In den letzten Tagen ging ein Raunen durch die sozialen Netzwerke: Eine gescheiterte Berliner Galeristin habe einen Kunstmilieu-Thriller geschrieben, der als Abrechnung mit ihren Künstlern und der Szene gelesen werden könne. "Ach was!", sagt die Autorin Elda Oreto, die heute auf Spitzbergen wohnt. Die 34-jährige Italienerin betrieb bis 2013 in der Kurfürstenstraße die Galerie Club Midnight, die Künstlerinnen wie Petra Cortright, Helga Wretman und Dafna Maimon vertrat. Ihr eBook "The Secret Lodge", das sie im Eigenverlag herausgibt, solle vor allem eines sein: packend und unheimlich.
Elda Oreto, wie viel Elda Oreto steckt in der mordenen Galeristin Alice, der Protagonistin in Ihrem Roman?
Das ist natürlich kein autobiografischer Roman! Er hat nichts mit mir, meinem Leben, meinen Erfahrungen zu tun. Es hat nichts mit der Kunstwelt zu tun, sondern mit Suspense und Horror. Es geht um eine Psychopathin, um eine Frau, welche die Welt sehr verzerrt sieht, und eine Reihe von Ereignissen, die aus dieser Weltsicht resultieren.
Nun schrieb am Dienstag Petra Cortright, eine Künstlerin, die Sie vertreten haben, auf Twitter: "Ich bin aufgewacht und erfuhr von einer Erzählung einer Ex-Galeristin, die darin davon fantasiert, mich umzubringen." Wie kommt sie darauf?
Keine Ahnung. Das tut mir Leid, dass sie so denkt. Ich will mit meinem Buch niemanden angreifen. Die Galerie wurde von mir aus mehreren Gründen aufgegeben, und niemand hat damit gerechnet. Es gibt sicher noch viele Sachen, die ungesagt geblieben sind.
Das Missverständnis kommt auf, weil Sie Parallelen zu Ihrer eigenen Biografie in den Roman eingebaut haben. Warum?
Ich wollte keinen Essay über die Kunstwelt schreiben, sondern einen Roman. Die Handlungen einer Psychopathin sind sehr weit weg von der Normalität, deshalb musste ich dem Leser auch Realität anbieten, damit das Unnormale glaubwürdiger wird.
Alice ist wirklich böse. Gibt es trotzdem Facetten dieser Figur, die Sie nachvollziehen können?
Wenn man einen solchen Roman schreibt, dann hat das nicht viel mit Emotionen zu tun, sondern ist eher eine intellektuelle Arbeit. Ich dachte an berühmte Psychopathen-Figuren wie Patricia Highsmiths Tom Ripley. Man wird in ihren Ripley-Romanen so sehr hineingezogen, dass man vergisst, dass Ripley Psychopath ist. Ich bin sehr fasziniert von Immanuel Kants Aufsatz "Über das radikal Böse in der menschlichen Natur", der in seiner Zeit umstritten war. Darin denkt Kant über menschliche Freiheit nach. Warum handeln manche amoralisch? Was passiert, wenn man ohne erkenntlichen Grund böse handelt? Genießt man das böse Handeln an sich? Heute denken wir, dass solche Menschen vor allem Kontrolle über das Leben anderer Menschen ausüben wollen. Ich wollte eine psychopathische Figur, die Kontrolle in Extremform ausüben will. Und es ist doch langweilig, wenn die Figur Familienmitglieder umbringt.
Glauben Sie, dass sich eine Galeristin besonders für eine Psychopathen-Figur eignet? Auch Galeristen wollen häufig andere kontrollieren …
Manche Freunde fragten mich nach der Lektüre des Buches, ob ich die Kunstwelt hasse. Nein, das tue ich nicht.
Aber in Ihrem Buch stellen Sie Kunstmarkt-Leute als geizig und kaltherzig da. Sind Sie nicht doch etwas verbittert?
Absolut nicht! Die dunkle Atmosphäre im Buch ergibt sich aus der dunklen und aggressiven Perspektive der Hauptfigur Alice. Gerade mit einigem Abstand stelle ich fest, dass es so viele positive, interessante Dinge gibt. Die Galeriearbeit war eine interessante Erfahrung und ich hatte viel Spaß. Ich habe die Galerie geschlossen, weil ich erschöpft war und feststellen musste, dass dieser Beruf nicht das Richtige für mich ist. Diese Arbeit hat mich in jemand anderen verwandelt.
