Als hätte jemand kühn einen langen Strich durch das Zentrum Madrids gezogen, führt die Calle de Zurbano von Süd nach Nord, vom liberalen Stadtteil Chueca mit den vielen Galerien und Regenbogenflaggen bis hinauf ins unaufgeregte Chamberí. Hier, gefühlt Welten entfernt vom trubelig touristischen Prado und unweit des Diplomatenviertels, wo geschäftige Madrilenen mit verschlossenen Mienen und in Etuikleidern oder Anzügen vorübereilen, verbirgt sich hinter schmalen Mauern zwischen Mietshäusern kaum zu Erahnendes.
Wer die Villa Sorolla, die heute ein Museum beherbergt, einmal entdeckt und betreten hat, wird sie später ungern, doch glückselig berauscht, trunken von Farben und Licht wieder verlassen. Allein der dreigegliederte Garten, den der einstige Besitzer des Stadtpalastes, der Maler Joaquín Sorolla y Bastida, im maurischen Stil selbst hat anlegen lassen, empfängt wie eine atmende Oase.
Von 1910 bis 1911 erbaute der Architekt Enrique Maria Repulles y Vargas nach den Vorstellungen Sorollas die großbürgerliche Villa nebst des innerstädtischen, grünen Refugiums. Eine kostspielige Umsetzung, die sich der 1863 in Valencia geborene Künstler ohne weiteres dank seines genialen Talents, obsessiven Tatendrangs und sagenhaften Erfolgs bei Publikum und Käufern leisten konnte. Um die Wende zum 20. Jahrhundert avancierte Joaquín Sorolla zur Malersensation und seine Bilder fanden reißenden Absatz auf beiden Seiten des Atlantiks.
Der Meister des Lichts bewies auch Gartengespür
In Spanien wird er seitjeher in einem Atemzug mit Velázquez und Goya genannt. Außerhalb seines Heimatlandes verschwand er indes überwiegend aus den Museen und in der Versenkung. Als ästhetisch relevant wird Sorolla, dessen 100. Todestag in diesem Jahr etwa im Königspalast in der spanischen Hauptstadt groß mit einer Ausstellung gefeiert wird, erst jetzt allmählich erachtet - nach Retrospektiven in der National Gallery in London oder in der Kunsthalle München.
Nirgendwo sonst ließe sich das Geheimnis seines märchenhaften Aufstiegs besser ergründen als in Sorollas Madrider Domizil, das der "Meister des Lichts" mit seiner Familie bis zum Lebensende bewohnte. Nachdem seine Witwe verstorben war, wurde das Anwesen nebst des gesamten Interieurs in eine Stiftung überführt und die Villa mit Atelier und Garten zu einem Museum umgewidmet.
Vor der Veranda ragt ein Orangenbaum in die Höhe, die Zweige schwer mit Früchten behangen. Rosenhecken und mediterranes Gewächs in voller Blüte säumen die Wege entlang filigraner und pompöser Marmorbrunnen. Oben schließt sich an einem solchen wild umwachsen ein Teich an, und Pergolen spenden Schatten. Augenscheinlich ist die Faszination des universellen Künstlers für die Gärten der Alhambra in Granada und des königlichen Alkazars von Sevilla. Nach ihren Vorbildern ließ er sich seine verwinkelte Grünanlage, 819 Quadratmeter unterteilt in drei Areale, jedes andersartig und raffiniert, gestalten. So wirkt sie um einiges größer – allüberall bieten sich malerische Ein- und Ausblicke, die Sorolla unzählige Male auf Leinwand als Motiv seines Spätwerks verewigt hat.
