In der Kunstgeschichte ist der Penis ein umfangreich dokumentiertes Körperteil. Es gibt ihn in verschiedenen Größen und Formen, in Bronze, Marmor und in Öl. Dagegen wurde die Vulva lange Zeit extrem vereinfacht und teils falsch dargestellt, am besten glatt und kompakt, eine Ellipse mit einer möglichst dezenten Kerbe. Sogar Gustave Courbets Gemälde "Ursprung der Welt" von 1866, ein seinerzeit schockierender Blick direkt in den Schritt eines liegenden weiblichen Aktes, ist unter dem buschigen schwarzen Schamhaar anatomisch recht unspezifisch.
Inzwischen hat sich durch die Arbeit von Medizinerinnen und Aktivistinnen zunehmend herumgesprochen wie eine Klitoris aussieht, dass das Wort Vagina nur den inneren Kanal des Geschlechtsorgans bezeichnet, der zu den Eierstöcken und der Gebärmutter führt, und wie unterschiedlich Schamlippen aussehen können. Plötzlich gibt es überall Schmuck, Törtchen und Kerzen in Vulva-Form, und in den Städten tauchen die ersten Alternativen zu Penis-Graffiti auf. In London gibt es außerdem seit einigen Jahren das Vagina Museum, das sich für gesundheitliche Aufklärung und den Abbau von Tabus einsetzt.
Für die studierte Fotografin und Stand-Up-Comedian Lisa Frischemeier ist diese Sichtbarkeit ein Schritt hin zur Normalisierung einer Körperregion, die lange totgeschwiegen und versteckt wurde. In ihrem Buch "I See Vulvas Everywhere" hat sie alltägliche Dinge gesammelt, die sie an Genitalien erinnern: eine aufgeplatzte Tamarillo-Frucht, einen Relief-Brunnen, eine Waffel, auf der ein Sahnekleks mit suggestiven Honigschlieren thront.
"Wir halten immer nach dem Ausschau, was wir sehen wollen"
"Wer mit geschultem und neugierigem Blick durch die Welt geht, sieht Vulven überall", schreibt Lisa Frischemeier. "Wieso das so ist? Weil wir immer nach dem Ausschau halten, was wir kennen und sehen wollen." Echte menschliche Genitalien finden sich keine in dem Buch, das sich offenbar gezwungen sah "100 Prozent pornofrei" auf das Cover zu schreiben. Vielmehr ist es eine spielerische Aufforderung, bekannte Dinge unter anderen Vorzeichen zu betrachten. Die Fotos funktionieren ein bisschen wie ein Rorschachtest, bei dem man seine eigenen Konditionierungen überprüfen kann. Oval angelegte Treppenhäuser werden nach der Lektüre nicht mehr dasselbe sein.
Neben den Bildern bietet das Buch auch einige Fakten zur Vulva, die man nicht oft genug wiederholen kann. Viele verschiedene Arten von Behaarung sind normal und nicht eklig, Ausfluss und Geruch sind der Beweis, dass Bakterien ihre wichtige Arbeit verrichten, und ein "Ausleiern" der Vulva gibt es nicht.