Ein Galerist sagt in Ihrem Roman: "Als Galeristin muss man tough sein – und das sind Sie nicht." Meinen Sie das?
Wie in jedem Business besitzt auch der Galeristenberuf ein spezifisches Anforderungsprofil. Man muss den Thrill für bestimmte Situationen zu schätzen wissen und ein Gespür für das Finanzielle haben. Das Kaufen und Verkaufen und die ganze unternehmerische Seite erzeugte bei mir aber ein Gefühl der Sorge. Ich habe mich ein bisschen eingesperrt gefühlt. Aber ich war sehr glücklich in der Arbeit mit den Künstlern und mit der Organisation von Ausstellungen.
Petra Cortright steht wie keine zweite Künstlerin für ein neues Modell des Wirtschaftens: Künstler lassen sich nicht mehr von Galerien managen, sondern von Produzenten. In ihrem Fall ist das Stefan Simchowitz, der "eigene Regeln" aufstellen will, wie er im Monopol-Interview sagte.
Besonders für kleine Galerien wie meine kann das bedrohlich werden. Ich kann aber jemanden wie ihn nicht dämonisieren. Er ist einfach ein Symptom unserer Zeit. Kant sagte, dass Menschen das machen, was sie machen können. Und Menschen tun Dinge, wenn sie überzeugt sind, dass diese Dinge gut sind. Wahrscheinlich denkt Simchowitz, er macht etwas Gutes. Und er ist in der Position, so zu handeln, weil niemand aufsteht und "Halt!" sagt. Ich stehe eher der Rolle der Museen kritisch gegenüber, die sich zu diesen neuen Phänomenen nicht verhalten.
Ihre Figur Alice verurteilt als Galeristin ihre Künstler: "The artist has all the power …", sagt sie.
Sie braucht einen Grund, um zu töten. Es könnte auch Eifersucht sein. Sie genießt einfach den Mord. Man kann kein gutes Buch schreiben aus Hass oder Rachegelüsten heraus …
… das wird Ihnen schon vorgeworfen: Sie wollten sich nur rächen mit diesem Roman!
Diese Gefühle würden dich auffressen. Man schreibt ein Buch, weil man eine Geschichte erzählen will, die gelesen wird. Und ich wollte einen Horrorroman schreiben, weil ich das Genre liebe.
Den Roman könnte man aber auch als Parodie auf die sauberen Oberflächen der Kunstwelt lesen. Alice versteckt Leichen im White Cube der Galerie!
Klar, es geht immer um die Suche nach Perfektion. Alice zerstört das und sucht als Serienkillerin eine andere Art von Perfektion. Es war auch lustig, so etwas aufzuschreiben, aber ich muss sagen, dass es mich verstört hat, als ich den Roman wieder las, nachdem ich ihn eine Weile liegengelassen hatte.
Was machen Sie heute den ganzen Tag?
Ich schreibe einen neuen Roman! Und ich fahre mit dem Schneemobil zu den tollsten Orten in der Umgebung. Aber ich vermisse auch Berlin.
Was geben Sie Jüngeren mit, die eine Galerie gründen wollen? Nicht Ihren Roman lesen?
Doch! Lesen und darüber lachen! Man sollte als Galeristin oder Galerist gut in Mathe sein, und obwohl es ein Traum ist, sollte man nicht vergessen, dass es am Ende doch eben ein Geschäft bleibt.
Können Sie sich die Kunstwelt ohne Galerien vorstellen, weil die Künstler den Handel mit Ihrer Kunst selbst in die Hand nehmen?
Ich habe mein Buch im Eigenverlag herausgebracht, damit kann man das vergleichen. Das gibt einem Künstler mehr Kontrolle. Aber die Galeristen sind wichtig. Auch Simchowitz kann nur durch das Galeriensystem bestehen. Viele Dinge in diesem Verhältnis von Künstler und Produzenten sind noch ungeklärt. Deshalb möchte ich den Künstlern sagen: Seid klug und vergesst nicht, dass ihr einen unschätzbaren Wert habt. Es ist schön, Erfolg zu haben. Aber sich schnell zu verkaufen, ist keine Lösung, die Abkürzung nicht der beste Weg. Entscheidet euch, ob ihr nur berühmt oder lieber unsterblich sein wollt!
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Interview mit Ex-Galeristin und Thriller-Autorin Elda Oreto