieg. Tatsächlich aber befinden wir uns in der Kunsthalle Prag, und die Fotowand im Foyer ist bereits Teil der Ausstellung von Elmgreen & Dragset unter dem schlichten Titel "Read", die alles andere als schlichten Geistes ist.
Das ist anders auch nicht zu erwarten bei dem Duo, das schon bei etlichen Biennalen und mit hintergründigen Installationen geglänzt hat. Für die Prager Kunsthalle, die von der Pudil-Familienstiftung finanziert wird, konnte das dänisch-norwegische Künstlerpaar auf zahlreiche Kunstwerke aus der Sammlung der mäzenatischen Familie zurückgreifen, die im weitesten Sinne mit Büchern und Schrift zu tun haben. Und natürlich haben sie selbst kräftig zur Ausstellung beigetragen, etwa mit einer zerbrochenen Treppe, die zu einer Tür mit der Aufschrift "Filozofie" hinaufführt, nur leider nicht mehr betretbar ist.
Wir Besucher, könnte man daraus schlussfolgern, wissen allenfalls, dass wir nichts wissen. Und sehen unter anderem ein Regal, in dem Meriç Algün garantiert noch niemals ausgeliehene Bücher der Prager Stadtbücherei versammelt – darunter bezeichnenderweise den sehr schönen Sammelband über "Architektur und Geschichte von Bibliotheken". Nun gut, das Buch ist in deutscher Sprache abgefasst, die in Prag kaum noch zu hören ist; aber abgesehen von diesem Einzelbeispiel betrübt der Anblick ungelesener Bücher.
Nicht nur eine Schau-, sondern auch eine Leseausstellung
In Regale mit auf ihre Rücken gestellten, also unidentifizierbaren Büchern haben Elmgreen & Dragset weitere Objekte platziert, etwa Marcel Broodthaers' "Manuskript" betitelte Flaschenpost von 1974, oder eine in Chicago fortlaufend ergänzte Sammlung von Buch- und Plattencovern mit dem Motiv von Caspar David Friedrichs "Wanderer über dem Nebelmeer". In Vitrinen sind die Sprachspiele von Robert Filliou zu sehen ("Ample Food For Stupid Thought", 1965) oder ein "Calendar of Happenings by Allen Kaprow" sowie Wolf Vostells "Klammerbuch" von 1966. Sodann tschechische Samisdat-Literatur neben einer wie ein Mahnmal wirkenden, großvolumigen Schreibmaschine, und an der Wand Schreibmaschinengrafik der 91-jährigen Ruth Wolf-Rehfeldt, deren in der DDR geschaffenem Œuvre erst jetzt die verdiente Anerkennung zuteil wird.
Es ist also nicht nur eine Schau-, sondern auch eine Leseausstellung und somit eine geglückte Verbindung beider Wahrnehmungsformen, die Elmgreen & Dragset da zusammengestellt haben. Lebte er noch, wäre zweifellos auch Lawrence Weiner vertreten. Und tatsächlich findet sich ein Etikett an der Wand – nur nicht das entsprechende Schrift-Stück. Das authentisch wirkenden Kärtchen ist das "Selbstbildnis Lawrence Weiner" – geschaffen von Elmgreen & Dragset.
Und weil sie selbst so gut mit Worten spielen, sollen's die Besucher auch: "Read" ist die Aufforderung, alles zu lesen, die Bücher, die Kunstwerke, das eigene Ich inmitten dieser Inszenierung. Niederschwellig genug ist das Angebot auf jeden Fall.