Vor 20 Jahren eröffnete in einem Zelt im Londoner Regent's Park die erste Frieze Art Fair. Nach Finanzkrise, Brexit, Pandemie und anderen Erschütterungen ist die Kunstmesse noch immer sehr lebendig. Ein Rundgang über die aktuelle Ausgabe
Vor 20 Jahren fürchtete sich jeder davor, in den Ständen den Teppich zu entfernen, denn dann krabbelten Parktiere in die Kojen. Als die Frieze Art Fair in London 2003 zum ersten Mal eröffnete, gab es in London keine geeigneten Gebäude für eine Kunstmesse, also beschloss man, ein Zelt in den Regent‘s Park zu stellen – und hoffte es werde nicht regnen. Der Entwurf kam von einem jungen aufstrebenden Architekten namens David Adjaye, und bis heute sind es die lichten Decken der temporären Architektur, die jeden Frieze-Aufenthalt von anderen Messen unterscheidet.
Heute ist alles versiegelt, an Ständen wie bei Hauser & Wirth zum Beispiel vergisst man komplett das Provisorium. Die menschengroßen Skulpturen aus schwarzer Bronze von Barbara Chase-Riboud stehen gebieterisch wie in den Gemäuern einer Glyptothek vor geschmackvoll dunklen Wänden. Die US-Amerikanerin, Jahrgang 1939, hatte schon an der Documenta 6 teilgenommen, wurde dann aber vor allem als Schriftstellerin bekannt. Ihre künstlerische Handschrift ist dabei stark und eigen. Chase-Riboud ist bestrebt, diasporische oder transkulturelle Erzählungen in den Vordergrund zu stellen und erinnert an mächtige oder manchmal auch marginalisierte Frauen in der Geschichte“, erklärt die Galerie, die Skulpturen beziehen sich auf die ersten bekannten Dichterinnen.
Die Einzelpräsentationen junger Galerien, zusammengefasst in der Sektion "Focus", haben aufregende junge Kunst mitgebracht: Die Berliner Galerie Heidi zeigt einen Film der New Yorkerin Jordan Strafer. "Loophole" bezieht sich auf eine reale Gerichtsverhandlung aus den frühen 1990er-Jahren, in der ein Kennedy-Spross der Vergewaltigung angeklagt war und sein Strafverteidiger eine Affäre mit einer der Geschworenen hatte. (Kennedy wurde freigesprochen.) Strafer gibt ihrem Film mit tollen Schauspielerinnen und Schauspielern einen aufgesexten "Basic Instinct"-Look, arbeitet teils mit Originaldokumenten aus dem Verfahren und verfremdet die Darsteller mit unappetitlichen körperlichen Details. Unterhaltsam, gut gemacht und von ihr selbst Fan-Fiction genannt, denn ihre Mutter war auch am Verfahren beteiligt.
Adam Farah-Saad ist 1991 in London geboren, aber er hat noch lebhafte Erinnerungen an die 1990er. Eine CD-Abhörstation, wie sie in den Musikabteilungen von Elektronikfachmärkten herumstanden, stehen am Eingang der Public Gallery, unter anderem kann man die Sugarbabes da hören. Ein rundes verzinktes Waschbecken für sechs Personen plätschert vor sich hin, die Skulptur ist inspiriert von der Herrentoilette des Wood Green shopping centers. Allerdings ist es ein dunkelviolettes Traubengetränk namens KA Black Grape Soda, das aus dem Fountain namens "Network & Contact" fließt.
Aufwendige Stick-Arbeiten zeigt der junge New Yorker Jordan Nassar in der James Cohan Gallery. Auf der Suche nach seinen palästinensischen Wurzeln ließ er sich eine traditionelle Sticktechnik beibringen und setzt Landschaftsbilder auf diese einerseits etwas starre, andererseits wunderschön haptische Weise um. Entfernt erinnern sie vom Bildaufbau an die sehnsuchtsvollen Landschaften von Etel Adnan, eine Assoziation, die ihm willkommen sei, wie die Galeristin versichert.
Glänzend, glitzernd und perlend ist der Stand von Esther Schipper. Ein Aluminiumkopf von Ugo Rondinone steht wie eine Osterinsel-Skulptur auf Lachgas vorneweg, ansonsten wurde von der ohnehin imposanten Künstlerliste offenbar alles zusammengetragen, was schimmert oder spiegelt, und dann wirklich ziemlich beeindruckend installiert. Sogar eine Glasskulptur von Karin Sander fließt weich über eine Kojenkante wie Lipgloss mit Cherrygeschmack.
Große gemalte Blumen in kreischenden Farben mit extra Farbsplatter gibt es bei Gagosian. Wo normalerweise unter dem Galerienname ein Standort steht wie Toronto oder New Delhi, sind es bei Gagosian inzwischen 19 Standorte. Dafür verzichtet die Galerie auf Nennung des Künstlernamens. Künstler: "Eh klar". Preis: "Zu hoch für dich", soll das heißen. Schon gut, Mr. Hirst.
Die 1975 in München geborene Sophie von Hellermann, die nach ihrem Studium an der Düsseldorfer Akademie nach London ging und dort blieb, ist für ihren leicht lasierenden, pudrigen Pinselstrich bekannt. Jetzt hat sie sich den sehr maroden Charme von Margate vorgenommen und pittoreske Szenen des südenglischen Strandbades gemalt – aber nicht nur auf Leinwände, sondern auch auf die Wände der Koje von Pilar Corrias. Sogar der Teppichboden ist Teil ihrer Motivik. Immersion analog – auch das ein exzessives, großartiges Messestatement, für das sich auch ein Sammler bereits als Ganzes interessiert haben soll.
Draußen im Park bei den Skulpturen der Frieze hatte am ersten Tag der Messe Londons Bürgermeister Sadiq Khan einen kurzen Auftritt vor einer Skulptur von Yinka Shonibare. Er stellte die Initiative von "London Creates" vor, mit der bezahlbare Künstlerateliers fest verankerter Planungsbestandteil bei der Entwicklung von Stadtvierteln sein sollen. Im Juli dieses Jahres hatte eine Studie gezeigt, dass ein Drittel der Londoner Künstler ihrer Karriere wegen finanzieller Not in den nächsten Jahren beenden werden.
Ein paar Schritte weiter steht eine seltsame Säule, fünf Meter hoch und komplett mit Moos bedeckt, an der Seite ragt ein Kupferrohr in die Höhe. Ob Wasser aus Ayse Erkmens Beitrag zum Frieze-Skulpturengarten tropft, um das Moos zu befeuchten, ist nicht zu erkennen, ziemlich sicher wird das Kupferrohr bald Grünspan ansetzen. Ein ziemlich muskulöses, viel zu wenig scheues graues Eichhörnchen erkundet den Moosturm besserwisserisch. Mit den Parktieren ist wirklich nicht zu spaßen.