Irgendwo in den tausenden von Seiten seiner Tagebücher beschreibt der Schriftsteller und Katzenfan Ernst Jünger, wie ihm sein Hund beim Schreiben komisch anschaut. Jünger verunsichert das. Als würde der Hund fragen: Warum bist du so, wie du bist? Und der Dichter fragt sich selbst: Warum bin ich eigentlich, wie ich bin? Tiere ermöglichen eine außergesellschaftliche Perspektive auf den Menschen, die einst nur Gott vorbehalten war. Dabei fällt die Beurteilung durch Hunde besonders schmeichelhaft aus: Die Domestizierung hat einen bedingungslos liebenden Freund geschaffen.
Kann sein, dass narzisstische Künstlerpersönlichkeiten Hunde aus diesem Grund ins Herz geschlossen haben. Picasso sagte von seinem Dackel Lump, er sei weder Hund noch Mensch, sondern "wirklich jemand anderes". Wie der spanische Maler verewigte auch Warhol seinen Dackel in Kunstwerken. Überhaupt ist die Kunstgeschichte voll mit Darstellungen von Schoßhündchen und Streunern, edlen Jagdhunden und elendigen Kläffern.
Künstlerinnen und Künstler haben Hunde nur verschieden interpretiert, es kommt darauf an, sie zu verstehen - nicht nur am Welthundetag am 10. Oktober. Welches Tier würde sich als Schnittstelle zur nicht-menschlichen Welt besser eignen als ein Hund, der so gut menschliche Gestik und Mimik lesen kann? In jüngster Zeit jedenfalls ist in der Kunstwelt viel von speziesübergreifenden Dialog die Rede. Häufig wird dabei Donna Haraway und ihre Idee von "making oddkin" herbeizitiert: Die Philosophin beschreibt in ihrem "Manifest für Gefährten" unseren Umgang mit Tieren als politisch. Sie fragt, wie wir "durch das Ernstnehmen von Hund-Mensch-Beziehungen eine Ethik und Politik erlernen, die signifikante Andersartigkeit gedeihen lässt".
Die Welt aus der Perspektive eines Hundes
Diese Idee klingt auch bei Pierre Huyghe an: Der 2021 verstorbene Hund Human, der eine zentrale Rolle im Werk des französischen Künstlers einnimmt, wurde deshalb über dessen ersten Auftritt auf der Documenta 13 hinaus ein Symbol für eine gelungenen Hund-Mensch-Beziehung. Eine ähnlichen Stellenwert haben auch die Hunde im Werk von Joan Jonas, das bis Anfang des Jahres in der großen Retrospektive im Haus der Kunst in München zu sehen war. Für Jonas bringt das "magische Eindringen des Tieres" eine zusätzliche Bedeutungsebene in ihr Werk: "Die Beziehung zwischen Tieren und Menschen ist sehr geheimnisvoll, und ich denke, dass sie sehr wichtig ist, besonders in der heutigen Welt, auf dem Planeten, auf dem wir leben."
Meist dringen ihre Hunde spontan ins Werk ein, zum Beispiel in der Videoarbeit "Moving in Place (Dog Dance)" von 2002/2005, wo ihr Hund Zina auf den Schauplatz ihrer Performance für die Documenta 9 in Kassel rannte und sie anstupste, um mit ihr zu spielen und einen Ball zu werfen. In ihrem Video "Beautiful Dog" (2014) spielt ihr Pudel Ozu jedoch absichtlich eine Hauptrolle: Er trottet mit einer am Halsband befestigten GoPro-Kamera am Strand entlang, und wir sehen die Welt durch seine Hinterbeine auf dem Kopf stehend. Die instinktive Bewegung des Hundes steuert, was die Kamera sieht.
Ob der Mensch so tatsächlich seinen heillosen Anthropozentrismus überwinden kann oder ob er nicht im Gegenteil den Hund weiter vermenschlicht, wenn er ihn zum Material für ein Kunstwerk macht, ist dabei offen. Ein Ausdruck einer schönen Oddkin-Utopie sind diese Arbeiten allemal.