Weiter Weg zum eigenen Stil
Paradiesich anmutende Sequenzen in beinahe fluoreszierenden Pastelltönen und in schnellem, lockerleichtem Pinselduktus aufgebracht, wie bei "Jardin" von 1920. In der Villa, in der neben wechselnder Ausstellungen dauerhaft Werke aller Schaffensphasen Sorollas zu besichtigen sind, setzen sich die Gartenansichten fort. Auch die lichtgetränkten Gemälde, teils in modernen Farbkontrasten, von Küstenstädten, Valencia am Mittelmeer oder Jávea an der Costa Blanca, und ihren Bewohnern, evozieren eine sommerlich-flirrende Atmosphäre. Nur eines malte Sorolla lieber als Landschaftsszenerien und Gärten, nämlich die Menschen, die sich dort aufhielten. Insbesondere galt das für seine zwei Töchter, den Sohn und Ehefrau Clotilde García del Castillo, Sorollas größte Muse. Ihre einzige Konkurrentin sei, so schreibt sie ihm in einem der zärtlichen Briefe, die Malerei.
Einige der vielen Bilder, die von ihr in der Villa zu sehen sind, zeigen sie im Wohnhaus, in einer schwarzen Flamencorobe, den Arm in die schmale Hüfte gestemmt, eine blasstürkisfarbene Blume im hochgesteckten Haar, "Clotilde im Abendkleid" (1910). Bei "Mutter" (1985) indes gucken zwei Köpfe, einander zugewandt, unter einer Decke hervor, Clotilde im Wochenbett mit ihrem Neugeborenen. Am häufigsten jedoch malte Sorolla seine Frau als weiße Lichtgestalt, draußen, beim Orangen-Pflücken im Garten oder bei einem Strandspaziergang, vom Wind zerzaust auf einer Klippe über dem Meer, hinter ihr, gleißend-glänzendes Azur.
Unter freiem Himmel war Sorolla in seinem Metier. Wie kein anderer verstand er sich darauf, das Licht des Südens "en plein air" in Farben zu fassen. Seine sonnendurchfluteten Kompositionen, das Schattenspiel – durch Fischersegel, Markisen und Laubengänge hindurch gefilterte Partikel, als quecksilbriges, dunkles Meer oder goldschimmernd auf nackter Haut badender Kinder – sollten zu seinem Markenzeichen werden. Bis er allerdings zu seinem eigenen, luziden Stil fand, in dem er diverse Einflüsse auf unnachahmliche Weise miteinander verband, war es ein weiter Weg.
Fasziniert von den großen Malern
1894 hatte er die Société des Artistes Français aufgemischt, jenen maßgeblichen Berufsverband erzkonservativer Traditionalisten, die jährlich im Pariser Salon über Gedeih oder Verderben der Ausstellenenden entschied. Dem jungen Sorolla gelang es nicht nur dessen gefürchtete Jury mit "Die Rückkehr vom Fischfang" zu überzeugen, vom Fleck weg kaufte der französische Staat das großformatige Ölgemälde.
Noch nicht volljährig malte Joaquín Sorolla virtuos Seebilder. Trotzdem ist seine Karriere nicht vorgezeichnet. Eigentlich soll er, wie sein Ziehvater, Schlosser werden. Ab dem zweiten Lebensjahr wächst er bei Verwandten auf, eine Choleraepidemie hatte seine Eltern dahingerafft. Meisterlich entwirft der Junge Skizzen in der Handwerksschule, die einen aufmerksamen Direktor hat. Er erkennt die außergewöhnliche Begabung, und Sorolla darf zusätzlich zur Ausbildung an den Nachmittagen Zeichenstunden an der Kunstakademie Escuela de Artesanos in Valencia besuchen.
Als Achtzehnjähriger bewundert er im Prado-Museum Werke von Velasquez, dem er sich künstlerisch näher gefühlt haben soll als den französischen Impressionisten, die ebenfalls Eindruck auf ihn machten. Früh hatte sich Sorolla in den Kopf gesetzt, die Stadt an der Seine zu erobern. Als 22-Jähriger stieß er hier auf Claude Monet und Edgar Degas, aber auch auf naturalistische Maler wie Adolph von Menzel oder Jules Bastien-Lepage.
