Medienschau

"In diesen Momenten muss man den Kapitalismus einfach lieben"

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Philip Gustons Klan-Kapuzen, energetische Drinks als Luxuskunst und die nächste Runde der feuilletonistischen Munch-Verzückung: Das ist unsere Medienschau am Donnerstag


Debatte

Dass in der NS-Zeit enteignete jüdische Familien immer noch wie Bittsteller gegenüber Museen auftreten müssen, beklagt Julien Reitzenstein in der "NZZ". Gerade wird in der Schweiz über die Einrichtung einer Beratenden Kommission nach deutschem Vorbild debattiert, die bei Streitfällen im Sinne der Wahsingtoner Erklärung vermitteln soll. Ein Blick nach Deutschland zeige jedoch, dass es Defizite in der Gesetzgebung gebe, wie auch der hiesige Kommissionspräsident und Ex-Verfassungsrichter Hans-Jürgen Papier konstatiert. "Statt auf Grundlage eines dringend erforderlichen Bundesgesetzes müsse man mit 'soft law' und politisch-moralischen Selbstverpflichtungen arbeiten, so Papier, der fordert, dass aus der Beratenden Kommission eine Entscheidende Kommission werden müsse." Eine Nachjustierung des Systems zugunsten der rückfordernden Familien sei dringend geboten. "Die Vorschläge zur Reform der deutschen Kommission und des Umgangs mit durch NS-Verfolgung entzogenem Vermögen liegen seit Jahren auf dem Tisch; einige wurden 2021 im Koalitionsvertrag verankert. Doch seither ist nicht viel passiert, wie Hans-Jürgen Papier der Kulturstaatsministerin vorwirft. Zwar will Claudia Roth bald die einseitige Anrufung der Kommission ermöglichen – bevor das betroffene Museum sich positioniert hat. Doch das ist verzagt und unzureichend. Während andere Länder wie die Niederlande ihre Kommission bereits reformiert haben, wird in der Schweiz überlegt, welche Kompetenzen ihre zukünftige Kommission erhalten soll."

 

Ausstellung

Inzwischen kann man sich bei der ganzen Munch-Verzückung anlässlich der Ausstellung in der Berlinischen Galerie schon ein bisschen bedrängt fühlen. Was soll da noch kommen, wenn im November auch noch das Museum Barberini in Potsdam seine Schau des melancholischen Norwegers eröffnet? Kollektive Expressionismus-Ekstase? In der "Zeit" legt nun noch einmal der Autor und Monopol-Gründer Florian Illies nach und spricht von einer "hinreißenden Ausstellung". Sie zeige, wie aus Munch in Berlin Munch geworden sei, inklusive der obligatorischen Fin-de-Siecle-Verlorenheit. Ein wenig Gegenwartsdiagnostik gibt es auch noch:  "Jetzt, fast fünf Generationen später, stehen in der Berlinischen Galerie die jungen Menschen in Schlangen vor Munchs Bildern und fühlen sich in ihrer eigenen Verlorenheit plötzlich verstanden. Der Melancholiker ist, anders als László Földényi es befürchtet, zumindest in Berlin nie eine anachronistische Figur." Wer Lust auf noch mehr malerische Heldenverehrung hat: Einen Podcast über Munch mit Florian Illies und "Zeit"-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo gibt es auch noch


Völlig hin und weg von der Philip-Guston-Show in der Londoner Tate Modern ist der britische Kritiker Adrian Searle im "Guardian". Die Schau, die vorher in Boston und Washington zu sehen war, war 2020 nach dem Mord an George Floyd verschoben worden. Damals hatte es Proteste gegen Gustons Darstellungen von "Hoods", also Ku-Klux-Klan-Mitgliedern mit weißen Kapuzen, gegeben, die als stupide Comic-Figuren seine Leinwände bevölkern. Searle sieht diese Bilder heute als Ausdruck einer niemals endenden Auseinandersetzung mit dem Bösen. "Er malte den Klan so, als würde er ihre Bewegungen nachspielen. Er malte sich selbst als Klan-Maler, der ein Selbstporträt anfertigt. Er malte sie als normale Joes, die Zigarren durch ihre Kapuzen pafften. Er malte ihre Köpfe, als wären sie Grabsteine. Er machte sie zu Objekten der Lächerlichkeit, reduziert auf ein wiederkehrendes Motiv, wie ein Virus, der überall ist. Ein Teil der Aufregung um dieses spätere Werk ist zweifellos auf die Tatsache zurückzuführen, dass die weiße Kapuze zwar durch die "Maga"-Mütze und all die Utensilien der Alt-Right-Bewegung ersetzt wurde, Dummheit, Bigotterie und ein Hang zur Gewalt aber immer vorhanden sind und die weiße Vorherrschaft wieder auf dem Vormarsch ist." Insgesamt sieht er die Ausstellung als "denkwürdig und unverdaulich" im besten Sinne. "Das ist eine Fünf-Sterne-Schau, die noch besser sein könnte. Ich will einfach mehr."


