Kritisch, distanziert und sehr von der Seite schaut Thomas Gainsborough (1727-88) uns an. Aus einem glatten Gesicht, dem noch nicht viel passiert zu sein scheint, blicken Augen, die schon vieles gesehen haben. Als Gainsborough, der sonst nur andere malt, dieses Porträt (um 1758-1759) von sich anfertigt, ist er um die 30. Er steht an der Schwelle zum Ruhm, endlich. Sein Blick in den Spiegel zeigt ihn dieser Lebensphase, zwischen neu gefundenem Selbstbewusstsein und Schüchternheit.
Mit 13 Jahren schon war er aus dem ländlichen Suffolk nach London gezogen und bei dem französischen Maler und Illustrator Hubert-François Gravelot in die Lehre gegangen. Danach porträtiert er jahrelang den Landadel in der Provinz, arbeitet an der Verfeinerung seiner Technik und experimentiert mit Drucken und Radierungen und ungewöhnlichen Materialien wie Milch. Als er 1759 ins mondäne Bath zieht, findet er kosmopolitische und aristokratische Kunden, die gut zahlen und sich in gern in seinen Bildern sehen, in denen die Menschen oft aussehen, wie einem Traum entstiegen.
Später kehrt Gainsborough als gefeierter Gesellschaftsmaler nach London zurück und malt wie ein Zauberkünstler, oft vor Publikum, denn sein Atelier steht für Besucher offen: Zu Beginn jeden Bildes verdunkelt er den Raum, um sich bei Kerzenlicht auf das Wesentliche der Umrisse zu konzentrieren. Er arbeitet mit einem Pinsel, den er an einem zwei Meter langen Stock befestigt hat. Erst von Ferne nehmen seine Figuren Gestalt an. Von Nahem besehen wirken seine Bilder mit ihrer nervösen, zarten Pinselführung und Kratzern abstrakt, ein Effekt, den er beabsichtigt.
Er verlässt die Royal Academy, als diese eines seiner Gemälde so hoch hängt, dass nicht erkennbar wird, welchem Chaos einzelner Striche seine Porträts enstammen. Nach seinem Tod erkennt auch sein einstiger Erzrivale Joshua Reynolds endlich an, dass Gainsboroughs Kunst "Magick" besitzt.
Größte Gainsborough-Sammlung der Welt
Das eingangs erwähnte Selbstbildnis hängt jetzt im neu eröffneten Gainsborough's House in der Grafschaft Suffolk. In diesem Haus wird der Maler in der Landstadt Sudbury 1727 als jüngstes von neun Kindern geboren. Im dahinterliegenden, seit 1520 existierenden Garten steht ein alter Maulbeerbaum mit bis zum Boden reichenden Blättern, den Gainsborough schon als Kind gesehen hat. Auch die Stadt, selbst malerisch mit ihren windschiefen, uralten Häusern, scheint sich im Lauf der letzten Jahrhunderte nicht wesentlich verändert zu haben. An ihren berühmtesten Sohn erinnert unterdessen ein Denkmal am Marktplatz vor der Kirche. Sudbury wiederum erhofft sich eine Wiederbelebung durch die groß aufgezogene, rundum erneuerte Besucherstätte.
Aus dem Geburtshaus des Malers ist ein veritables Museum geworden, ermöglicht durch einen von der Architekturfirma ZMMA gestalteten Erweiterungsbau. Zehn Millionen Pfund hat das rote Backsteingebäude gekostet, das sich harmonisch an das alte Haus anschließt und im November eingeweiht wurde. Aufgestockt auf rund 60 – statt bisher 20 – Werke, beherbergt Gainsborough's House nun die größte Zahl seiner Gemälde in der Welt.
Die Neugestaltung dieses Hauses in der tiefsten – wenn auch bukolischen - Provinz wurde größtenteils durch Lotteriegelder finanziert und nicht von der Regierung. Dennoch entspricht das Projekt einer Neuausrichtung der britischen Kulturpolitik. Spätestens nach dem Brexit wurden ländliche Regionen als kulturelles Brachland identifiziert, während das Gros der Kulturförderung und Aufmerksamkeit sich von jeher auf die Hauptstadt konzentriert hatte.
Genreübergreifender Ansatz
Das Besondere dieser Kulturinstitution – so kann man das Haus nun nennen – ist ihre genre-übergreifender Ansatz: Sie ist Geburtshaus, Kunstgalerie und so etwas wie ein Provinzmuseum zugleich. Das klingt nach einem unentschlossenen Sammelsurium, aber es funktioniert. Mit jedem Objekt werden lokale Bezüge mit weitreichender Wirkung hergestellt. Selbst die Wände enthalten historische Hinweise: In der Seidenweberstadt Sudbury handelte der Vater des Malers mit Stoffen; die Wände der Gainsborough-Säle sind nach alten Vorlagen mit dunkelgrünem Damast eines derzeit arbeitenden Seidenherstellers aus Sudbury bespannt.
Im Haus wird es nicht nur kunstbezogene Veranstaltungen und Workshops geben, sondern auch Musik, aber auch diese Verbindung ist nicht beliebig: Gainsborough, ein großer Musikliebhaber und Sammler von Instrumenten (die er zum Schrecken seiner Umgebung gern und schlecht spielte), war ein enger Freund von Johann Christian Bach, dessen Porträt von 1776 wiederum in einem anderen Raum zu sehen ist.
Das für Events reservierte, so genannte Landscape Studio öffnet ein Panoramafenster zum Garten über die Dächer der Stadt hinweg und in den meistens wolkenschweren Himmel, den Gainsborough so oft malte – wie nach ihm nur ein paar Meilen von Sudbury entfernt sein berühmter Kollege John Constable (1776-1837). Auch Constable – nachdem der ganze Landstrich benannt wurde – ist ein Raum mit Bildern und Objekten gewidmet, der lokalen Verwandtschaft wegen und auch weil Constable seinen Vorgänger zutiefst schätzte. Ein altes Pferd, das Gainsborough aus Gips anfertigt hatte, gehörte zu Constables kostbarsten Besitztümern. Seine Familie hat es dem Gainsborough's House ausgeliehen. Beim Ansehen der "beruhigenden, zarten und berührenden" Gainsborough-Landschaften, schrieb John Constable, "steigen uns Tränen in die Augen, und wir wissen nicht, warum."
Tatsächlich galt Gainsboroughs eigentliche Liebe der Landschaftsmalerei. Seinem Broterwerb, dem "Malen von Gesichtern", wie er es nannte, ging er nur mit mässiger Begeisterung nach. Aber er wusste, dass mit Bildern von Wiesen und Wäldern nicht viel Geld zu machen war – Geld, das er gern und üppig verschwendete. So begann er, beide Genres zu verbinden und seine Modelle in Landschaften zu placieren, oft in überraschender, innovativer Weise, wie bei seinem Doppelporträt Mr and Mrs Andrews (1748), das heute in der Londoner National Gallery hängt. Gegen Ende seines 61-jährigen Lebens widmete sich der Porträtist immer intensiver der Landschaftsmalerei. Mit der Zeit ließ er die Menschen einfach aus seinen Bildern verschwinden.