Alles vom Meer gelernt
Mehr noch interessierte ihn die Kunstmetropole als Schmelztiegel kreativer Strömungen, die er gemeinsam mit Pedro Gil Moreno de Mora erkundete. Kurz zuvor hatten sich die beiden Stipendiaten in Rom kennengelernt, eine richtungsweisende Begegnung. Sorolla probierte sich während seiner Lehrjahre aus, im orientalischen, mythologischen oder religiösen Stil und länger in der Historienmalerei. Schon damals fand er seine Zuflucht im Meer. Von ihm habe er alles gelernt, sollte er später sagen.
Kaum gab es ein Genre, das er nicht beherrschte und er verstand sich aufs Netzwerken. Mit Künstlerkollegen des Fin de Siècle pflegte Sorolla ebenso Kontakte wie mit der Pariser Hautevolee, mit Mäzenen oder Galeristen. Als Salon-Maler ging er durchaus strategisch vor, um die prestigevollsten, pekuniär einträglichsten Preise abzusahnen.
Wie seinerzeit die Geschäftsklientel gelangen Besucher der Villa über den Eingang am Ende des Gartens, einige Stufen hinauf, ins Museum, dessen erster Direktor Sorollas Sohn war. Zunächst werden die drei Atelier-Hallen durchschritten, eine repräsentativer als die vorherige, in Bordeauxrot gestrichen und mit Satteldachkonstruktionen ausgestattet, um einfallendes Oberlicht zu garantieren. Dabei nutzte Sorolla die erste als Lagerraum und Werkstatt, die zweite als Büro, in dem er aktuelle Arbeiten aufhängte, die dritte war als Studio vorgesehen, in dem sich der höchst produktive Meister eher selten aufhielt. Ihn zog es stets ins Freie, an die Adria, ins Baskenland oder nach Asturien, süchtig nach andersartigen Farben und Illumination.
Als hätte Sorolla die Pinsel gerade erst zum Trocknen abgestellt
In blau-weiß bemalten Keramikgefäßen reihen sich neben weiteren Malerutensilien Pinsel zum Trocknen, als hätte sie Sorolla soeben erst dort abgestellt. Auch im Salon oder im Wohnzimmer, in Marmor gefasst, scheint die Zeit stillgestanden zu haben. Der nussbraune Esstisch, den der Bildhauer José Capuz eigens für Sorolla anfertigte, steht noch an seinem ursprünglichen Platz. Das Wohnhaus, möbliert wie noch zu Lebzeiten des Meisters und reich an persönlichen Gegenständen, lässt sich künstlerisch wie privat als dessen Kosmos begehen. Zwischen Jugendstil-Kommoden, Keramiken, baskischen Schränkchen, Truhen, aufgereihtem Schmuck oder einer Schmetterlingssammlung laden samtige Sitzecken ein, sich gedanklich in den Polstern zu versenken.
Auffällig sind die etlichen, sich im Haus und auf dem Grundstück verteilenden Skulpturen, etwa von Miguel Blay, José Clara, Troubetzkoy oder Rodin. Insgesamt 289 an der Zahl, darunter Büsten von Sorollas Tochter Elena. Bodentiefe Fenster rücken die Marienstatuen im Garten ins Sichtfeld.
Obendrein verfügt das Museum über einen bemerkenswerten Fundus historischer Zeugnisse, wie Briefe, Dokumente und Fotografien. Im Halbprofil hatte der Vater der Braut das junge Ehepaar abgelichtet. Nach einem einjährigen Aufenthalt im italienischen Assisi ließ sich Sorolla 1890 frisch vermählt in Madrid nieder. Geheiratet hatte er die Schwester seines engsten Freundes und Tochter des Fotografen Antonio García Peris. Von ihm lernte er, die Kameratechnik bildkompositorisch für seine Arrangements zu verwenden.
