Die international geschätzte Kunstwissenschaftlerin Selfira Tregulowa verlässt nach acht Jahren ihren Posten, wie das Kulturministerium am Donnerstag in Moskau mitteilte. Demnach läuft der Vertrag mit der 67-Jährigen aus.
Neue Generaldirektorin werde die am Moskauer Institut für Internationale Beziehungen (MGIMO) ausgebildete Jelena Pronitschewa, die das Polytechnische Museum in Moskau leitet, aber in der Welt der Kunstwissenschaft unbekannt ist. Die 39-Jährige ist seit 2020 Chefin des Technikmuseums. Wie die Zeitung "Kommersant" berichtete, ist die neue Museumschefin Tochter des Geheimdienstgenerals Wladimir Pronitschew. Der Vertraute von Präsident Waldimir Putin hatte den russischen Grenzschutz geleitet und war unter anderem als Vizechef des Inlandsgeheimdienstes auch zeitweilig für den Anti-Terror-Kampf in Russland zuständig.
Russlands neben der Eremitage in St. Petersburg wichtigstes Kunstmuseum hatte zuletzt für Schlagzeilen gesorgt, weil das Kulturministerium eine Neuausrichtung der Ausstellung gemäß der immer wieder auch von der russisch-orthodoxen Kirche hochgehaltenen "traditionellen Werte" und Moralvorstellungen gefordert hatte. Das Ministerium hatte die Anweisung nach der Beschwerde eines Besuchers erlassen, der sich angeblich in seinen religiösen Gefühlen verletzt gesehen hatte.
Tregulowa warb für kulturellen Dialog
Die bisherige Museumschefin Tregulowa steht im Ruf, weltoffen zu sein. Sie hatte viele international beachtete Ausstellungen nach Moskau geholt und immer wieder auch russische Kunst im Westen präsentiert. 2021 hatte sie die zuerst in Berlin gezeigte Schau "Diversity United" von rund 90 Künstlern aus 34 Ländern in Moskau organisiert. Sie warb in politisch schwierigen Zeiten für kulturellen Dialog. In der Ausstellung ging es auch um Geschlechteridentität, das Streben nach Freiheit und um andere Fragen, die zunehmend in Russland tabuisiert werden.
Tregulowa gilt in der internationalen Kunstwelt als ausgezeichnet vernetzt und dürfte sich dem zunehmenden politischen Druck, dem Einfluss des Kreml und der Kirche auch auf die Kultur in Russland entziehen wollen. Unabhängige Experten beklagen seit langem massive Eingriffe in die Freiheit der Kunst in Russland. Sie befürchten eine Verarmung der Kultur im flächenmäßig größten Land der Erde.