Buch 

Die "Taz" beschäftigt sich mit dem Essaybuch "Hässlichkeit" von Moshtari Hilal, das auch in Monopol besprochen wurde. Die Künstlerin und Kuratorin geht darin von ihrer eigenen jugendlichen Ablehung ihres Gesichts aus und verknüpft diese mit kulturell und rassistisch begründeten Konzepten des Hässlichen. Lena Pinto fragt sich, ob es dieses Buch brauche, weil die Kunst zum Erforschen dieses Themenkomplexes für Hilal nicht mehr ausreiche. "Wollte sie anfangs, als Künstlerin, neue Schönheitsbegriffe definieren, bricht sie das im Buch nun auf und fragt danach, warum es dieses Bedürfnis gibt, unsere Vorstellung davon zu erweitern, was schön ist. Schönheit, sagt die Autorin, funktioniere nur mit ihrem Gegenteil, dem Hässlichen. Ihr Buch handelt auch davon, warum wir gleichwohl Angst vor der Hässlichkeit haben."


Es habe dieses Buch nicht unbedingt gebraucht, heißt es im "New Yorker" über den Fotoband "Linda Evangelista Photographed by Steven Meisel". Aber nun sei es nun mal da und eine nähere Betrachtung wert. Autor Vince Aletti würdigt die Fähigkeit des Fotografen Meisel, die Persönlichkeit eines Models zuzulassen und in seinen Bildern zu unterstreichen. Als besonders bemerkenswert beschreibt er die Serie "Makeover Madness", bei der Linda Evangelista in der "Vogue Italia" als Opfer der Schönheitsindustrie durch OP-Säle und Spa-Resorts irrt (als Ironie der Geschichte hat das Model inzwischen tatsächlich mit den Folgen nicht ganz geglückter Eingriffe zu kämpfen). "In der Serie spielt Evangelista die Hauptrolle in einem Drama, das in den Büros und Operationssälen von Schönheitschirurgen und in den Luxushotels spielt, in denen sich die Patientinnen zur Genesung treffen. Meisel ist hier am durchtriebensten und akribischsten und inszeniert irrtierende Szenen auf Operationstischen mit Models in vollem Make-up und Abendkleidern mit Schmuck, Handtaschen, Absätzen und 'blutiger' Gaze. Der Einfluss von Luis Buñuel und David Cronenberg durchdringt das Shooting, aber das Projekt ist Meisel pur: böse Satire in Form brillanter Modefototografie."


Das besondere Kunstwerk 

In der Wohnung/Showroom/Privatgalerie der Künstlerin Ariane Hosemann in Berlin-Mitte lernte Laura Ewert neulich energetisch aufgeladene Drinks als Kunstwerke kennen, wie sie in ihrer Kolumne für den "Freitag" schreibt. "Die Frau stellt dafür die Gläser auf ein Gerät, das aussieht wie eine Mischung aus Kochplatte und Drummachine. Dessen bunte LEDs beleuchten nicht nur blinkend drei kleine Platten, es ist auch an ein Handy angeschlossen, dessen Display eine Frequenzwelle zeigt. Auf die Frage, womit die Drinks jetzt aufgeladen werden, sagt die Elixierin, dass die Frequenz auf dem Handy die Frequenz der Liebe wäre, die in Drinks gedruckt werde. Das Getränk schmeckte angemessen bitter." Ein drittes Auge sei der Autorin zwar nicht gewachsen, sie habe aber ihre eigenen Grenzen verlassen. "In diesen Momenten muss man den Kapitalismus einfach lieben."