Ein beispielloser Triumphzug in der Kunst
Es sind finstere Zeiten für Spanien, das im Krieg mit den USA 1898 das "El desastre" erlebt und seine Überseekolonien, etwa Kuba und die Philippinen, verliert. Doch gerade dann findet Sorolla sein persönliches Glück, seinen Stil und die größte Anerkennung. Mit gerade einmal 37 Jahren gewinnt er den Grand Prix der Pariser Weltausstellung von 1900. Was darauf folgte, war ein Triumphzug, wie ihn die Kunstwelt bis dato nicht erlebt hatte. Von Spanien über Frankreich und England bis in die USA reüssierte Sorolla mit monografischen Ausstellungen. Auch in Deutschland stößt er auf Begeisterung, euphorisiert erwirbt Museumsdirektor Hugo von Tschudi Bilder für die Berliner Nationalgalerie.
Wiederholt nimmt Sorolla an der Kunstbiennale in Venedig teil, doch ist es abermals Paris, wo ihm ein Handstreich gelingt. 1906 richtete ihm die Galerie Georges Petit eine Einzelschau mit rund 500 Werken aus, die sich wirtschaftlich enorm rentierte. Nur zwei Jahre später lockte die Grafton Galleries in London mit dem Superlativ "World’s Greatest Living Painter" und wenig später, ab 1910, wird Sorollas Kunst zur Riesenattraktion für die New Yorker. Zu Tausenden pilgern sie in ins neue Quartier der Hispanic Society of America, obschon sich die im damals noch peripheren nördlichen Manhattan befand.
Angesichts des überwältigenden Andrangs beschert ihr Gründer Archer Milton Huntington, US-Multimillionär und Aficionado der spanischen Kultur, Sorolla den Auftrag seines Lebens. Er soll die Bibliothek der jungen Institution mit 14 meterhohen Genregemälden – den "Ansichten von Spanien" – gestalten. Ein lukratives Unterfangen, das für Sorolla zur Strapaze wird. Wieder fängt er Feuer, bereist sein Land, um sich ein Bild von regionalen Sitten und Bräuchen, der Stierkämpfe, Tänze, Trachtenumzüge oder des Fischfangs, zu machen. Nach Vollendung des Titanenwerks erkrankt Sorolla schwer. Als er mit 60 Jahren 1923 stirbt, hinterlässt er der Nachwelt rund 4000 Ölbilder und Aquarelle. Ermattet, aufgezehrt versinkt er die letzten drei Lebensjahre in seiner Madrider Oase des Lichts im Halbdunkel, ohne auch nur noch einen Strich mit dem Pinsel zu tun.
Bilder wie ein Schnappschuss
Als zu gefällig kritisierten Zeitgenossen wie die Schriftsteller der "Generation von 98" Sorollas Werke. Aus gegenwärtiger Sicht eine haltlose Behauptung. Sein Oeuvre offenbart, dass er strahlende Helligkeit nicht bloß oberflächlich abbildete, sondern sie zu durchdringen vermochte, in die Tiefe streute.
Auf dem Zenit seines Ruhms malte Sorolla die ganz Großen, König Alfons XIII., US-Präsident William Howard Taft oder Jugendstil-Künstler Louis Comfort Tiffany. Gleichwohl bleiben als die Eindrücklichsten jene experimentierfreudigen Porträts in Erinnerung, die er von einfachen Leuten fertigte, von seinen Kindern oder seiner Frau. Ephemeres, eingefangen wie bei einem Schnappschuss, mehr als flüchtiger Moment, gebanntes, bewegtes Licht.
Von der ersten Etage fällt der Blick in den von Palmen umsäumten, andalusischen Patio, dann in den Garten. Noch einmal ist einem, als würden an diesem Ort Sorollas schöpferische Leuchtkraft, gelebte Zeit, Ideal und Wirklichkeit magisch in einem Gesamtkunstwerk zusammenfließen.