Ein historisch beispielloser Akt der Aufarbeitung kolonialer Vergangenheit erreicht eine neue Stufe. Mit der Rückgabe wertvoller Benin-Bronzen in Nigeria wollen Außenministerin Annalena Baerbock und Kulturstaatsministerin Claudia Roth ein internationales Zeichen setzen. Die Grünen-Politikerinnen reisen von Sonntag bis Dienstag in das krisengeschüttelte westafrikanische Land, um dort die ersten Exemplare der kostbaren Kunststücke persönlich an die nigerianische Seite zu übergeben.
Mehr als 1100 der Arbeiten aus dem Palast des damaligen Königreichs Benin, das heute zu Nigeria gehört, waren bisher in rund 20 deutschen Museen zu finden. Die Objekte, die neben Bronze auch aus Elfenbein und anderen Materialien gefertigt sind, stammen größtenteils aus britischen Plünderungen im Jahr 1897.
Der Sprecher des Auswärtigen Amts teilte am Freitag in Berlin mit, Baerbock und Roth wollten in der Hauptstadt Abuja zunächst insgesamt 20 Benin-Bronzen aus deutschen Sammlungen zurückgeben. Dass der Restitutionsflug noch in diesem Jahr realisiert werden könne, sei der guten Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern, Städten und Museen zu verdanken. Es zeige auch, wie ernst Deutschland es mit der Aufarbeitung der Kolonialvergangenheit meine.
Zehn Benin-Stücke
Baerbock wird neben Roth auch von der baden-württembergischen Kunstministerin Petra Olschowski (Grüne) sowie den Direktoren und Direktorinnen der fünf Museen begleitet, in deren Besitz sich die größten Sammlungen von Benin-Bronzen in Deutschland befinden. Dies sind das Ethnologische Museum Berlin, das Völkerkundemuseum Dresden/Leipzig, das Museum am Rothenbaum in Hamburg, das Kölner Rautenstrauch-Joest-Museum sowie das Linden-Museum in Stuttgart.
Unter anderem werden Baerbock und Roth zehn Benin-Stücke aus Berlin dabei haben, je drei aus Hamburg und Köln sowie eine Arbeit aus Stuttgart. Unter den Objekten, die zurückgegeben werden, ist auch der königliche Thronhocker des Oba Eresoyen aus dem 18. Jahrhundert. Das rund 90 Kilo schwere Stück war bis zu dieser Woche noch im Berliner Humboldt Forum ausgestellt.
Im Sommer hatte die Bundesregierung mit Nigeria eine Absichtserklärung für die Übertragung der Eigentums der Objekte aus den deutschen Museen unterzeichnet. Seitdem verhandeln die jeweiligen Träger der Museen mit den zuständigen Stellen in Nigeria. Die Museen in Berlin, Hamburg, Köln und Stuttgart haben die Eigentumsrechte an den Beständen an die nigerianische Seite bereits übertragen.
Regelungen für langfristige Leihgaben
Es geht dabei nicht nur um direkte Restitutionen. Die bisher vier abgeschlossenen Abkommen regeln jeweils auch, wieviele und welche der Kunstschätze als Leihgaben in Deutschland bleiben können oder immer wieder ausgetauscht werden. So sollen zum Beispiel von den bisher 514 Bronzen in Berlin 168 als langfristige Leihgaben im Depot des Ethnologischen Museums bleiben und abwechselnd im Humboldt Forum gezeigt werden. Solche Regelungen wurden auch für die anderen Museen vereinbart. Zudem sind umfassende Kooperationen zwischen nigerianischen und deutschen Museen geplant oder bereits angeschoben.
Von einem "Modellfall" sprach Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, zu der das Berliner Museum gehört. "Aus dieser Eigentumsübertragung ist wirklich etwas Neues entstanden: eine enge Zusammenarbeit, ein neues Verhältnis zu Nigeria, zum globalen Süden insgesamt", sagte er bei der Entnahme des Thronhockers. Auch für die nigerianischen Partner seien erste Restitutionen noch in diesem Jahr wichtig.
Nigeria ist rund zweieinhalb Mal so groß wie Deutschland und mit etwa 220 Millionen Einwohnern das bevölkerungsreichste und wirtschaftsstärkste Land Afrikas. Wichtigster Wirtschaftszweig ist die Ölproduktion. Die islamistische Terrormiliz Boko Haram und die Gruppe "Islamischer Staat Provinz Westafrika" sind für schwere Anschläge in dem Land mit zahlreichen Todesopfern verantwortlich.